© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
Selbstbestimmung
Tirol: Südtirol und die deutsche Wiedervereinigung
Beatrix Madl

Auf die Tiroler diesseits und jenseits des Brenners hatte die Wiedervereinigung Deutschlands eine besondere Ausstrahlungskraft. Die Faszination war auf die historische Parallele der Landesteilung zurückzuführen. Sie kam, wenn auch zeitlich verzögert, bei einer großen Kundgebung zum Ausdruck. Am 15. September 1991 versammelten sich 8.000 Menschen auf einer Wiese am Brenner. Unter dem Motto "Nachdenken über Tirol" hatte die Junge Generation der Südtiroler Volkspartei (SVP) zu dieser Veranstaltung eingeladen.

Zu den Initiatoren zählten Christian Waldner, der 1997 ermordet wurde, und Peter Paul Rainer, der nach Auffassung des Oberlandesgerichts in Brescia diese Tat begangen haben soll. Vertreter verschiedener Parteien sprachen dabei, unter ihnen Eva Klotz von der Union für Südtirol und der verstorbene Europaabgeordnete der Grünen Alexander Langer. Der Journalist Hans Karl Peterlini schreibt in seinem Buch "Bomben aus zweiter Hand", daß sich mit dieser Demonstration erstmals wieder "ein Selbstbestimmungslüftchen" erhob. Der SVP-Politiker Franz Willeit stellte damals öffentlich die Frage, ob man nicht formell in Rom die Selbstbestimmung fordern sollte. Seine Partei hatte zwar das Ziel der Wiedervereinigung Tirols nicht aus ihrem Programm gestrichen. Sie hatte jedoch bei ihren Verhandlungen mit der italienischen Staatsmacht den Weg der Autonomie eingeschlagen.

Aus dem Promotorenkomitee der Brennerkundgebung gingen ein Jahr später die Begründer der Südtiroler "Freiheitlichen" hervor: Christian Waldner, Peter Paul Rainer und Pius Leitner, nun Obmann (Vorsitzender) der Partei. Diese Tatsache ist besonders brisant vor dem Hintergrund, daß der ehemalige Südtiroler Freiheitliche und Schütze Rainer möglicherweise ein Agent des italienischen Geheimdienstes SISMI war.

Die Neue Südtiroler Tageszeitung entwarf vor einiger Zeit hypothetisch folgendes Szenario: "Der Geheimdienst hätte demnach nicht nur einen Top-Agenten in die Führunsgremien der Freiheitlichen und der Schützen eingeschleust gehabt, sondern – über Rainer – sogar eine Partei, den Südtiroler Ableger der Haider-Partei, gegründet. Eine geniale Operation."

Dieser These zufolge wäre das "Selbstbestimmungslüftchen" nicht nur geheimdienstlich kontrolliert, sondern auch instrumentalisiert gewesen.

Die italienischen Regierungen waren sich ob der Parallele zwischen deutscher und Tiroler Wiedervereinigung seit Jahren bewußt: Im September 1984 warf der damalige italienische Außenminister Giulio Andreotti der deutschen Bundesregierung "Pangermanismus" mit der Begründung vor, sie halte immer noch an der deutschen Wiedervereinigung als Ziel fest. Kurz danach versuchte er diese Aussage umzubiegen und sagte, er habe die Tiroler Andreas-Hofer-Feiern in Innsbruck gemeint. Damals gedachten die Tiroler des 175. Jahrestages des Aufstands unter Andreas Hofer gegen Napoleon.


 
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