© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
Nationalfeiertag in Liliput
Dieter Stein

Wie schön war doch die Wachablösung des Regiments Feliks Dzierzynski. Beim preußischen Stechschritt der NVA-Soldaten liefen einem Schauer über den Rücken: ja, so soll es sein, das ist Preußen-Deutschlands, exakt, schneidig, mitreißend. Hat nicht sollen sein. Statt dessen lümmeln nun an der Neuen Wache, in die man eine aufgepumpte Käthe-Kollwitz-Pietá gewuchtet hat, nur kaugummikauende, müde Wachmänner herum, die ihre außer Kontrolle geratene Körperform dürftig mit abgewetzten Polyester-Uniformen zu bändigen versuchen. Gähnend lehnen sie am ehrwürdigen Schinkel-Bau, der nun als zentrale Gedenkstätte Deutschlands dient, und betrachten durch halb geschlossene Lider die vorbeischlendernden Touristen, die sich angesichts der wenig würdevollen Wachleute mit nur minimalem Respekt dem vom Volksmund als "Kranzabwurfstelle" verspotteten Gebäude nähern. Welchen Eindruck wohl das Wachpersonal am künftigen Mahnmal für die Opfer des Holocaust machen wird?

Es ist der Vorabend des deutschen Nationalfeiertages. Sagt man das überhaupt in diesem merkwürdigen Land? "Nationalfeiertag"? Die Nation feiern? Na ja, im Berliner Radiosender "104,6 RTL" wird eine Umfrage gemacht, wie die Hörer zehn Jahre Wiedervereinigung bewerten. Eine junge Hörerin aus Friedrichshain – vormals Ost-Berlin – meldet sich und sagt wie schön es sei, daß Deutschland vereinigt sei, daß das Land zusammenwachse und, "auch wenn es vielleicht rechtsradikal klingt", sie fände es wichtig, daß die Deutschen zusammenhalten sollten in guten und schlechten Zeiten, das sei doch wichtig, ach sie sei unheimlich aufgeregt, aber es sei alles so schön. Gönnerhaft meint der Radiomoderator beruhigend, die Stimme unterlegt von munterem Gedudel, das habe doch eigentlich gar nichts mit "rechtsradikal" zu tun.

Tja, wie wohl die Hörerin auf die Idee gekommen ist, daß es etwas mit "rechtsradikal" zu tun hat, wenn sie den wunderbaren und schönen Wunsch äußert, die "Deutschen sollen zusammenhalten"? Weil die meisten Medien, die politische und intellektuelle Klasse dieses Landes, insbesondere im diesjährigen Sommerloch, nichts anderes zu tun hatte, als ihren Landleuten tagein, tagaus, diese Zusammengehörigkeit auszureden, zu vergällen, ja, jede Form selbstverständlichen, natürlichen Nationalbewußtseins als latent rechtsextrem, "im Geiste von", Vorläuferei eines "Wir sind wieder soweit" zu denunzieren.

Entsprechend griesgrämig, mickrig, provinziell, unbeholfen, beschämend, entwürdigend sind auch die offiziellen Feierlichkeiten und Riten, die dem Feiern dieses Zusammengehörigkeitsgefühls dienen sollten.

Deshalb nehmen die Menschen das Feiern in die eigene Hand. Jenseits des öffentlich zur Schau gestellten Zitterkinns und der in Falten geworfenen Sorgenstirn wurde auf den privaten Feiern gesungen, gelacht, geküßt, gesoffen und Tränen der Freude vergossen über die Einheit, die Freiheit des Volkes, die die Politiker in Ost und West nicht mit dem Herzen gewollt haben.


 
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