© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
DDR-Spione müssen sich nicht mehr fürchten
Am 3. Oktober laufen die Fristen für die Strafverfolgung ab / CDU-Politiker und ehemalige Bürgerrechtler sind empört
Steffen Königer

Wenn Politiker unbequeme Wahrheiten der Öffentlichkeit preisgeben müssen, kommt es immer wieder zu unschönen Aktionen. Der diesjährige Feiertag zur deutschen Einheit am 3. Oktober könnte nicht nur ein Feiertag derer werden, die den Tag als Staatsakt begehen möchten. Auch ehemalige Stasi-Westagenten haben Grund, diesmal das ein oder andere Glas mehr auszutrinken. Der Anlaß hierfür ist so einfach wie erschreckend: nach zehn Jahren laufen die Fristen für jene ab, die sich zu DDR-Zeiten des Landesverrates an der Bundesrepublik schuldig gemacht haben. Zumindest ist offenkundig, wieviele ehemalige Spitzel beim Zusammenbruch der DDR sich im Dunstkreis westdeutscher Politiker aufhielten. Nach Angaben von Hubertus Knabe, Mitarbeiter der Gauck-Behörde, wurden von 31 Agenten bisher nur 12 enttarnt.

Der Schlüssel für die restlose Enttarnung aller Spione liegt nicht einmal in Deutschland, sondern in der CIA-Zentrale in Langley. Hierher wurden von den USA Anfang der neunziger Jahre die brisanten Stasi-Karteien verschifft. Der Deckname dieser Nacht- und Nebelaktion lautete "Rosenholz". Trotz der jahrelangen Forderung von deutscher Seite, diese Unterlagen zurückzugeben, begannen die Vereinigten Staaten erst im Frühjahr 2000 (zehn Jahre später!) die ersten, mittlerweile auf CD-Rom gespeicherten, Daten zurückzugeben. In diesem Jahr wurden zwei (!) von 1.000 CD-Roms geliefert, die nicht einmal zu lesen sind, da die Behörden die Lesesoftware nicht nachreichten.

Regierungsbeamte üben sich in Hinhaltetaktik

Zwar hatte man von deutscher Seite den Wunsch geäußert, die Daten auf eine andere Hardware überspielen zu lassen, doch dann brach unverhofft eine Ferienzeit in den USA herein, wofür man doch hierzulande nichts könne, behauptete der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Fritz Rudolf Körper der Sendung "ARD-Report". Auf genauere Nachfrage ergab sich dann, daß es keine Ferienzeit im Bundesstaat Virginia gibt, zumindest macht die softwareproduzierende Branche keine Pause.

Während es nicht einmal mehr 30 Tage bis zum Verstreichen der Frist sind, üben sich die Berliner Regierungsbeamten, insbesondere die des Innenministeriums, immer noch in Warte- Hinhalte- und Verhinderungstaktiken. Einerseits wird umständlich geprüft, ob es sich überhaupt um Stasi-Akten handelt, obwohl dies schon aus einer vertraulichen Erklärung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes hervorgeht, welche bereits 1994 vorlag. Andererseits wird einfach behauptet, die Unterlagen wären zur Geheimhaltung eingestuft, was das CIA vehement gefordert hätte, nur in Einzelfällen ließe sie über eine Aufhebung mit sich reden. Bei einer Nachfrage im Januar ließ Cornelie Sonntag-Wolgast verlautbaren, daß eine Einschränkung der Wertungshoheit über die Daten durch die USA weder vereinbart noch beabsichtigt sei. Nun also eine 180-Grad-Kehrtwendung, alle Unterlagen sind streng geheim.

Vera Lensgfeld kritisiert Gesetzesvorstöße der PDS

Aus dem Hauptquartier des Geheimdienstes in Übersee ist aber zu vernehmen, daß man gar nicht auf Geheimhaltung bestehe, sondern daß ein weiterhin gutes Verhältnis zu den deutschen Geheimdiensten wichtiger sei. Doch an solcherlei "Spekulationen" will sich der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Ernst Uhrlau, erst gar nicht beteiligen.

Sylvia Bonitz, für die CDU im Bundestag, hatte schon mehrere schriftliche parlamentarische Anfragen gestellt, die allesamt mit ziemlich zynischen Bemerkungen beantwortet wurden. Auf die Frage, wann die Bundesregierung denn hinsichtlich der Abstufung der Secret-Klassifizierung konkret in Verhandlungen mit den USA eintreten, hieß es, wenn außergewöhnliche Umstände dies erforderlich machten, kommt in Einzelfällen eine Abstufung in Betracht. Wegen der ablehnenden Haltung der US-Seite könne nicht das gesamte Material herabgestuft werden, deshalb würde die Bundesregierung dieses Petitum zu einem späteren, geeigneten Zeitpunkt wieder aufgreifen. Angesichts der noch verbleibenden Zeit ein Armutszeugnis für die Regierung.

Besonders pikant ist aber, daß es sich hier gar nicht um (seitens der US-Regierung) geheimhaltungsfähige Akten handelt. Es sind originäre deutsche Unterlagen, die sich lediglich auf CD-Rom befinden und keinem Abkommen über Geheimhaltung unterliegen, es sei denn die USA würden dies einfordern. Viel Lärm um Nichts. Alles sieht so aus, als ob jemand in der Regierung kein oder zumindest geringes Interesse daran hat, den vollen Umfang der Staatsspitzel der DDR in der Bundesrepublik freizulegen. Dies ist auch daran zu erkennen, daß im Falle einer Einsicht die Regierung sich vorbehalten will, wer Akteneinsicht erhalten soll.

Vera Lengsfeld kritisierte in ihrer Rede vom 6. Juli diesen Jahres im Bundestag auch die Gesetzesvorstöße der PDS, die sich genau mit diesen Punkten beschäftigen, oder besser sie zu vermeiden suchen. Denn was die SED-Nachfolgepartei wollte mit ihren Anträgen vom März dieses Jahres erreichen, die Strafverfolgung für die von Spitzeln der DDR begangenen Straftaten, wie zum Beispiel schwerer Landesverrat, zu verhindern. Andere Taten wie Spionage sind bereits verjährt. Aber nicht nur die Niederschlagung der Strafverfolgung ist Gegenstand dieser Petition, sondern die PDS spricht offen von Haftentschädigung verurteilter Straftäter. Dies bezog sich zwar auf die in der Bundesrepublik gesprochenen Urteile, entbehrt jedoch nicht einer Ironie.

Wenn sich die Bundesregierung nicht dazu entschließen kann, schonungslos alle Landesverräter zu benennen, auch wenn dies weitreichende Folgen haben sollte, und der PDS weiterhin Schützenhilfe liefert, dann könnte Lengsfelds Vision, bald über die Errichtung eines Mahnmals für den unbekannten Stasi-Spitzel diskutieren zu müssen, näher an der Realität sein, als man noch vor Jahren gedacht hätte.

 

Nachtrag in JF 38/00 Betrifft: JF 37

– Die Beiträge "DDR-Spione müssen sich nicht mehr fürchten" und "Zu knapp geraten" sind durch einen bedauerlichen Fehler unkorrigiert in Druck gegangen (Seite 5).

– Die arabische Maghreb-Union ist als Pendant zur EU gedacht; sie ist selbstverständlich kein Pedant (Seite 6).

– Das Buch "Die Canossa-Republik" stammt nicht von Franz Uhle-Wettler, sondern von dessen Bruder Reinhard (Seite 14).


 
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