© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Unruhestifter
Klaus Wagenbach verlegt Bücher für "wilde Leser"
Jutta Winckler-Volz

Um die Mitte der sechziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts (so fontanisch lesen sich heuer linke Lebenswege!) verließ ein aus dem tiefsten Westerwald stammender "Germanist" namens Klaus Wagenbach Frankfurt am Main Richtung Berlin/West. Dort meldete er ein "stehendes Gewerbe" an, den Verlag Klaus Wagenbach, quasi als Treffpunkt, als Eckkneipe für ost- wie westdeutsche Autoren. Die diesbezüglich strukturierte Buchserie "Quarthefte" wurde der Beginn einer deutschen Verleger-Karriere, denn siehe: Im Jahr 2000 bringt es Wagenbach mit Frau und Tochter auf fünf Millionen Mark Umsatz.

Im Schrebergarten-Berlin der Bonner bzw. Pankower Ära wirkten, aus leicht einsehbaren Gründen, die unbequemen Quarthefte bzw. -bücher als Unruhestifter. Als solche wurden sie zum Dauerbrenner und Markenzeichen, die Quarthefte, mit Autoren von Biermann über Bobrowski, Behan, Hermlin, Fried (der Bigseller!) bis Antonioni. Die Quartbücher reussierten, als sich Kafka-Forscher Wagenbach der romanischen Welt zuwandte: Malerba, Bilenchi, Meneghello, Manganelli, Pasolini. Letzterer lieh Wagenbachs undogmatisch linker Zeitschrift "Freibeuter" den Namen, längst ebenso legendär wie seine Anthologie "Vaterland, Muttersprache"; mit ihr dürfte sich der kürzlich siebzig Jahre gewordene Verleger um den Zusammenhalt der Nation verdient gemacht haben.

"Die Linke neu denken! Acht Lockerungen" (WaT 112) so die Losung, wenn überhaupt, des politisch ambitionierten Literaturmenschen, der keinerlei Talent zum Parteigänger hat. Bis dato verlor er nie den Geschmack für "die Süße des Lebens" (P. Aries) und lächelt mittlerweile fast weise über allzu krampfhafte "Versuche, das Leben zu ordnen" (K. Wünsche). Wagenbach-Autorennamen haben Schall und Rauch: Kleist, Dutschke, die Meinhof ("Bambule"), Peter Brückner, Marat, Bobbio ("Rechts und Links"), Burkert, Baron, Sohn-Rethel. Pessoa und die Barnes wurden unter das hiesige Lesevolk gebracht, die Sitwell, Boris Vian und die Ginzburg, und erst im vergangenen Jahr Michel Houellebecq.

Drollig fragt eine Anthologie "Wieso Bücher?" und weiß vielleicht, wie verzweifelt nahe sie damit an künftigen Realitäten ist. Ins Snobhafte spielend gibt sich Wagenbach, wenn er mit einer Wendung seines prominenten Autors Brückner zu wissen begehrt, "wie und mit welchen Absichten man gute Bücher, Zimmerbrände und deutsche Umgebung überlebt". Als kaufmännisch geschickter Autodidakt hat er den 68er-Trubel sowie die "neokonservative Wende" unter Brandt, Schmidt und Kohl verlegerisch überlebt. Ebenso die "Wende" von 1989, näherhin die Selbstaufgabe des Politischen zugunsten von Totalökonomie und Privatisierungsmanie. Nun drohen EU-europäische "Erweiterungen" und die Rundum-Virtualisierung des Lebens. Wagenbach aber macht weiter: rote, gelbe, schwarze, blaue, grüne Bücher für Leute mit Lese-Eros.


 
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