© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000


Gedächtnislücken
von Carl Gustaf Ströhm

Mit Staunen nimmt man zur Kenntnis, daß sich auch der Axel-Springer-Verlag – vertreten durch sein leicht ramponiertes Flaggschiff Welt und durch Bild – an einer Internet-Seite "gegen Rechts" beteiligt. Wohlgemerkt: Nicht gegen rechtsextrem, sondern gegen Rechts als solches! Offenbar ging in den Führungsetagen des Springer-Verlages nicht nur die Erkenntnis verloren, daß "Links" keinen Sinn macht, wenn es nicht auch Rechts gibt – und daß das Problem doch eigentlich darin besteht, sich von Totalitarismen aller Art abzugrenzen, seien sie nun "rechtsextrem" oder "linksextrem". Keine von den Springer-Größen – darunter immerhin einige, die noch mit dem großen Axel zusammengearbeitet haben – will begreifen, daß solche Internet-Seiten den ersten Schritt zu Menschenjagden darstellen und daß sie zutiefst dem Wesen eines Rechtsstaates widersprechen. Schlimmer noch ist, daß man im Hause Springer offenbar unter einem Blackout leidet. In den sechziger Jahren waren Axel Springer und seine Mitarbeiter ähnlichen öffentlichen Denunziationen ausgesetzt. Es gab nicht nur Bombenanschläge auf das Verlagshaus in Hamburg (mehrere schwerverletzte Arbeiter und Angestellte), sondern auch den Fall Loewenstern: Der Sohn des prominenten Welt-Redakteurs Enno von Loewenstern wurde damals von einem "linken" Lehrer vor versammelter Schulklasse wegen seines "rechten und reaktionären" Vaters fertiggemacht. Damals stellte sich Axel Springer vor seine Redakteure. Heute beteiligt sich der Verlag am üblen Spiel, das einst gegen ihn selber inszeniert wurde. So ändern sich Zeiten – und Charaktere!


 
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