© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Bildchronist Preußens
Ausstellung: Daniel Chodowiecki im Berliner Kupferstichkabinett
Rüdiger Ruhnau

Das näher rückende Preußenjahr wirft seine Schatten voraus. Am 8. Januar 1701 krönte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg selbst zum König in Preußen. Auch an Daniel Chodowiecki (1726–1801), den Bildchronisten preußischer Geschichte, wird erinnert, dessen Todestag sich am 7. Februar 2001 zum 200. Male jährt. Ihm zu Ehren veranstaltet das Berliner Kupferstichkabinett zur Zeit eine Ausstellung mit Zeichnungen des Künstlers, dem nach eigenem Bekennen "die Natur die einzige Lehrerin" gewesen ist. Die Natürlichkeit ging ihm über alles. Chodowiecki zeichnete in allen Lebenslagen, am liebsten ohne Erlaubnis, "denn wenn ein Frauenzimmer weiß, daß man es zeichnen will, so will es sich angenehm stellen und verdirbt alles, die Stellung wirkt gezwungen".

Schon mit 17 Jahren verließ Daniel Chodowiecki die Heimatstadt Danzig, um bei einem Onkel in Berlin sein Glück versuchen. Nach einer Unterweisung im Malen von Miniaturen mußte er bald feststellen, welche großen Lücken die bisherige autodidaktische Ausbildung aufwies. Mit dem Ölgemälde "Abschied des Calas von der Familie" gelang ihm der entscheidende Durchbruch zur Popularität. Knapp zwanzig Jahre liegen zwischen den beiden bekanntesten Radierungen Chodowieckis, die Friedrich den Großen zu Pferde zeigen. Zum ersten Mal hatte sich der Künstler an ein größeres Format gewagt und den Preußenkönig mit gezogenem Degen, an der Spitze seiner Gardekürassiere galoppierend, als Sieger in der Schlacht von Roßbach dargestellt. 1777 radierte er dann "König Friedrichs II. Wachtparade in Potsdam". Diese volkstümliche Darstellung des Alten Fritz, mit dem Dreispitz über dem charakteristischen Hohenzollernprofil, regte viele Maler zur Nachahmung an.

In zahlreichen Studienblättern hat Chodowiecki die Gestalten der preußischen Geschichte festgehalten. Die 225 Zeichnungen und 25 Radierungen umfassende Ausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts zeigt einige herausragende Porträts in der damals beliebten Röteltechnik. Das Bildnis des preußischen Großkanzlers v. Jariges (1706– 1770) gehört zu den wenigen Zeichnungen von der Hand Chodowieckis, die nicht das scharfe Profil wiedergeben, sondern eine fast frontalen Blickkontakt vermittelnde Ansicht. Das Blatt wird im Katalog als "Abklatsch" bezeichnet, das ist ein seitenverkehrter Rötelabzug, den der Künstler von dem frischen Original durch Aufpressen eines feuchten Blattes hergestellt hat. Besonders bei Porträts war diese Methode beliebt, sie konnte allerdings nur einmal angewendet werden, da sonst beim Abklatschen zuviel Farbe verlorenging.

Mit zwei meisterhaften Bildnissen ist Prinz Heinrich von Preußen vertreten. Obwohl der zweitjüngste Bruder Friedrichs des Großen als hervorragender Heerführer und geschickter Diplomat wesentlich zu den diplomatischen Erfolgen Preußens beigetragen hatte, blieb das Verhältnis zwischen beiden Brüdern gespannt. Mit Band und Stern des Schwarzen Adlerordens an der Uniform hebt Chodowiecki den offiziellen Charakter des Porträts hervor. Nach Wolfgang von Oettingen waren um das Jahr 1907 über 4.000 Zeichnungen Chodowieckis bekannt, von denen bis heute keine systematische Zusammenstellung existiert. Demgegenüber sind in dem Werkverzeichnis von Engelmann sämtliche Kupferstiche aufgelistet, für die immer eine Zeichnung als Vorlage notwendig gewesen ist. Während aber die Radierungen in bis zu mehreren hundert Exemplaren vorkommen können, handelt es sich bei den Zeichnungen um Unikate.

Allein die Zahl von Stichen, die als Illustrationen zu Büchern entstanden sind, beträgt über 2.000. Häufig sind Folgen von sechs, zwölf und mehr Bildern auf nur einer einzigen Platte gestochen worden. Gewiß ist, daß der Danziger Künstler mit seiner Radiernadel ein Stück Kulturgeschichte geschrieben hat, erst durch seine Illustrationen zu den Werken von Dichtern und Wissenschaftlern steht das geistige Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in voller Lebendigkeit vor uns. Für den "Gothaer Theater-Calender" von 1783 lieferte Chodowiecki sechs Zeichnungen zu Schillers "Die Räuber", ein Jahr nach der Uraufführung des Schauspiels. Er hatte die Bühnenfassung des Stückes noch gar nicht gesehen, mußte daher bei den Illustrationen auf die Lektüre zurückgreifen. Die Federzeichnungen in Schwarz und Rot vermitteln das aufwühlende dramatische Geschehen. Jede Situation ist genau durchdacht und klar erfaßt. Unter den Klassikern stand Chodowiecki am nächsten Gotthold E. Lessing, die zwölf Zeichnungen zu "Minna von Barnhelm" riefen nicht nur die Bewunderung des Aphoristikers Lichtenberg hervor.

Fast 50 Jahre lang lebte und arbeitete Chodowiecki innerhalb der französischen Kolonie Berlins. 1755 hatte er die älteste Tochter des Goldstickers Jean Barez geheiratet und wurde dadurch Mitglied der reformierten Hugenottengemeinde. Schon von seiner Mutter und Großmutter war ihm der Umgang mit der französisch-reformierten Gedankenwelt vertraut gemacht worden. Erst in jüngerer Zeit wurden weitere Zeichnungen ausfindig gemacht, die seine Mitarbeit an der Fassadengestaltung des Französischen Domes am Gendarmenmarkt dokumentieren. Ein Beleg ist der ausgestellte Entwurf für das Giebelrelief des Domes. Der 22,4 mal 73,5 Zentimeter messende Rötel-Abklatsch schildert die biblische Szene "Jesus und die Samariterin am Brunnen".

Einen eigenen Reiz vermittelt die Vorzeichnung zu dem Bild "Cabinet d‘un peintre", das die Familie des Künstlers mit den fünf Kindern um einen Tisch versammelt zeigt. Mit wenigen sicheren Strichen charakterisiert Chodowiecki die Kinder in ihrem individuellen Ton. Die realistische Schilderung des Familienalltags entsprach ganz dem Ideal einer auf Fleiß und Wohlanständigkeit bedachten Zeit. Das Blatt hatte er seiner Mutter in Danzig zugedacht, die ihre Enkelkinder wenn schon nicht in natura, dann wenigstens gezeichnet sehen konnte.

Es hat kaum einen fleißigeren Künstler gegeben als Daniel Chodowiecki, dem eine seltene Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft zu eigen war. In den letzten vier Lebensjahren betraute man ihn mit dem Amt des Direktors der Königl. Preußischen Akademie des Künste. Eine Arbeit über die Veränderung der Kleidertrachten seines Jahrhunderts konnte er nicht mehr beenden, er starb im Alter von 74 Jahren.

 

Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Oktober im Berliner Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz, zu sehen. Der Katalog kostet 30 Mark.


 
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