© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
CD: Pop
Unentschieden
Holger Stürenburg

Die britische Popband Ultravox zählte zwischen 1980 und 1986 zu den wichtigsten Einflüssen der New Romantic/Electropop-Bewegung, die damals Hitlisten und Konzertsäle heimsuchte. Klirrend kühle, oft morbid wirkende Synthi-Epen der Sorte "Vienna", harte Elektrorocker wie "Dancing with Tears in my Eyes", klaustrophobe Depressionen ("The Voice"), hoffnungsvolle Wavehymnen ("One small Day") oder folkige Rocksongs à la "Love‘s a Great Adventure" bevölkerten Zeit und Geist der kühlen achtziger Jahre. Kreativer Kopf von Ultravox war Midge Ure, der Sänger, Gitarrist und Hauptsongschreiber der vierköpfigen Band. Er zeichnete für die meisten Ultravox-Evergreens kompositorisch verantwortlich und verlieh ihnen mit seiner charismatischen, immer etwas nervös und angespannt klingenden Stimme einen speziellen Charme.

Bereits 1986 gingen Ultravox getrennte Wege. Während die Restband mit immer neuen Vokalisten – die niemals an Ures Aussagekraft und Artikulationsfähigkeit herankamen – kaum noch Hitparadenluft schnuppern konnte und seit einigen Jahren ohne festen Plattenvertrag auf Oldiefestivals dahinvegetiert, begann Ure bereits 1985 eine Solokarriere, die seinen Erfolgen mit Ultravox in kaum etwas nachstand. Nach weiterhin wavelastigen solistischen Anfängen mit "If I was" oder "That certain Smile" (1985) gerieten Ures spätere Soloalben wie "Answers to Nothing" (1989) oder "Pure" (1991) zunehmend zu akustisch gehaltenen Folkerlebnissen, die nur noch wenig daran erinnerten, daß einst eine unvergleichliche Mischung aus Synthesizern und Elektrogitarren seine eigentliche Profession war. "Breath" – vom Schweizer Uhrenhersteller Swatch als Werbemelodie eingesetzt – war vor zwei Jahren ein letzter europaweiter Tophit, bevor sich Midge Ure vor allem auf Livekonzerte, Videofilme und musikjournalistische Arbeiten konzentrierte.

Nun ist in diesen Tagen Ures neues (insgesamt fünftes) Soloalbum "Move me" bei BMG-Ariola erschienen. Wiederum neue Klänge erwarten den geneigten Hörer: Zwar ist die Grundstimmung weiterhin düster und getragen, sind auch weiterhin Folkuntertöne in seinen aktuellen Kompositionen vorhanden, dennoch scheint Ure für seine neuen, durchgehend filigranen und feingliedrigen Songs den Dancefloor entdeckt zu haben. Der Schlagzeugcomputer wummert unter warmen, weichen Oden à la "Words" oder "You move me"; wehende Keyboards sind kaum noch vorhanden, statt dessen Synthobässe und mannigfaltige Rhythmusmaschinen. Trotzdem ist die Basis der CD durchaus getragen und balladesk. Ures Stimme hat sich auch beruhigt; älter, gediegener, reifer klingen seine aktuellen Intonationen. An Ultravox erinnert eigentlich keiner der neuen Songs. Und genau dies dürfte die Alt-Fans ein bißchen enttäuschen, die innig hofften, Ure fielen nochmals so genialische Knaller wie "Vienna" oder "Dancing with..." ein. Einzig "Alone" und "Monster" lassen seine gewohnte Aggressivität anklingen, wenn auch selbst bei diesen härteren Stücken Achtziger-Reminiszenzen nicht aufkommen mögen.

Genau das scheint auch das Gesamtproblem des Albums zu sein: Es wird trotz mehrmaligen Hörens einfach nicht klar, wen Midge Ure mit "Move me" bewegen will. Für tanzbegeisterte Teenager kommen die Songs zu intellektuell, zu kopflastig rüber, für erwachsene Rockfreunde klingt Ure viel zu altmodisch und zu wenig zeitnah – und seinen 1986er Altfans zwischen "Vienna" und "Same old Story" sind die neuen Songs viel zu sehr drittes Millenium, viel zu modern und viel zu wenig wehmütig-romantisch. Ein Singlehit, wie noch 1998 "Breath", ist dies-mal auch nicht vorhanden, so daß zu befürchten ist, "Move me" könne zwischen all den Tausenden CD-Veröffentlichungen des Popherbstes 2000 konsequent untergehen.


 
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