© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Männliche Kriegführung und ausreisende Menschen
Samuel Salzborns eigenwillige Deutungen zur Geschichte der Vertreibung und der Vertriebenenverbände
Jessica Rohrer

Nicht erst der kaum glaubliche Dilettantismus, den die Macher der Anti-Wehrmachts-Schau an den Tag legten, zeugt davon, daß es auf einem so zentralen Feld ideologischer Machtkämpfe wie dem der Geschichtspolitik mit der Linken nicht zum Besten steht. Ein Extremismus der Ignoranz macht sich breit, eine Mischung aus Faktenverachtung, gedanklicher Schlamperei und handwerklichem Unvermögen. Eine Art Luise-Rinser-Syndrom, wie der unvergleichliche Eckart Henscheid jene Krankheit der "Alles-aber-auch-alles-Durcheinanderverbringung" nannte, die jene Literatin befiel, die nicht einmal wußte, ob sie seinerzeit für das Amt des Bundes- oder das des Bundestagspräsidenten kandidierte. Wer neulich in der Welt lesen konnte, wie Thomas Kielinger in einem vor Ungenauigkeiten strotzenden Beitrag über ein "SS-Informationsheft Großbritannien" auch noch den bis 1939 in Königsberg lehrenden Publizistik-Dozenten Franz A. Six zum "Dekan für Wirtschaftswissenschaften an der Berliner Universität" ernannte, darf annehmen, daß die Krankheit inzwischen epidemisch geworden ist.

Damit ist zugleich jenes Biotop geschaffen, in dem sich selbst veritable Wirrköpfe wie Fische im Wasser tummeln können. Etwa Samuel Salzborn, Journalist, Korrespondent der linksradikalen Jungle World, Beiträger für die V-Mann-Postille Blick nach rechts, aber auch Mitarbeiter "bürgerlicher" Blätter wie der linksliberalen Woche oder der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung. Im Zeichen gesunkener Anforderungen ist es Salzborn gelungen, einen Ruf als "Fachmann" für Geschichte, Organisation und Ideologie der Vertriebenenverbände zu erwerben. Seine zahllosen Artikel zum Thema klebte er nun zwischen die Deckel eines Taschenbuchs.Das hat für den Leser den Vorteil, in kompakter Form über die Desorientierung dieses Autors ins Bild gesetzt zu werden.

Und zwar zunächst darüber, wie sich Salzborn die Geschichte des deutschen Ostens vorstellt. Die "während des Nationalsozialismus eroberten Ostgebiete" waren seiner Meinung nach nämlich bis 1945 nur spärlich mit Deutschen (oder: "vermeintlich deutscher Bevölkerung") besiedelt. Schlesien, Pommern und Ostbrandenburg gehörten nach dieser Lesart nicht einmal staatsrechtlich zu Deutschland, denn: "Von den anderen späteren Umsiedlungsgebieten unterschied sich Ostpreußen nicht nur dadurch, daß es zum Deutschen Reich gehörte." Was Salzborn aber nicht hindert, für die Zeit vor 1945 von der "ostpreußischen Stadt Majakowskoje" (gemeint ist ein Dorf bei Gumbinnen!), "das von den (dort vermutlich in der Minderheit lebenden!, JR) Deutschen Nemmersdorf genannt wurde" zu fabulieren. Ebenso haltlos meint Salzborn, Pommern sei erst 1815 an Preußen gefallen – dabei hätte er im dtv-Geschichtslexikon erfahren können, daß nur das schwedische Neuvorpommern mit dem größeren Teil Pommerns vereinigt wurde, der lange vor 1815 zu den preußischen Kernprovinzen zählte.

Natürlich hat auch die Vertreibung in Salzborns Geschichtsklitterung keinen Platz. Er kennt nur "ausreisende Menschen". Ihr "Transfer" dürfe nicht "Vertreibung" genannt werden: "Was auf der Flucht geschah, hatten ausschließlich die Deutschen zu verantworten". Vergewaltigungen durch die Roten Armee, heißt es unüberbietbar zynisch, seien keine "Besonderheit der Umsiedlung", sondern ein "Teil männlicher Kriegsführung". Hier nähern wir uns eigentlich jener Tatbestandsvariante des Paragraphen 130 StGB, die erfüllt, wer "die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet", also der Volksverhetzung gegen Vertriebene. Interessant auch Salzborns beiläufige Verleumdung vertriebener Palästinenser, die sowenig wie die Sudetendeutschen einen Anspruch auf ihre Heimat, das "Territorium des Nationalstaates Israel", hätten!

Auch was Salzborn zur Geschich- te,Publizistik oder politischen "Vernetzung" der Vertriebenenverbände mitteilt, ist keineswegs eine "überfällige kritische Bestandsaufnahme", wie der Verlag wirbt, sondern die Reprise einschlägiger DDR-Polemiken, von denen einige – wie das Werk über die Sudetendeutsche Landsmannschaft von Georg Herde und der VVN-Aktivistin Alexa Stolze (1987) – auch im SED-alimentiertenPahl-Rugenstein-Verlag erschienen sind.

Eine wirklich spannende Frage nimmt Salzborn in Angriff, die nach geistiger Konstituierung und Tradierung von "Heimat", doch ihre Beantwortung überfordert unseren Autor. Der spekuliert im letzten Kapitel lieber über den zukünftigen politischen Einfluß der Vertriebenen, die ausgerechnet die Regierung Schröder/Fischer dazu bewegen werden, mittels des "Volksgruppenrechts" Nationalstaaten zu destabilisieren, die "deutsch-europäischen Hegemonialinteressen" im Wege stünden. Jessica rohrer

Samuel Salzborn: Grenzenlose Heimat. Geschichte,Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände.Elefanten Press, Berlin 2000, 29,90 Mark


 
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