© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Schiff ohne Steuermann
Parteien: Die CDU bietet ein klägliches Erscheinungsbild / Angela Merkel muß ihre Führungsfähigkeit erst noch beweisen
Paul Rosen

Vor knapp fünf Monaten, in der Gruga-Halle in der Ruhrgebietsmetropole Essen, versprühten die Christdemokraten noch Hoffnung. Gerade war Angela Merkel, die von der Spendenaffäre unbelastete Generalsekretärin aus den neuen Bundesländern, zur Vorsitzenden gewählt worden. Die Ära des Bimbes-Kanzlers Kohl schien endgültig überwunden. Doch nach einem verheerenden Sommer bietet die CDU ein genauso schlimmes Bild wie zur Schlußphase der Amtszeit von Wolfgang Schäuble. Man streitet sich: über den Umgang mit Kohl, über Rechtsextremismus, über die Verwendung von UMTS-Milliarden. Die Führungsfähigkeiten der neuen Vorsitzenden scheinen stark unterentwickelt.

Jetzt, gut einen Monat nach der verheerenden Niederlage der Union beim Kampf um das bessere Steuerkonzept, zeigt sich, daß der tiefe Einbruch von Kanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel in die Linien der CDU kein Glückstreffer des niedersächsischen Politzockers und seines hessischen Büroklammer-Verwalters war, sondern in erster Linie in der Unfähigkeit der Unionsführung gründete, die eigenen Truppen zusammenzuhalten. Denn was im Bundestag in Form einer Abstimmungsniederlage zum Ausdruck kam, setzt sich seitdem in der politischen Diskussion fort. Statt Alternativen zur Regierungsarbeit zu entwickeln und zu präsentieren, brachte die Union nichts als Kakophonie zustande.

Bisher hat die Opposition nicht begriffen, daß erfolgreiche Parteipolitik kampagnenfähig sein muß. Dabei hatte sie selbst im letzten Jahr – noch unter Schäubles Vorsitz – mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsangehörigkeit das beste Beispiel für die Wirksamkeit solcher Aktionen geliefert. Hilflos sahen die Christdemokraten zu, wie Schröders Medien-Manager eine Kampagne gegen den Rechtsextremismus inszenierten, die die Berichterstattung des ganzen Sommers beherrschte. Ein verzweifelter Konter aus Bayern half der Union wenigstens etwas: Der CSU-Innenminister Günther Beckstein hatte ein Verbot der NPD gefordert, um Schröder unter Zugzwang zu setzen. Das half der CSU selbst etwas aus der Bredouille, weil der zweite Teil der Kampagne, nämlich die Union zur geistigen Mutter der Ausschreitungen gegen Ausländer und anderer Vorfälle zu machen, nicht mehr richtig ins Laufen kam. Der bayerische SPD-Scharfmacher Ludwig Stiegler drang mit seinen Vorwürfen, die CDU/CSU-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sei "der Nährboden, auf dem rechtsextremistische Positionen wachsen", nicht mehr richtig durch.

In der Union gibt es keine politische Koordinierung

Viel zu spät kamen besonnene Stimmen zu Wort, etwa vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Koch rief zu mehr Augenmaß und Sachlichkeit in der Diskussion auf und stellte fest, daß Deutschland weder ein rechtsradikales noch ausländerfeindliches Land sei. Besonders interessant eine weitere Behauptung des Ministerpräsidenten: Die Bundesrepublik stehe "nicht kurz vor der Machtergreifung der NPD". Die verblüffende Tatsache, daß eine Partei, deren Kürzel in den letzten Wochen mindestens so oft zu lesen war wie das der großen Bundestagsparteien und mit Sicherheit häufiger als die FDP, bei Wahlen regelmäßig höchstens ein Prozent erhält, war in der ganzen Debatte nicht zur Kenntnis genommen worden.

