© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Für Mädchen keineswegs nur positive Aspekte
Koedukation: Auch rot-grün regierte Länder beschreiten bildungspolitisch konservative Wege
Arne Schrader

Grundsätzlich zeigen empirische Studien seit Jahr und Tag tendenziell gleiche Ergebnisse auf: Mädchen haben im Prinzip die gleichen Begabungen wie Jungen, nur unterschiedlich gelagerte Interessen. Diese wiederum sind Ergebnisse sogenannter geschlechtsstereotyper Erziehung im Elternhaus und in der Schule. Die Mädchen werden mit rosa Kleidchen ausstaffiert, bekommen Püppchen geschenkt und wollen schließlich Krankenschwester oder Tierärztin werden. Die Jungen wiederum erhalten ihren hellblauen Strampelanzug, unter dem Weihnachtsbaum stehen Autos, Flugzeuge oder Computer, was sie konditioniert, Polizist oder Lokomotivführer zu werden.

Sicher, man kann alles auf die Spitze treiben, wer aber erinnert sich nicht an die oben beschriebenen Charakteristika typisch weiblicher und typisch männlicher Erziehung bei sich oder in seinem persönlichen Umfeld?

Wenn es scheinbar nicht gelingt, die traditionelle geschlechtsstereotype Erziehung im Elternhaus von außen so zu beeinflussen, daß sie sich nicht mehr auf das Verhalten der Heranwachsenden, vor allem im schulischen Bereich auswirkt, dann muß man eben die schulische Erziehung, und hier vor allem die Art und Weise der Unterrichtung ändern, so zumindest fordern es die Befürworter der "reflexiven Koedukation". Diese sieht einen teilweise getrennten Unterricht von männlichen und weiblichen Schülern vor. Teilweise insofern, daß z.B. in naturwissenschaftlichen Fächern (in denen Mädchen anhand der Third International Mathematics Science Study von 1997 "in allen Schulformen schwächere Leistungen bringen"), Mädchen und Jungen nicht diesselben Kurse besuchen. Nach Beobachtungen der GEW Baden-Württemberg zeigen verschiedene Studien, daß gerade in Informatik, aber auch in anderen naturwissenschaftlichen Fächern, weiterhin das traditionelle Rollenbild gilt: Jungen spielten sich häufig in den Vordergrund, und die Mädchen übernähmen die Assistentenrolle am Computer. "Wird dieses tradierte geschlechtsspezifische Verhalten nicht thematisiert und aufgebrochen," so die stellvertretende Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg Anne Jenter, "verfestigen sich die alten Geschlechterrollen". Dies zeigt, daß in den Augen vieler Pädadogen anscheinend die alten Geschlechterrollen in unserer modernen Zeit nichts mehr zu suchen haben, die alten Methoden getrenntgeschlechtlicher Erziehung jedoch wieder zeitgemäß sind.

Die Ordinaria Hannelore Faulstich-Wieland (Universität Hamburg) stellt dazu in Übereinstimmung mit verschiedenen "FrauenforscherInnen" und Erziehungswissenschaftlern an deutschen und ausländischen Universitäten fest, daß in koedukativen Klassen, in denen die Lehrkräfte konservative, auf strengen Regeln basierende Erziehungsmethoden angewandt haben, keine Benachteiligungen des jeweils anderen Geschlechtes stattgefunden hätten.

Befinden wir uns auf dem Weg zur traditionellen Form der Mono-Edukation, bzw. zur Rückkehr zu Lehrmethoden die nicht unbedingt mit dem Stichwort "Pädagogik" zu beschreiben sind? Wohl kaum. Das Bemühen um bessere Ausbildung scheint echt und angesichts der Offenbarung und des Eingeständnisses, daß Koedukation auch nicht der Stein der Weisen ist, wirklich ein Ansatzpunkt zur Diskussion. Andererseits läßt sich natürlich auch fragen, ob dieses Eingeständnis nicht eine Bankrotterklärung für die Koedukations-Befürworter ist. Schließlich stellt Faulstich-Wieland in ihren Publikationen die Frage: "Koedukation – Enttäuschte Hoffnungen?". Die Debatte um die getrennt- bzw. gleichgeschlechtliche Unterrichtung von Jungen und Mädchen ist heute leider zum Teil oft ideologisch befrachtet und unsachlich, ganz im Gegensatz zu der Zeit, als es um die schrittweise Einführung des gemeinsamen Unterrichtes ging. Damals, so Faulstich-Wieland, seien es hauptsächlich pragmatische, ökonomische Gründe gewesen, die in der Bundesrepublik zur Umwandlung von Mädchen- und Jungenschulen zu gemeinsamen Schulen geführt hätten. In der DDR gab es, bis auf den Sportunterricht, von Anfang an keine Diskussion über die Trennung der Geschlechter: Koedukation wurde proklamiert und paßte natürlich ganz in das sozialistische Selbstverständnis.

Heutzutage melden sich der Deutsche Akademikerinnen Bund, das Frauenbüro der Uni Kaiserslautern und andere zum Teil schon von der Namensgebung her eher als "alternativ" einzuschätzende Institutionen zu Wort. Diese Wortmeldungen kommen meist in ihren Ausführungen zu der späten, bereits beschriebenen Einsicht, daß "aufgrund der heutigen vorliegenden wissenschaftlichen Befunde festgestellt werden muß, daß die Aufhebung der getrennten Ausbildung für Mädchen und junge Frauen keineswegs nur positive Effekte hat." Hieraus werden auch in rot-grün regierten Bundesländern inzwischen Forderungen in Kultusministerien formuliert. So z.B. in Nordrhein-Westfalen, wo die für Schule, Wissenschaft und Forschung zuständige Ministerin Gabriele Behler (SPD) ihrem Wunsch nach getrenntgeschlechtlicher Erziehung auch Taten folgen läßt. In den neuen Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe wird bereits statt der bislang geltenden undifferenzierten eine reflexive Koedukation verlangt. Letztendlich ist es wohl zur Zeit noch müßig, endgültige Forderungen aufzustellen. Es finden sich schließlich immer Pädagogen, die je ein System vertreten. Es bleibt abzuwarten, was neue Studien, die wohl nach Ansicht aller Beteiligten nötig sind, für Ergebnisse aufzeigen. Erst mit gesicherten, konkreten und vor allem aktuellen Erkenntnissen läßt sich eine sachliche Diskussion in Gang setzen.


 
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