© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Ein Paar und ein Trio
Zur Tiroler Landesausstellung 2000
Lothar Höbelt

Bibliographisch sind derlei Bände Monstren; über 500 großformatige Seiten und fast fünf Kilo schwer; ohne einen Herausgeber, unter dem man sie zitieren könnte, und mit einem Vorspann, der jeden Hollywood-Streifen in den Schatten stellt: Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammen- kamen: Ob als Leitungsgremium, multimediale Umsetzer und "Stadtmarketinger", Lektoren oder Leihgeber. Dennoch: Per saldo hat es sich gelohnt – und zwar sowohl die Lektüre des vorliegenden, reich illustrierten Katalogs als auch der Besuch der diesjährigen Tiroler Landesausstellung.

Die stellte in mehrfacher Beziehung ein Wagnis dar: Zum einen hat man das erprobte Konzept der Landeseinheit, sprich: der Ausstellung mit zwei Schwerpunkten diesseits und jenseits des Brenner, diesmal auch auf Wälschtirol, auf das Trentino ausgedehnt. Das war ein Glückstreffer, nicht bloß weil das Castel Beseno im Lagertal zwschen Trient und Rovereto einen Besuch wert ist, sondern weil es zudem gelungen zu sein scheint, mit diesem Anknüpfungspunkt im Süden viele Italienier zum Besuch auch der anderen beiden Ausstellungsorte zu verlocken.

Zum anderen hat man auf ein einheitliches Thema diesmal verzichtet zugunsten eines Dreiklangs, der allenfalls locker chronologisch verbunden ist. Das ungleiche Paar, Leonhard und Paola, oder besser gesagt, bloß Leonhard, der als letzter der Görzer Grafen vor genau fünfhundert Jahren starb, steuert mit seiner Residenz auf Schloß Bruck bei Lienz in Osttirol das unvermeidliche Jubiläum bei, das als Anlaß herhalten muß; seine Frau, Paola Gonzaga, das Motiv, das als roter Faden dann doch alle drei Ausstellungsteile durchzieht: Nämlich die Zeitenwende, das Aufeinandertreffen von Mittelalter und Renaissance, zum Beispiel der spätgotischen Fresken Simons von Taisten in der Brucker Kapelle mit dem Wirken Mantegnas in Paolas heimischem Mantua.

Dasselbe Thema wird auf Castel Beseno architektonisch vorexerziert: Eine hochaufragende mittelalterliche Burganlage "an der Grenze des Reiches", die mittels Rundbastionen und Artillerieplattformen in den Jahren nach 1500 schrittweise auf frühneuzeitliche Erfordernisse umgestellt wird. Das Gefecht von Calliano zwischen den Tirolern und den Venezianern 1487, das zu Füßen der Burg stattgefunden hat, bietet weiteres ereignisgeschichtliches Anschauungsmaterial. Die Allianz gegen Venedig war es ja schließlich auch, die Görz und Gonzaga zusammengeführt hat.

Weniger martialisch geht es in der Brixener Hofburg zu, einer weiteren reichsfürstlichen Residenz auf Tiroler Boden, wo man sich dem Wirken von Nikolaus Cusanus widmet, dem Gelehrten und Philosophen, aber als Politiker gescheiterten, aus dem Rheinischen stammenden Fürstbischof der 1460er Jahre. Altes und neues treffen da zum Beispiel im ersten Tiroler Druck aufeinander – denn diese Pioniertat ist dem seligen Simon von Trient gewidmet und hat daher eine Ritualmordgeschichte zum Inhalt, mit sichtlichem publizistischen Erfolg überdies, wie eine der auf Beseno ausgestellten Votivtafeln zeigt, die einer der bei Calliano verwundeten Ritter bereits dem seligen Simon aus Dank für seine Errettung gestiftet hat. Als Titel führt der Brixener Teil der Ausstellung: "Vom Spiel der Welt" (De ludo globi), in Anspielung auf eine von Cusanus erfundene Variante des Boccia-Spiels, die als Geschicklichkeitsübung wie als Symbol und Anregung für christliche Wahrheiten dienen sollte.

Von den Exponaten her dominieren in Beseno Waffen und Rüstungen, in Brixen Bilder, Bücher und Handschriften (darunter einer der sprichwörtlich gewordenen Fehdebriefe, in diesem Fall des Herzogs Sigmund des Münzreichen an den Bischof, oder die brisante Nachlaßverwaltung eines der Nachfolger Cusanus im Amte, des Herrn von Meckau, der nebenher immerhin Großaktionär der Fuggerbank war), in Lienz beeindrucken zuallererst das Schloß und seine Ausstattung: Neben dem letzten Görzer kommt auch der lachende Erbe, Kaiser Maximilian, zu seinem Recht, der immerzu und allzumal für eine Austellung gut ist. Zu Recht wird angemerkt, daß er wohl einer der wenigen frühneuzeitlichen Herrscher ist, dessen Züge der Nachwelt automatisch vertraut sind – eine PR-Leistung des Habsburgers, die nicht von ungefähr kommt.

Der Katalog enthält zwei Dutzend Kurzbeiträge von meist hochkalibrigen Autoren, von den Wiener Kunsthistorikern Beaufort und Ferino-Pagden über den Grazer Maximilian-Spezialisten Wiesflecker, die Innsbrucker Museumshausherren (und -damen) Pizzinini und Hastaba bis zu den Südtiroler Lokalmatadoren der Familie Heis. Nicht einmal die Vorworte der Politiker fallen peinlich aus; dafür kann man sie neben italienisch auch auf ladinisch lesen, ein auch nicht ganz uninteressanter Vergleich für den durchziehenden philologischen Laien.

Die Brixener Gastronomen versüßen dem Gast den Aufenthalt aus gegebenem Anlaß mit Menüanordnungen nach mittelalterlichen Rezepten, eine Gratwanderung zwischen Authentizität und Publikumsgeschmack, wie das letztlich auch für jede Ausstellung gilt; das Urteil "äußerst bekömmlich" bleibt mangels Gelegenheit zunächst für die optischen und geistigen Genüsse reserviert. Es steht dem Besucher, für den die Ausstellung noch bis Ende Oktober geöffnet hat, allerdings frei, sie mit der herbstlich regionalspezifischen Vergnügung des "Törgellen" auch anderweitig zu einem erfreulichen Abschluß zu führen.

 

Die Tiroler Landesausstellung 2000 ist noch bis Ende Oktober auf Schloß Bruck, Schloßberg 1, A-9900 Lienzer Dolomiten, zu sehen. Info: 00 43 / 48 52 / 6 52 65


 
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