Koch hält zudem wenig von einem NPD-Verbotsantrag, was wiederum deutlich macht, daß es in der Union keine politische Koordinierung gibt. Einen weiteren Beleg dafür lieferte die CDU-Chefin: Vehement sprach sich Frau Merkel gegen alle Versuche aus, Aufmärsche der NPD vor dem Brandenburger-Tor durch eine erweiterte Bannmeile, die ein generelles Demonstrationsverbot mit sich bringen würde, zu verhindern. Dafür hatte sich jedoch die CSU-Landesgruppe im Bundestag schon seit dem Umzug des Bundestages nach Berlin ins Zeug gelegt. Die CSU-ler trauten ihren Ohren nicht, als sie von der Merkel-Äußerung hörten.

Angela Merkel reißt die CDU aus ihrer Geschichte

Das gleiche Bild bietet sich in der Steuer- und Haushaltspolitik: Immernoch ist ungeklärt, ob die Union zu einer geschlossenen Haltung bei der Abstimmung über das Steuerergänzungsgesetz findet. Die CSU pocht auf komplette Ablehnung, weil das Ergänzungsgesetz mit seinen Mittelstandsregelungen und einer weiteren, leichten Tarifkorrektur nach unten der Preis ist, den Schröder und Eichel für die Zustimmung der drei von der CDU mitregierten Länder Berlin, Brandenburg und Bremen zur Steuerreform zahlte.

Doch Fraktionschef Friedrich Merz hat die Unionstruppe bisher nicht auf Linie bringen können. Zahlreiche Abgeordnete, vor allem aus den drei genannten Bundesländern, würden am liebsten für das Gesetz stimmen. In diesem Zusammenhang unterlief Merz ein weiterer Fehler: Als die Debatte um die Verteilung der Staatsbeute bei der Versteigerung der UMTS-Funklizenzerlöse losging, stellte sich Eichel stur: Das Geld will der Finanzminister in die Schuldentilgung stecken. Deutschlands föderalistischer Gralshüter Edmund Stoiber verlangte dagegen eine Beteiligung der Länder an den Erlösen in Höhe von knapp 100 Milliarden Mark.

Merz kapierte nicht, daß Stoiber nur aussprach, was viele SPD-Ministerpräsidenten auch denken, und toppte Eichel: Nicht nur die Funkerlöse, sondern auch die durch Schuldentilgung gesparten Zinsen sollten in den weiteren Abbau der staatlichen Verbindlichkeiten gesteckt werden. Damit vertat Merz die einmalige Chance, einen Keil in die Regierung zu treiben.

Doch besonders pikant ist der Umgang der CDU mit Kohl. Während die kampagnenerprobte Süddeutsche Zeitung mit ihren Redakteuren Prantl und Leyendecker eine Breitseite nach der anderen gegen Kohl schoß und damit das öffentliche Interesse an einem inzwischen größtenteils langweiligen Spenden-Untersuchungsausschuß wieder zu steigern verstand, sah sich Frau Merkel in ihrem Anti-Kohl-Kurs nach neuerlichen SZ-Vorwürfen bestätigt. Sie verstieg sich sogar zu einem Aufruf, zu den Einheitsfeierlichkeiten nach Dresden zu fahren, während die CSU auf Boykott setzt, weil Kohl nicht reden darf.

Merkel glaubt, neue Wählerschichten zu erreichen, indem sie Distanz zu Kohl zeigt und ihm nur widerwillig eine CDU-Feierstunde zur deutschen Einheit anbot. Die CDU-Chefin hat nicht begriffen, daß der Altkanzler der Januskopf der Christenunion ist: Er steht für die gesamte Erfolgsgeschichte der CDU, praktisch seit Adenauer, andererseits aber auch für ein absolutistisches Regierungssytem. Man kann diesen Januskopf nicht splitten, indem man die häßliche Hälfte der SPD im Untersuchungsausschuß zum Fraß vorwirft und sich nur an der angenehmen Seite erfreuen will. Frau Merkel reißt damit die CDU aus ihrer Geschichte. Im besten Fall spaltet sie die Partei; im schlechtesten Fall wird die Pastorentochter aus Vorpommern zur Totengräberin der CDU.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen