© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
Opposition im Schatten der Autofahrer
Ökosteuer: Die Union hat in der von Merkel und Schäuble einst propagierten Energieverteuerung ein "korrektes" populistisches Thema gefunden
Paul Rosen

Helmut Kohl, das ist gewiß, hätte den Streit um die Ökosteuer ausgesessen. Diese Aussitzerqualitäten hat sein Nachfolger, der Sonnenkönig aus Hannover, jedoch nie gehabt. Schröder ist ungeduldig, er braucht den Erfolg wie ein Spielerden Gewinn am Roulettetisch. Daher reagierte der "Kanzler aller Autos" so gereizt, als ihm im Bundestag während der Generalaussprache zum Haushalt 2001 ein massiver Protest der Opposition entgegenschallte und der bisher nie unter dem Verdacht der Angriffslust stehende CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz die erfolgsverwöhnte rot-grüne Koalition mit einer kämpferischen Rede in die Schranken wies. Schröder konterte nur frech und nannte die Oppositionskampagne gegen die Ökosteuer "Nötigung".

Worin der Unterschied liegen mag, wenn der Liter Normalbenzin 2,05 Mark statt bisher 1,99 Mark beträgt, ist kaum plausibel zu erklären. Die Mehrkosten halten sich offenkundig in Grenzen. Die von der rot-grünen Koalition erwartete Lenkungswirkung übrigens auch. Denn diejenigen, die wenig Geld zur Verfügung haben, zum Beispiel, weil sie Kinder großziehen, unternehmen heute schon keine überflüssigen Vergnügungsfahrten. Wohlbetuchte hingegen, berichtete kürzlich CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, würden erst ab einem Literpreis von fünf Mark ihre Yacht nicht mehr auf dem Anhänger zwischen bayerischen und italienischen Seen hin- und herfahren.

Die Heizkostenabrechnungen, die wegen der Ökosteuer und dem Verfall der Euro-Währung eine massive Erhöhung erfahren dürfen, sind noch nicht da. Warum also regt sich Schröder so auf? Es sind die Bilder aus dem Ausland, die im Kanzleramt heillose Verwirrung auslösten. Für die Regierung ist es unvorstellbar, daß Tausende von Lkw-Fahrern durch Berlin bummeln und den Verkehrsfluß in der Hauptstadt lahmlegen könnten. Die wenigen Proteste, die deutsche Städte wie Hannover bisher erlebten, haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Vor dem Hintergrund, daß 80 Prozent der Bundesbürger die Ökosteuer ablehnen, rechneten Schröders Strategen weiter und kamen schnell zu dem Ergebnis, daß sich die Erfolge des Sommers nicht weiter in politisches Kapital würden ummünzen lassen. Und 16 Pfennig zusätzliche Ökosteuern pro Liter Sprit bis zum Wahltag 2002 sind auch alles andere als ein Argument, mit dem die SPD Stimmen holen könnte.

Was hatte Schröder bisher doch Glück gehabt. Kurz vor der Halbzeit der Legislaturperiode gelang ihm mit der Zustimmung des Bundesrates zur Steuerreform ein Erfolg ohnegleichen. Durch das mit finanziellen Versprechungen erleichterte Übertreten der drei Großen Koalitionen in Brandenburg, Berlin und Bremen in das rot-grüne Lager setzte Schröder nicht nur das Steuergesetz durch, sondern schaffte es auch, die Atmosphäre unter den CDU/CSU-Landesregierungen nachhaltig zu vergiften. Hier traut keiner mehr dem anderen, während Schröder nach dem Grundsatz divide et impera (teile und herrsche) weiterregiert. Bei der Rentenreform kam er der Union derart entgegen, daß sie in Zustimmungszwang ist.

