© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
Kampf mit falschen Mitteln
von Folkmar Koenigs

Das Thema Kampf hunde ist ver braucht: An seine Stelle ist zur Füllung des Sommerlochs, ausgelöst durch einen Bombenanschlag unbekannter Täter und aus ungeklärten Motiven, das Thema Kampf gegen ausländerfeindliche Gewalt und Rechtsextremismus getreten.

Dieses Thema eignet sich vorzüglich zur Sicherung der Meinungsführerschaft, als Ausweis der eigenen überlegenen Moral, zur Förderung der beruflichen oder politischen Karriere und zum Füllen eines ideellen Vakuums auf der Linken. Dabei werden unter dem Sammelbegriff zwei sehr unterschiedliche Tatbestandsgruppen, politischer Rechtsextremismus und Gewalt gegen Ausländer oder Minderheiten wie Obdachlose oder Schwule, zu einer Einheit zusammengefaßt. Zwecks größerer Publizität und Mobilisierung von Abneigung werden dabei alle Gewalttaten gegen Ausländer oder Minderheiten dem politischen Rechtsextremismus zugeordnet, auch wenn die Täter und ihre Motive unbekannt sind oder eine politisch extreme Einstellung der Täter fehlt oder als Tatmotiv nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Das Grölen von NS-Parolen im Suff ist noch kein ausreichender Beweis für eine Neonazi-Gesinnung. Umgekehrt wird bei tatsächlich festgestellter Neonazi-Gesinnung ohne weiteres auch die Billigung und Bereitschaft zur Gewalt gegen Ausländer angenommen.

Es trifft zwar zu, daß sich politischer Extremismus und Billigung und Anwendung von Gewalt gegen Ausländer in gewissem Umfange decken, aber die Betrachtung beider Tatbestandsgruppen als weitgehende Einheit wie gegenwärtig ist zwar politisch sehr nützlich und wirksam, aber tatsächlich unrichtig. Eine wirksame Bekämpfung beider Tatbestandsgruppen ist unbedingt notwendig. Dies erfordert aber ein Erkennen des Unterschiedes der beiden Tatbestandsgruppen und der jeweiligen Ursachen sowie die Wahl von Mitteln, die nicht das Gegenteil bewirken.

Zur Gewalt gegen Ausländer: Der Schwerpunkt der Gewalt gegen Ausländer liegt in den neuen Bundesländern, wo es nur sehr wenige Ausländer gibt. Die Täter sind fast immer junge Männer zwischen 17 und 25 Jahren, meist arbeitslos, sehr häufig unter Einfluß von Alkohol. Daher sind als überwiegende Ursachen anzunehmen fehlende berufliche Aussichten, Langeweile, Frust, fehlende Orientierung (da von Eltern und Schule keine Werte vermittelt wurden). "Die Ausländer" dienen als Sündenbock, denn sie nehmen angeblich den Deutschen die Arbeit weg und werden als Asylbewerber zu gut behandelt. Hinzu kommt das in den neuen Bundesländern aufgrund von 40 Jahren DDR stärker ausgeprägte Nationalgefühl und die in jeder Gesellschaft mehr oder weniger latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit. Die gleiche Tätergruppe und im wesentlichen die gleichen Ursachen finden wir in den alten Bundesländern.

Fast einhellig wird ohne ernsthafte Prüfung bei Gewalt gegen Ausländer als wesentliche Ursache eine rechtsextreme, politische Gesinnung angenommen, weil dies der Förderung des "Kampfes gegen Rechts" dient. Eine Neonazi-Gesinnung kann zwar zu Ausländerfeindlichkeit führen, der Anwendung von Gewalt wirken aber Disziplin, grundsätzliche Achtung des Rechts und die erwarteten Nachteile für die Partei entgegen. Mindestens teilweise werden NS-Parolen ohne entsprechende tatsächliche politische Gesinnung als Gruppenritual und wirksame Provokation verwendet. Eine zuverlässige Aussage über den Einfluß von Neonazi-Gesinnung bei Gewalt gegen Ausländer ist daher nicht möglich. Eine ernsthafte solche Gesinnung dürfte nur bei einem relativ kleinen Teil der Gewalttäter vorliegen und auch dann neben den bereits genannten nur mitursächlich sein.

Die zur Bekämpfung der Gewalt gegen Ausländer eingesetzten Mittel müssen geeignet sein, diese Ursachen zu beseitigen oder wenigstens zu verringern und dürfen nicht zum Teil das Gegenteil bewirken. Das ist aber leider der Fall. Die gegenwärtige, schon fast hysterische Kampagne von Politikern, bekannten Persönlichkeiten aus allen Bereichen und in allen Medien, Gewalt gegen Ausländer gesellschaftlich zu ächten und ihr aktiv entgegenzutreten, ändert an den wesentlichen Ursachen nichts und allenfalls nur wenig an der Einstellung derjenigen, denen die Kampagne gilt. Durch ihre Dauer und Intensität wird sie bestenfalls nicht mehr zur Kenntnis genommen, vielfach führt sie zu Überdruß oder aber zwar nicht zur Billigung solcher Gewalt, aber zur Ablehnung derer, die diese Appelle äußern, unter Umständen sogar zur Ablehnung oder mindestens zur Ablehnung eines weiteren Zuzugs von Ausländern.

Die bundesweite Berichterstattung auch über nur verbale oder geringfügige körperliche Angriffe verschafft den Tätern eine ihnen nicht zustehende Publizität und bringt mindestens die Gefahr mit sich, andere zur Nachahmung zu veranlassen; denn die Täter können leider mit Recht annehmen, daß ein erheblicher Teil der schweigenden Mehrheit ihr Handeln billigt. Diese Berichterstattung, ebenso wie die besonders umfangreichen Fernsehberichte über NPD-Aufmärsche werden von der Linken planmäßig als strategisches Mittel eingesetzt: Denn je größer in den Augen der Öffentlichkeit die Verbreitung von Gewalt gegen Ausländer und von Neonazi-Gedankengut ist, um so erfolgreicher ist die Rolle des unentbehrlichen, moralisch hochstehenden Mahners mit ihrem Nutzen für die Sicherung der Meinungsführerschaft sowie die berufliche oder politische Karriere. Die bundesweite Berichterstattung sollte daher unverzüglich nur noch auf wirklich schwerwiegende Fälle beschränkt werden.

Die Anwendung der vielfach geforderten "vollen Härte des Gesetzes" ist als Abwehrmittel bei Gewalt gegen Ausländer nur geeignet und gerechtfertigt, wenn sie sehr differenziert eingesetzt wird. Gegen diese gegenwärtig massiv von Politikern und Medien erhobene Forderung bestehen schon Bedenken, weil es allein Sache der unabhängigen Richter ist, Art und Höhe einer Strafe, unter Berücksichtigung aller Umstände der Tat zu verhängen, ohne derart massiv in einer bestimmten Richtung unter Druck gesetzt zu werden. Es widerspricht bereits dem Gleichheitsgebot, eine Beleidigung, Körperverletzung oder Tötung allein deshalb härter zu bestrafen, weil das Opfer ein Ausländer ist. Allgemeine Ausländerfeindlichkeit als Tatmotiv ist nicht verwerflicher als politische Gegnerschaft, unpolitisches Schlägertum oder Raub aus Geldgier. Der Abschreckungseffekt von Freiheitsstrafen auf mögliche Täter ist nach den Erkenntnissen der Kriminologie relativ gering.

Daher ist eine Strafe nach Art und Höhe so zu verhängen, daß der Täter möglichst keine weiteren Straftaten, insbesondere Gewalttaten gegen Ausländer mehr begeht. Bei Ersttätern, insbesondere bei noch sehr jungen Tätern ohne Vorstrafen, sowie bei minderschweren Taten wie Beleidigung oder leichter Körperverletzung sollte daher stets geprüft werden, ob nicht eine Geldstrafe oder Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit, ergänzt durch geeignete Maßnahmen der Betreuung und Information, dafür besser geeignet sind als eine Freiheitsstrafe. Bei schweren Taten wird für diese Tätergruppe in der Regel eine Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung besser sein als "die volle Härte des Gesetzes". Dies gilt besonders, wenn die Tat als Mitglied und unter Einfluß einer Gruppe und von Alkohol begangen wurde, und noch mehr, wenn für die Tat allein oder teilweise Neonazi-Gedankengut ursächlich war. In diesen Fällen wird eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung vom Täter und seinen Gesinnungsgenossen nicht als Ahndung einer Straftat, sondern als Maßnahme zur Unterdrückung einer gegnerischen politischen Überzeugung empfunden: Der Täter wird zum Märtyrer und in seiner politischen Überzeugung noch bestärkt, besonders wenn er seine Strafe mit Gesinnungsgenossen verbüßt.

Gewalt gegen Ausländer muß zwar mit allen Mitteln des Strafrechtes geahndet werden. Damit werden aber die genannten Ursachen solcher Gewalt nicht beseitigt. Dazu müssen insbesondere die Eltern, aber auch die Schulen ihre Erziehungsaufgabe wahrnehmen und den jungen Leuten wieder Werte und Orientierung vermitteln, unterstützt von den Medien und Politikern. Die jungen Menschen müssen Arbeit und eine berufliche Alternative erhalten. Auf das insoweit Notwendige einzugehen ist hier nicht möglich. Um der latenten Ausländerfeindlichkeit entgegenzuwirken müssen endlich der Mißbrauch des Asylrechtes beendet und die Sorge sehr vieler Menschen vor einer unkontrollierten Zuwanderung von Arbeitskräften insbesondere im Rahmen der Ost-Erweiterung der EU durch Information und das Aushandeln entsprechender vertraglicher Bestimmungen beseitigt werden. Der Gipfel einer falschen Politik und eine Bankrotterklärung des Unternehmens und des Betriebsrats ist die von Bundeskanzler Schröder hochgelobte Entlassung von zwei Auszubildenden durch EKO-Stahl, die durch ihre neonazistischen Aktivitäten aufgefallen waren.

Zum Rechtsextremismus: Rechtsextremismus wird von den Politikern und Medien weitgehend als politischer Kampfbegriff eingesetzt und als Rechtsextremismus alle politischen Vorstellungen, Ziele und Werte angesehen, die rechts vom gegenwärtigen Meinungsspektrum der im Bundestag vertretenen Parteien liegen. Wie die letzten Monate gezeigt haben, können aber lange Zeit als rechtsextrem bewertete und bekämpfte Forderungen in kürzester Zeit von führenden Politikern übernommenen und in das Meinungsspektrum der im Bundestag vertretenen Parteien integriert werden. Wegen seiner Unschärfe und gedanklichen Verbindung zum Dritten Reich ist der Begriff "Rechtsextremismus" vorzüglich geeignet, die eigene politische Macht zu sichern, das Vertreten abweichender politischer und gesellschaftlicher Vorstellungen und Werte in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Das gelingt sehr weitgehenddank der Unterstützung durch fast alle Medien. Damit wird die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit praktisch spürbar eingeschränkt. Die dem Grundgesetz entsprechende Abwehr ist in erster Linie eine Aufklärung der Öffentlichkeit unter Nutzung der Grundrechte, Einflußnahme auf bestehende Parteien oder Bilden einer neuen Partei und entsprechendes Wahlverhalten.

Der unscharfe politische Kampfbegriff "Rechtsextremismus" darf aber nicht dazu benutzt werden, die Grundrechte Andersdenkender, insbesondere Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit in rechtlich unzulässiger Weise einzuschränken. Parteien haben das Recht auf ungehinderte Betätigung, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht wegen Verfolgung verfassungswidriger Ziele verboten worden sind. Das gilt auch für die NPD. Mit Recht sind daher die Gerichte Versuchen entgegengetreten, der NPD das Recht auf Versammlungsfreiheit zu versagen. Eine damit verbundene unerwünschte Wirkung in der Öffentlichkeit ließe sich statt durch ein Verbot viel besser vermeiden, wenn die Medien statt umfangreicher Berichterstattung die NPD totschweigen würden, wie sie es mit anderen mißliebigen Parteien tun.

Ein Totschweigen wiederspricht aber dem Interesse, der Öffentlichkeit den Eindruck einer möglichst großen "braunen Gefahr" zu vermitteln. Die Parteien und ihre Anhänger, also auch die NPD müssen aber bei ihrer Tätigkeit und allen ihren Verlautbarungen die allgemeinen Gesetze beachten, insbesonderre die Vorschriften des Strafgesetzbuches über das Verwenden von NS-Kennzeichen und Volksverhetzung. Mit diesen Vorschriften lassen sich wirksam Tätigkeiten bekämpfen, die unter Umständen zu Ursachen für Gewalt gegen Ausländer werden.

Über Nutzen und Risiken der gegenwärtig vielfach erhobenen Forderung, die NPD zu verbieten, ist in den Medien in den letzten Wochen bereits so umfassend berichtet worden, daß eine eingehende Darstellung unterbleiben kann. Ich teile die Auffassung der Gegner eines solchen Antrages beim Bundesverfassungsgericht wegen der hohen Publizitätswirkung für die NPD während des Verfahrens, der Ungewißheit seines Ausgangs und der schlechten Erfahrungen mit den bisherigen Parteiverboten einen Verbotsantrag zu unterlassen.

 

Prof. Dr. Folkmar Koenigs lehrt Handels- und Wirtschaftsrecht an der Technischen Universität Berlin.


 
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