© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
PRO&CONTRA
Volksentscheid über EU-Erweiterung?
Ralph Kampwirth / Joachim Gross

Alle sind sich einig. Das Volk muß besser über die Politik der Europäischen Union informiert werden. Dieses Bekenntnis hat Günter Verhaugen mit seinem Vorstoß für ein Referendum über die EU-Osterweiterung allen, die sich in den letzten Tagen zu Wort gemeldet haben, abgetrotzt. Doch von einer Volksabstimmung will niemand etwas wissen. Der fast einhellige Tenor lautet: Informieren ja, aber entscheiden sollen doch bitteschön weiter Berlin und Brüssel. Der Bürger wird generös abgespeist. "Wir sagen Dir gerne, was richtig ist. Aber Deine Meinung interessiert uns nicht."

Diese Doppelzüngigkeit droht zu einem Eigentor zu werden. Denn Europa ist ohne Bürger nicht zu machen. Die Integration kann nur mit den Menschen, nicht ohne oder gegen sie gelingen. Wenn tatsächlich soviel Interesse an Aufklärung besteht, dann ist der Volksentscheid das geeignete Instrument dazu. Erstens zwingt er die Politiker förmlich dazu, die Bürger zu überzeugen, denn nur so kann eine Volksabstimmung gewonnen werden. Und zweitens werden sich Bürger, die wirklich etwas zu sagen haben, auch mehr informieren. Dort, wo die Bürger gefragt werden, nimmt ihr Kenntnisstand erheblich zu. Die Dänen zum Beispiel, die schon des öfteren über die EU abstimmten und es in Kürze wieder tun, wissen sehr viel besser über Europa Bescheid als die Deutschen. Je informierter die Bevölkerung, desto weniger gibt es Platz für Populismus. Europa kann nur dadurch gewinnen.

Die Diskussion zeigt, daß man Volkabstimmungen nicht der Willkür der Tagespolitik überlassen darf. In das Grundgesetz sind Regeln einzuführen, die genau besagen, wann das Volk das Wort hat. Dazu gehören neben dem Recht auf Volksbegehren auch obligatorische Referenden über die Abgabe von Souveränitätsrechten an internationale Organisationen. Hätten wir derartige Verfahren, würden sich Politiker schon heute auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: Beim Volk um Zustimmung für ihre Politik zu werben.

 

Ralph Kampwirth ist Pressesprecher der Bürgeraktion Mehr Demokratie e. V.

 

 

EU-Kommissar Günter Verheugen hat in ein Wespennest gestochen. Mit seiner mehr oder weniger privaten Forderung nach einem Volksentscheid über die Osterweiterung der Europäischen Union hat er gezeigt, woran es in Deutschland mangelt: an einer breiten Debatte über zentrale Fragen der europäischen Politik. Die Bürger werden nur unzureichend über die großen Entscheidungen der EU informiert. Das war beim Euro so, und das ist auch bei der Erweiterung der Fall. Und so ist die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen die Osterweiterung. Angst um Arbeitsplätze, Furcht vor Konkurrenz aus dem Osten stehen hier gegen die Tatsache, daß kein anderes Land in der EU mehr als Deutschland von einer Erweiterung der Gemeinschaft profitieren wird.

Die latenten und irrationalen Ängste müssen abgebaut werden. Die Politik hat die Aufgabe, den Bürgern die Vorteile der Osterweiterung näherzubringen. Darum geht es Günter Verheugen: die Debatte muß von den politischen und wirtschaftlichen Eliten in die breite Öffentlichkeit verlagert werden. Es gilt, in einen Dialog mit dem Wähler zu treten. Und für diesen Dialog braucht es nicht den Umweg über eine Volksabstimmung. Natürlich kommen die Forderungen nach mehr direkter Entscheidung gut an. Aber mit einem Referendum auf mehr Akzeptanz zu hoffen, ist der falsche Weg.

Deutsche Politik wird von Regierung und Opposition konzipiert und entschieden, und man kann von einem mündigen Bürger erwarten, daß er sich daran bei den Wahlen erinnert. Entweder man vertraut den politischen Entscheidungsträgern, oder man wählt sie ab. Der Ruf nach einem Referendum ist falsch und stärkt nur Populisten. Das weiß Günter Verheugen, und genau deshalb fordert er mehr Offenheit im Umgang mit den Problemen der Erweiterung. Darüber hinaus müssen dem Bürger die Entscheidungsprozesse in der europäischen Politik transparenter gemacht werden. Nur so kann man die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen.

 

Joachim Gross ist Sprecher der EU-Kommission in Deutschland


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen