© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Höhere Einheiten, unterlaufen
Norbert Staub untersucht Ernst Jüngers Schrift "Das abenteuerliche Herz" und ihren Kontext
Tobias Wimbauer

Ernst Jüngers Schrift "Das abenteuerliche Herz" (1929) gehört zu den faszinierendsten Büchern des ausgeklungenen Jahrhunderts. Die erste Fassung mit dem Untertitel "Aufzeichnungen bei Tag und Nacht" erschien 1929 im Berliner Frundsberg-Verlag, die Auflage wurde bald schon von der Hanseatischen Verlagsanstalt übernommen. Dort erschien 1938 auch die zweite Fassung, die mit dem Untertitel "Figuren und Capriccios" versehen wurde. Diese zweite Fassung ist das "Ergebnis radikaler Umarbeit" (Gerhard Loose), nur knapp ein Sechstel der Urfassung wurde von Jünger übernommen. Beide Fassungen wurden in die Gesamtausgaben aufgenommen und sind heute auch als Einzelausgaben in Jüngers Hausverlag Klett-Cotta greifbar.

Das "abenteuerliche Herz" in der ersten Fassung und sein Kontext ist ein sehr lohnenswertes und ergiebiges Thema für ein Doktorarbeit. Norbert Staub hat 1998 in Zürich bei Peter von Matt seine Dissertation hierüber vorgelegt, die nun als Buch erschienen ist.

Staub geht vom "Abenteuerlichen Herz" als einer "fiktionalisierten Autobiographie" aus, dessen tagebuchähnliche Struktur einer Verrätselung und Verschleierung des fiktionalen Charakters dienlich sei. Das "abenteuerliche Herz" bewege sich im "Banne einer vom ’Leben‘ diktierten Räume-Lehre", es habe zwischen "Sein" und "Schein" Mittlerfunktion.

Jünger: "Ich hege einen Verdacht, der die Grenzen der Gewißheit streift: daß unter uns eine erlesene Schar, die sich längst aus den Bibliotheken und dem Staub der Arenen zurückgezogen hat, im innersten Raume … an der Arbeit ist". Dieses "Geheime Deutschland" (Stefan George) wirkt im Verborgenen, der "geheime Konsensus – all dieser Abseitigen, Ungekannten, von Geistenot sich selber berufen Habenden – ist die einzig mögliche deutsche Akademie" (Hugo von Hofmannsthal), deren Dasein "höhlenhaft (Oswald Spengler) ist. Das "Abenteuerliche Herz" ist das Buch dieser Erlesenen, die Staub auch für eine "militante Splittergruppe mit konspirativen Absichten" hält, diese Höhlenhaftigkeit könne eine Art Fortsetzung der Abgeschiedenheit der Schützengräben des Stellungskrieges sein.

Auf die vorzügliche Frage "Hat der ’Arbeiter‘ ein ’abenteuerliches‘ Herz?", (man muß hier etwa an das Moment des "Plötzlichen" denken und erwartet Aufschluß darüber, wie dieses sich mit der uniformierten, versachlichten Welt des "Arbeiters" verträgt) weiß Staub auch keine befriedigende Antwort. Abschließend wird untersucht, wie Motive des "Abenteuerlichen Herzens" Eingang in Jüngers Werk nach 1929 gefunden haben. Staub konstatiert hier immerhin, daß Jünger die "sozio-politischen Prozesse mitunter bestechend klar" sehe.

Staub will das "Abenteuerliche Herz" wissenschaftlich und nicht ideologiekritisch – bislang meist die übliche Lesart – angehen. Dies gelingt ihm oftmals nicht: Daß ein Tod im Kriege "nichts als unerträglich" sei, ist eine "Verzerrung aus der Ex-Post-Perspektive" (Rolf Peter Sieferle), die genauso merkwürdig ist wie die Behauptung, daß es "Demagogie" gewesen sei, den Weimarer "Erfüllungspolitikern" "Verantwortungslosigkeit" vorzuwerfen (Weimar wird von Staub übrigens als "zarte Pflanze der republikanischen Staatsform" vorgestellt). Dies gründe wohl auf einem "Nationalistentrotz im Weimarer Milieu".

Jüngers Erzählung "Sturm" sei "auf nicht sonderlich ernstzunehmendem Niveau" und "absurd". Kriegsreminiszenzen werden als "entleerte Rhetorik" abgetan und als "schepperndes Reservoir einer bemüht wirkenden Metaphorik". Jünger habe mit der Veröffentlichung von Überarbeitungen der "Stahlgewitter" diese "wie manisch wieder und wieder auf sich und seine Leser niederprasseln" lassen und dergleichen mehr. Jüngers Blechsturz-Schilderung als Gleichnis für das Schrecken (überzeugend interpretiert von Karl Heinz Bohrer) wird bei Staub zum "eher befremdenden bildungshuberichen Schematismus" des "Angst-’Registers‘". Staub findet bei Jünger "szenisch-sinnliches Brimborium", "rhetorische Impertinenz", "Gesinnungs-, Pamphletsrhetorik", "maßlosen Heroen-Kitsch", eine "unsäglich-wabernde Zone des deutschen (und gar des antiken) Mythos", "Geistesextremismus", "schwammige Verherrlichung" und vieles "politisch Bedenkliche". Zur Erinnerung: Staub will Jünger nicht ideologiekritisch betrachten.

Bei einer homoerotisch-sexuellen Traumdeutung à la Freud mit (so Staub: irreführender und riskanter) Theweleit-Komponente räumt Staub immerhin ein, zu "spekulieren": Staub spekuliert fünf Seiten Anales, Orales und Verdauungstätigkeit.

Dieses Buch vermag nicht zu befriedigen. Frei nach einem Ausspruch Jüngers fragen wir uns, ob dieses Buch vielleicht einen geheimeren Sinn habe und eine verborgenere Aufgabe erfüllt.

Norbert Staub: Wagnis ohne Welt. Ernst Jüngers Schrift "Das abenteuerliche Herz" und ihr Kontext. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, 359 S., 78 Mark

 

Tobias Wimbauer, 24, studiert Philosophie und Germanistik in Freiburg. 1999 veröffentlichte er das "Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers"


 
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