© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Clintons Erbe
Karl Heinzen

Die freie Welt kann den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ohne Sorgen entgegensehen. Die USA werden sich ihrer Verantwortung für die Durchsetzung ihrer Interessen rund um den Erdball auch in Zukunft nicht entziehen. Der Isolationismus ist und bleibt ein Gespenst: Genau besehen ist er schon seit 1776 keine Alternative in der amerikanischen Politik mehr.

Die Entscheidung zwischen Al Gore und George Bush mutet so beliebig und daher so schwierig an wie jene, die wir in Deutschland immer wieder zwischen Sozial- und Christdemokraten zu treffen haben. Da auf programmatische Unterschiede nur wenig Verlaß ist, läßt man sich als Bürger, der seine Aufgabe in der Arbeitsteilung zwischen Wählern und Gewählten ernst nimmt, lieber von seinen aktuellen Stimmungen leiten, als überhaupt nicht mehr über das Geschehen nachzudenken.

Wesley Clark, der durch den Kosovo-Krieg berühmt gewordene ehemalige Nato-Oberkommandierende in Europa, möchte dennoch nicht versäumen, den Blick aufs Ganze zu richten und fordert, ganz so, als würde er sich selbst bereits jetzt zur Wahl stellen, eine "Außerstreitstellung der strategischen Ziele". Al Gore und die Demokraten mögen doch bitte lernen, den im Militärdienst engagierten Personen gegenüber eine größere Achtung an den Tag zu legen. Den Soldaten sollte endlich ein Lebensstandard ermöglicht werden, der dem Reichtum der amerikanischen Nation, zu dem sie schließlich maßgeblich beitragen, angemessen ist. An die Adresse von George Bush und seinen Republikanern richtet er den Vorwurf, mit der Forderung nach einem Rückzug der US-Streitkräfte aus Krisengebieten deren Aufgabenprofil unnötig einschränken zu wollen. Nicht zuletzt die Teilnahme an Friedensmissionen, humanitäre Hilfe und die Mitwirkung in internationalen Organisationen seien schließlich die Voraussetzungen, um die Führungsrolle in der Welt überzeugend spielen zu können. So erfreulich es sei, bei Bedarf gleichzeitig zwei regionale Kriege führen zu können, so wenig darf übersehen werden, daß die Welt auch darüber hinaus die Bereitschaft der USA spüren muß, Konflikten dadurch vorzubeugen, daß man den Beteiligten seinen Willen aufzwingt.

Grund zu Befürchtungen gibt es hier trotz des Einwurfs von Wesley Clark allerdings wenig. Die Zivilgesellschaft der USA ist und bleibt zahlungswillig und zahlungsfähig, wenn es darum geht, mit militärischen Mitteln dafür zu sorgen, daß eine Welt des Vertrauens und der Zusammenarbeit entsteht. Ein Verteidigungsetat, der jene von Rußland, China, Frankreich und Deutschland zusammengenommen übersteigt, ist eine gute Grundlage, um einen Stil des Miteinanders zu pflegen, der unter den vielen Interessen die wesentlichen zu erkennen und durchzusetzen vermag und dabei auch den Schwächeren in der Staatengemeinschaft ihr Prestige läßt. Dieses atmosphärische Erbe der Ära Clinton wird keiner seiner Nachfolger ausschlagen wollen.


 
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