© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Das Verstehen ist gar nicht so wichtig
Philosophie: Horst Mahler, die NPD und Hegel
Angelika Willig

Die NPD bemüht sich neuerdings um Distanz zu den gewaltbereiten Glatzen. Es wird der Partei deshalb Feigheit vorgeworfen. Sie behaupten, daß die Furcht vor einem Verbot dahintersteckt. Dabei kann von Feigheit keine Rede sein bei einer Partei, die Horst Mahler als Mitglied aufnimmt. Mahler ist nicht nur vorbestraft, sondern vor allem Hegelianer. Und da versteht man unter "Deutschem Idealismus" etwas anderes als in diesen Kreisen erwartet. Je mehr Hegel in die NPD eindringt, desto weniger Skins werden in ihr Platz finden. Es gibt einen Fragebogen mit einigen Begriffen aus der "Wissenschaft der Logik".

Im Ernst, was will Mahler mit Hegel, und was will er damit in der NPD? Die Frage muß man gar nicht gleich so philosophisch angehen. Hegel ist politisch korrekt, aber weithin vollkommen unbekannt, vor allem bei den Journalisten, auf die Mahler trifft. Also braucht er keine Nachfragen zu befürchten. Er hat im Gegenteil einen Joker in der Hand, den er nur zu zücken braucht. Hegel zeigt an, daß er, Mahler, sich vom Marxismus verabschiedet hat, ohne in die konkurrierende angelsächsische Tradition der Empiristen und Skeptizisten zu verfallen. Mit Hegel bleibt man auf ziemlich ungefährliche Weise deutsch. Schließlich ärgert ihn wahrscheinlich das Niveau der neuen Kameraden und ruft das Bedürfnis nach einer strengen Schulung wach. Nietzsche zum Beispiel ist keine "strenge Schulung", sondern so ungefähr das Gegenteil. Auch zum Kennenlernen von Argumentationsstrategien ist Hegel besonders geeignet. Das Problem mit Hegel besteht jedoch darin, daß er kein Nationaler und erst recht kein Revolutionär gewesen ist, sondern der preußische Staatsphilosoph, der der Obrigkeit Ratschläge zur gründlicheren Verfolgung von Andersdenkenden gab. Ein Reaktionär und politischer Scharfmacher also und das nicht im Widerspruch mit der eigenen Lehre. "Was vernünftig ist, das ist wirklich", erklärt der Philosoph, "und was wirklich ist, das ist vernünftig." Schon früh hat man darin das "klassische Wort des Restaurationsgeists, die absolute Formel des politischen Konservatismus, Quietismus und Optimismus" gesehen. Man nannte es "eine furchtbare Doktrin, welche das Bestehende als Bestehendes heilig spricht". Hegel wurde damit zum offiziellen Restaurations- und preußischem Staatsphilosophen. – Was will Mahler mit dem in einer staatsfeindlichen Gruppierung?

Auch die Linksradikalen hatten sich in ähnlich geheimnisvoller Weise auf Hegel bezogen. Licht kommt in das Rätsel, sobald man Marx als sogenannten "Linkshegelianer" kennen lernt, der den Idealismus "vom Kopf auf die Füße" stellen will. Das kann alles heißen, das kann auch heißen, aus dem großen Ja-Sager einen genauso großen, sprich totalen und radikalen Nein-Sager zu interpretieren und damit auf den revolutionären Zug aufzuspringen. Auf welchen Hegel bezieht sich nun Horst Mahler? Offensichtlich auf keinen von beiden: der konservative Hegel muß ihm genauso zuwider sein wie der revolutionäre Hegel aus den Händen von Karl Marx. Am Ende erscheint der Anwalt als verspäteter Linkshegelianer, der einem gerade pleite gegangenen Marx Konkurrenz machen will. Klingt zunächst mal nicht sehr aufregend.

