© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Joyce ohne Ecken und Kanten
Kino II: "Nora" von Pat Murphy
Ellen Kositza

Der irische Schriftsteller James Joyce, geboren 1882 in einem Vorort Dublins, zählt zu den wichtigsten Literaten des 20. Jahrhunderts. Als einer der radikalsten Erneuerer der Sprache – was sich programmatisch bereits in seinem spektakulären Essay "The New Ibsen Drama" andeutet – eröffnete er dem modernen Roman Perspektiven, die noch heute prägend für Stil und erzählerische Weltsicht gelten können. Seine beiden großen Romane "Ulysses" (1922) und "Finnegan’s Wake" (1939) nehmen erstmals in solcher Brachialität die unbewußten Dimensionen des menschlichen Bewußtseins auf. Joyce entwarf hierzu neben der experimentellen Technik des "inneren Monologs" eine Vielzahl von Wirklichkeits- und Zeitebenen und schuf durch einen exzessiven Einsatz von Sprach- und Klangassoziationen eine flirrende Synthese von Realismus und Symbolismus.

"Nora", ein britischer Film, basiert auf der Joyce-Biographie von Brenda Maddox, die das Verhältnis des Schriftstellers zu seiner Frau Nora Barnacle in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt. 1904 war Joyce auf einer Straße in Dublin von der leicht frivol auftretenden Nora (Susan Lynch) angesprochen worden. Die junge Dame mit den geheimnisvollen Gesichtszügen, wie sie halbdüsteren prärafaelitischen Frauenporträts eigen sind, ist vor ihrem Onkel, der gedroht hatte, sie in einem Kloster unterzubringen, in die Großstadt geflüchtet. Sogleich entbrennt eine heftige, vorrangig sexuelle Liebe zwischen Nora und dem Jungdichter. Joyce, nur für Nora und seine Romane lebend, ahnt, daß Irland, wo man sich der derzeit vor allem um die Unabhängigkeit von der britischen Krone bemüht, Gälisch lernt und die alten irischen Schriftsteller wiederentdeckt, ihm keine Zukunft bieten kann. Er, der Intellektuelle, zieht mit der weitgehend ungebildeten Nora nach Triest. Spannungen zwischen den Liebenden, die schon während der Dubliner Zeit erkennbar waren, verstärken sich nun; daß Nora sich weigert, seine Manuskripte zu lesen und seine Begabung anzuerkennen, macht den ehrgeizigen Dichter rasend. Die hitzige Atmosphäre pflegt sich stets erotisch zu entladen, zu einem weiteren Riß innerhalb des Beziehungsgeflechts der beiden Ungleichen kommt es durch zwei aufeinanderfolgende Schwangerschaften Noras. Als Nora dann bemerkt, daß die maßlosen Eifersuchtsanfälle ihres Mannes allein eine Selbstinszenierung seines manischen Egos darstellen und ihm dabei diese übersteigerte Liebesqual als Inspiration für sein dichterisches Werk dient, scheint die Ehe zu scheitern.

Das momentane cineastische Interesse für Künstlerbiographien verwundert ein wenig, und natürlich ist es ein Leichtes, solche Filme über historische Personen zu kritisieren. Zu oft erscheint der Geschmack des angezielten Kinopublikums als maßgebend, Ecken und Kanten der Protagonisten werden zwecks besserer Konsumierbarkeit geschliffen oder verbrämt. So erscheint Joyce hier als durch und durch weiblicher Typ, was auch in Hinblick auf den Darsteller Ewan McGregor verwundert, den man etwa aus "Kleine Morde unter Freunden" und "Trainspotting" als eher markigen Typen kennt. Das Rebellenhafte und Widerspenstige, das andere Biographen als Charakterzüge Joyce’ herausstellen, gerät im Film zu einer bohemehaften Spleenigkeit, zur flatternden Attitüde, ohne daß dies aber tatsächlich beabsichtigt erscheint.

Auch die Begeisterung des jungen Joyce etwa für Nietzsche und für d’Annunzio findet hier keinen Ausdruck, ebensowenig, wie Ezra Pound als berühmter Förderer des Nachwuchsschriftstellers eine Rolle spielt. Immerhin ist es schon gemäß Titel eben Nora als Joyce’ Geliebte und Inspiration, die im Mittelpunkt der Biographie steht. Alles in allem: Mittelmaß.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen