© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
Pankraz,
Cardillac und der Streit um die Blutdiamanten

Vor "Blutdiamanten" wird zur Zeit gewarnt. Ob in Antwerpen, Colombo oder Idar-Oberstein – überall an den Edelsteinbörsen und in den Edelsteinschleifereien hängen Bescheide aus, man möge doch beim Erwerb von neuer Ware darauf achten, daß es keine "Blutdiamanten" seien. Neulich beim Weltdiamantenkongreß in Amsterdam wurden globale Strategien gegen den Handel mit "Blutdiamanten" erörtert. Beobachter hielten das freilich für reinen Zynismus; das Blut, das an Diamanten klebt, meinten sie, bringe den Handel doch erst richtig in Schwung.

Blutdiamanten sind also Edelsteine, an denen "Blut klebt". Das Blut von unter Drogen gesetzten Kindersoldaten beispielsweise, die sich gegenseitig in Stücke hacken beim Kampf afrikanischer Warlords um ertragreiche Diamantengruben. Oder das Blut von Grubenarbeitern, die einige Funde am jeweiligen "Grubenbesitzer" vorbei aus der Grube herauszuschmuggeln versuchen, dabei erwischt und ebenfalls in Stücke gehackt werden.

Im allgemeinen gilt (galt bisher): Je blutiger die "Legende" eines Edelsteins, um so größer sein Wert. Nicht der Karat, sondern die blutige Legende ist das eigentliche Wertkriterium. Berühmte Riesendiamanten, der Kohinoor, der Orlow, der Jonker, der Regent, wurden immer wieder kaltblütig neu geschliffen und damit um ein Beträchtliches ihres Fundgewichtes gebracht; den Cullinan gar, mit seinem phantastischen Anfangsgewicht von 3.106 Karat, hat man in neun größere und 96 kleinere Brillanten zerspalten. Doch parallel zur materiellen Verkleinerung wuchs in allen Fällen die Blutrünstigkeit und Verhängnishaltigkeit der Legende.

Kein Finder eines der be rühmten Diamanten ist eines natürlichen Todes gestorben. Der Regent (ursprünglich 410 Karat), auch als "Pitt" oder "Millionär" bekannt und heute im Louvre, machte seinerzeit seine Besitzer, afghanische Mo-gule, indische Maharadschas, automatisch zu potentiellen Mordopfern, bevor er in die Hände des britischen Gouverneurs von Madras geriet, der ihn schleunigst nach London transferierte. Kaum anders war es beim Kohinoor, dem "Berg des Lichts", dessen Anfangsgewicht man nicht mehr kennt und der mittlerweile auf 109 Karat heruntergeschliffen ist; jeder neue Schliff bedeutete eine Art Abschußkerbe, eine Art Totenkreuz.

Beim Orlow (400 Karat) weiß man nicht, ob er der ist, für den man ihn hält. Man hält ihn für den "Großmogul", einen sagenhaften Todesboten, der im siebzehnten Jahrhundert vorzüglich unter persischen Prinzen seine mörderischen Runden drehte (und dabei gut die Hälfte seines Gewichts verlor). Dann verschwand er für eine Zeit – und tauchte plötzlich 1772 beim russischen Grafen Orlow in St. Petersburg auf. War es der Großmogul? Er schimmerte genauso geheimnisvoll blaugrün wie einst dieser, aber die Legende war verloren, und Graf Orlow verschenkte ihn leichten Herzens an die Zarin Katharina die Große.

Weshalb wollen die Menschen Diamanten tragen, weshalb übervorteilen und töten sie sich ihretwegen? Ist es wirklich nur die Schönheit? Gablonzer Glasbläser konnten schon im neunzehnten Jahrhundert billige Imitate herstellen, die nur mit Lupen ausgerüstete Fachleute von echten Steinen zu unterscheiden vermochten. Heute produziert man synthetische Industriediamanten, die an Reinheit und Glanz jeden natürlichen Fund übertreffen. Und trotzdem ist das Geschäft mit "echten" Edelsteinen nicht zusammengebrochen, im Gegenteil, es setzt mafiotische Intrigen in Gang, es speist afrikanische Bürgerkriege, es streut Tod und Verderben aus wie nie zuvor.

Zweifellos ist es das Geheimnis, das zur Schön heit dazutritt und Faszinosum stiftet. Noch im kleinsten Brillantensplitter auf Großmutters Familiencollier lebt etwas von diesem Geheimnis, das die echten Edelsteine umgibt, Erinnerung an schamanische Zeiten, als die Steine die in der Erde wohnenden Geschwister der Gestirne waren, "Geburtssteine", die über unser Schicksal entschieden und, als Amulett um den Hals getragen, vor bösen Geistern schützten.

Man gab diese Steine nicht freiwillig her, denn sie gehörten zu einem wie Herz und Seele. Man machte sich verwundbar, wenn man sie – sei es aus äußerster Not, sei es aus Habgier – verkaufte und Fremden überließ. Je mehr einer mit Steinen zu tun hatte, umso mehr liebte er sie, fühlte sich mit ihnen identisch, kämpfte für sie. Hier hat die unheimliche Geschichte vom Goldschmied und Brillantenschleifer Cardillac ihren Ursprung, die E.T.A. Hoffmann so unvergeßlich niedergeschrieben hat.

Cardillac muß seine Steine und Geschmeide verkaufen, denn er lebt davon, es ist sein Beruf. Andererseits kann er ohne seine Steine und Geschmeide gar nicht leben. Nächtlicherweile begibt er sich auf Raubzug in die Häuser seiner Kunden, um sich "seine" Kostbarkeiten zurückzuholen, und dabei kennt er keine Rücksichten, läßt sich durch keinen Widerstand zurückhalten, wird zum vielfachen Mörder darüber. Die Psychologie spricht seitdem vom "Cardillac-Syndrom", wenn sie Künstler anpeilt (siehe Rembrandt), die sich schwer oder gar nicht von ihren Werken trennen können.

Jene afrikanischen Warlords, die den internationalen Edelsteinhandel zur Zeit mit "Blutdiamanten" versorgen, leiden natürlich an nichts weniger als am Cardillac-Syndrom. Sie verschleudern "ihre" Steine, um dafür Waffen einzukaufen, mit deren Hilfe sie dann weitere Edelsteingruben unter ihre Kontrolle bringen. Ein Teufelskreis, geeignet, unzählige neue Blutlegenden zu stricken, die dann ihrerseits den Wert der in den Handel kommenden Diamanten erhöhen.

Wer hier Remedur schaffen wollte, der müßte das Geschäft wohl im Ganzen (für eine Weile zumindest) aussetzen. Schlechte Aussichten für Amsterdam und Idar-Oberstein.


 
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