© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Zahlungsgründe
Karl Heinzen

Rosel und Hans Maass aus Münster wollen auch im Ruhestand nicht verlernen, ein Vorbild abzugeben. Sie, die ehemalige Sozialpädagogin, und er, der pensionierte Oberstudienrat, haben daher jeweils einen fünfstelligen Betrag an die Bundeskasse überwiesen. Damit diese Spende nicht gemeinsam mit den UMTS-Milliarden in der Reduzierung der bundesdeutschen Staatsschuld versickert, wurde der Verwendungszweck akkurat vermerkt: Zwangsarbeiterentschädigung und nichts anderes soll mit dem Geld betrieben werden. Nach der Unterzeichnung der Überweisungsträger hätten sie sich, so das Paar unisono, "irgendwie besser" gefühlt. So schön kann es sein, aus der Geschichte zu lernen.

Ein Zeichen, das man setzen möchte, ist stets aber nur so gut, wie es auch Beachtung findet. Wer meint, mit einer unter dem Schutz des Bankgeheimnisses erfolgten Kontobewegung allein bereits alles gesagt zu haben, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, nur an sein eigenes Wohlbefinden zu denken. Die Öffentlichkeit läßt sich mit Heimlichtuerei nämlich nicht beschämen. Humanität und Eitelkeit dürfen aber nicht gegeneinander ausgespielt werden, damit die bürgerliche Gesellschaft ihren zivilisatorischen Standard halten kann.

Rosel und Hans Maass haben also wie waschechte Verantwortungsprofis gehandelt, als sie der "tageszeitung" einräumten, ihre gute Tat in eine ganzseitige Reportage umzumünzen, die so einfühlsam ist, als hätte das alte Paar sie sich anläßlich eines runden Hochzeitstages selbst geschrieben. Da das Blatt in der Agonie liegt und viele Leser begonnen haben, die letzten Ausgaben aus Sentimentalität zu archivieren, ist den beiden Schreibtischwohltätern ein kleiner Platz in der Erinnerung der Menschen an das große Erinnern in unserer Zeit schon so gut wie sicher.

Die "tageszeitung" wiederum hat sich ungeachtet ihrer Finanznot nicht dazu hinreißen lassen, den Zweck, den das Engagement von Rosel und Hans Maass verfolgt, als rückwärtsgewandt zu denunzieren. Ein solches Urteil wäre allerdings auch nur dann angebracht, wenn wir tatsächlich in dem Bemühen scheitern sollten, das Verhalten der Spender von heute als Auftrag an die morgen lebenden zu verstehen. Wir können zwar nicht verhindern, daß der zeitliche Abstand zu den Schrecken der Vergangenheit wächst und wächst, wir können aber sehr wohl alle diejenigen in ihre Schranken weisen, die daraus auch noch eine seelische Distanz werden lassen wollen. Wer hingegen heute die Verantwortung für etwas übernimmt, zu dem es jenseits der Verantwortungsübernahme keine weitere Beziehung geben kann, schafft Referenzpunkte, die zukünftige Generationen nicht einfach ignorieren können. Kurzsichtig wäre es, die Zahlungsgründe nur um ihrer finanziellen Folgen willen bewahren zu wollen. Nicht minder wichtig ist ihr Nutzen für unsere politische Kultur insgesamt: Eine Bundesrepublik Deutschland, die nicht zu ihrer historischen Verantwortung stünde, ist unvorstellbar.


 
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