Und überhaupt die CDU: Einmal streitet sie über den Umgang mit Kohl, ein anderes Mal über ihre Haltung zu Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die der Einwanderungskommission der Regierung (!) vorsitzt. Außerdem sind sich CDU und CSU immer noch nicht einig darüber, wie sie sich zu dem Steuerergänzungsgesetz verhalten sollen, mit dem Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel die Geschenke an die Großen Koalitionen in Gesetzesform gießen. Während die Bayern die Zustimmung zu Verrat und Stimmenkauf ablehnen, kommen aus der CDU zurückhaltende Töne.

Überhaupt Eichel: Der kann jetzt dank der Versteigerung der Funklizenzen als erster Finanzminister seit Jahrzehnten wieder einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen. Wann hatte ein deutscher Kanzler jemals im sonst bitteren Tagesgeschäft soviel Fortune gehabt?

Doch muß Schröder aufpassen. Es geht den Bürgern nicht um steigende Rohölpreise oder ein paar Pfennig Ökosteuer, sondern der Eindruck entsteht, daß das Maß voIl ist. Ein Tropfen könnte reichen, das Schrödersche Glücksfaß zum Uberlaufen zu bringen. Die Ökosteuer, der Kanzler hat dies erkant, kann dieser Tropfen sein. Im Stile der Holzmann-Rettungsaktion begannen Schröders Experten mit der Ausarbeitung von Plänen, was man tun könne. Die erste Idee war ein klassischer Akt der Umverteilung. Erst erhöht der Staat die Energiekosten, dann gibt er sie den sozial Bedürftigen über einen Zuschuß zum WohngeId wieder zurück. In Eichels Kassen bliebe, wenn die Idee in die Tat umgesetzt werden soIlte, dennoch etwas hängen: Den Heizkostenzuschuß müssen nämlich die Städte finanzieren, während Eichel die Ökosteuer alleine einstreichen kann.

Ähnlich verhält es sich bei der nächsten Idee, der Erhöhung der steuerlichen Kilometerpauschale für Pendler. Während die Autofahrer dadurch Einkommensteuer sparen, die sonst an Bund und Länder ginge, streicht Eichel die Ökosteuer wieder alleine ein. Doch sind die Schröderschen Pläne allenfalls als Flickschusterei zu bezeichnen. Die Ökosteuer sei die Krankheit, gab CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz zu bedenken. "Knecht Ruprecht" hatte ausnahmsweise einmal recht: Der Kanzler lanciert an den Symptomen herum.

Denn an die eigentlich notwendige Maßnahme, die Ökosteuer zurückzuziehen, traut sich der Machtmensch aus Hannover nicht heran. Damit würde er die Koalition aufs Spiel setzen. Schon die Diskussion über die Erhöhung der Kilometerpauschale war für die Grünen der Sündenfall schlechthin. Grünen-Sprecher Fritz Kuhn drehte und wendete sich. Während er noch im Frühstücksfernsehen die Erhöhung der Pauschale als das "falsche Instrument" bezeichnete, konnte er sich Stunden später auf einer Pressekonferenz schon leicht damit anfreunden. Wieder einmal, so scheint es, wollen die Grünen um des Machterhalts willen klein beigeben. Denn auch Kuhn möchte bei der nächsten Kabinettsumbildung an Schröders Tisch sitzen und in den Genuß eines kostenlosen Dienstwagens kommen.

Dagegen zeigte die Opposition auf einmal Einigkeit. Auf einem Strategiegespräch in München, das ursprünglich als Krisengipfel tituliert worden war, übten Alpenfürst Edmond Stoiber und Pastorentochter Angela Merkel den Schulterschluß. Die Opposition wittert den Hauch einer Chance, die eigentlich schon verloren gegebenen Bundestagswahlen 2002 vielleicht doch noch gewinnen zu können.

Da Schröder an der Ökosteuer festhalten muß, setzt er jetzt alles auf eine Karte. Der Ölpreis darf nicht weiter steigen, der Euro muß stabil werden oder sich sogar wieder erholen. Sonst kippt die vom Auto abhängige Konjunktur, und die Inflation wird angeheizt. Doch das reizt Schröder: Von Natur aus eher Zocker als Stratege, vertraut er auf sein Glück.


 
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