Interessant ist aber, wie sich die Totalitären immer wieder um Hegel sammeln. Man könnte fast sagen, der Nationalsozialismus sei kein totalitäres System gewesen, weil hier Hegel nichts galt. Anders in Italien, da herrschte der Hegelianer Gentile. Hegel bedeutet immer wieder die Beseitigung von Widersprüchen, die Vermittlung, die Versöhnung. Setzt man die als Tatsache, kommt der Reaktionär, setzt man sie als Forderung, kommt der Revolutionär heraus. Der Unterschied ist nicht so groß wie die Gemeinsamkeit des Totalen. Nun wird es bei Mahler noch schwieriger, da er nicht als Rechtshegelianer auftritt, sondern als rechter Linkshegelianer. Denn sein Programm bleibt die Revolution unter veränderten Vorzeichen, die übrigens mit Hegel nicht mehr viel zu tun haben. Der Philosoph ist weder Nationalist noch Sozialistischem aufgeschlossen. Was Mahler mit Hegel und der Erinnerung an Hegel und den Deutschen Idealismus will, ist, an die verlorene vermißte Totalität erinnern, naiv könnte man sagen: er will die Sinnfrage stellen. Denn ähnlich wie das "Projekt der Moderne" beinhaltet auch das Projekt des Deutschen Idealismus, ursprünglich als Gemeinschaftsaufgabe gesehen, die Utopie einer veränderten Gesellschaft. Und darauf – will wohl Mahler sagen – kommt es jetzt vor allem an: nachdem das Projekt der Moderne zum immer größeren Schrecken wird, eine positive Utopie dagegen zu setzen, um uns wieder handlungsfähig zu machen. Hegel ruhte nicht, bis er alles "vermittelt" und "versöhnt" hatte – allerdings nur auf dem Papier. Die reale Versöhnung bleibt – auch wenn Hegel das selbst nicht so sah – ein Auftrag an die Geschichte. Dem man in unterschiedlicher Weise nachkommen kann, marxistisch oder antimarxistisch, nazistisch oder antinazistisch, kapitalistisch oder antikapitalistisch. Was nicht geht oder nicht mehr gehen soll, ist das Übersehen eines solchen Auftrags und das Verschwinden im Persönlichen und Privaten. Das "Kleinbürgerliche" haben auch die Radikallinken immer besonders gehaßt. Das Kleinbürgerliche ist aber dieses Privatistische, und insofern sind wir alle Kleinbürger geworden. Um den Menschen da herauszuholen, definiert man ihn nach Klasse, Rasse, Stand, egal, Hauptsache nicht als einzelnen.

Man hat die Hegelsche Dialektik immer wieder als eine "Methode" bezeichnet, so als ob sie vom Ziel unabhängig zu nutzen sei. In Wirklichkeit ist die Dialektik nur dann überzeugend, wenn hinter jedem Widerspruch der eine große Widerspruch zwischen Sein und Erscheinung, die Grundfrage, sichtbar wird, und die Antwort, die Hegel gefunden hat, gilt auch nur für diese Grundfrage. Die Dialektik ist gefunden als Voraussetzung für die Versöhnung. Liegt einem an Versöhnung – an Revolution – nicht, geht die Dialektik gleich nicht mehr auf.

Was Mahler mit Hegel will, steht wahrscheinlich schon in dem "Ersten Systemprogramm des deutschen Idealismus", das nicht von Hegel, sondern – wahrscheinlich – von Hölderlin geschrieben, aber aus den Gesprächen mit dem jungen Hegel entstanden ist. Hier geht es um Wissenschaft weniger als um das Gefühl; dem späteren Hegel dürfte es peinlich gewesen sein. Und auch Mahler schmückt sich lieber mit der ehrfurchtsgebietenden Autoriät, auch wenn die vom eigentlich Gemeinten schon bald immer weiter abkam. Bis zum absoluten Begriff, den man vielleicht verstehen, aber sicher nicht lieben kann.

Das Verstehen ist aber gar nicht so wichtig. Beim Einmarsch Napoleons notierte Hegel, welchen Eindruck es auf ihn gemacht hatte, diese "Weltseele", die "auf einem Punkt konzentriert, auf einem Pferd sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht". So sollte Horst Mahler nicht verzweifeln, wenn die Partei nicht mitzieht bei der Bewußtseinserweiterung. Man kann Geschichte machen, ohne sie zu begreifen – vielleicht nur so.

 

Dr. Angelika Willig, 37, hat in Freiburg und München Philosophie und Germanistik studiert und 1994 über Heidegger und Jaspers promoviert.


 
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