© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
Folgenreiches Votum
Die Euro-Ablehnung der Dänen ist eine neue Chance für die EU
Alexander Schmidt

Mit ihrem Votum gegen den Euro haben die Dänen wohl mehr für die Europäische Union geleistet als viele der Nationen, deren Bekenntnisse zu Europa in weiten Teilen optimistisch bis euphorisch klingen, jedoch mit einem Mangel an kritischer Konstruktivität ausgestattet sind und so keine Veränderung der Ausgangslage herbeiführen.

Im EU-Parlament (EP) besteht zwar große Einigkeit über den inneren Reformbedarf der Union, allerdings kaum eine Gemeinsamkeit über konkrete Reformansätze. Nach dem aktuellen Stimmenschlüssel im EP und im Europäischen Rat sind kleine Länder deutlich überrepräsentiert. Leider sind die Kleinen jedoch gleichzeitig mehrheitlich Nettoempfänger, während Länder wie Deutschland und Frankreich als Nettozahler im Bezug zu ihrer Größe unterrepräsentiert sind.

Das kann dann zum Verhängnis werden, wenn die Länder Mittel- und Osteuropas in den Kreis der EU aufgenommen werden und über die Höhe und Verteilung ihrer Bezüge durch den bisher geltenden Schlüssel fast selbst bestimmen können. Hier darf es nicht zur "Allianz der Armen" kommen, wenn die EU an Akzeptanz gewinnen soll. Damit die EU-Institutionen nicht zur Gänze arbeitsunfähig werden, wurde inzwischen die Größe des EP auf höchstens 700 Abgeordnete und die des EU-Rates auf 20 Mitglieder eingegrenzt.

Der kommende Gipfel in Nizza soll ein Konzept bringen, mit dem die europäische Einigung möglich und die Bildung einer Union mit einer klaren Struktur realisiert werden soll. Was haben damit die Dänen zu schaffen, die gerade jetzt das Nein zum Euro plebiszitär hervorbrachten und eigentlich das gesamte System Europa eher kritisch sehen? Es handelt sich nicht um den ersten Dämpfer aus dem Norden, den die EU hinnehmen mußte. Vor acht Jahren fand das Referendum zur Gemeinsamen Währungs- und Verteidigungspolitik statt.

Den Dänen gefiel das reformbedürftige Konzept nicht, das Votum fiel negativ aus, und die EU war gezwungen, den Vertrag zu überarbeiten. Das Ergebnis war daraufhin die Zustimmung der Dänen und ein verbessertes Vertragswerk für die EU, von dem jetzt nicht nur Dänemark, sondern auch Europa profitiert.

Heute stehen Fragen nach Kompetenzabgrenzungen zwischen der EU und den Nationalstaaten, der Konflikt zwischen schnellen Entscheidungsprozessen und demokratischer Legitimation und der Umfang der nationalen Souveränität ungelöst im Raum. Wirtschaftliche und politische Einigung bedürfen einander: Das politische Europa braucht die Wirtschaft als Motor der Entwicklung. Nicht weniger braucht aber die Wirtschaft auch politische Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Deshalb muß die bereits begonnene Einführung des Euro weitergeführt werden, um der politischen Einigung das wirtschaftliche Fundament zu geben. Über kurz oder lang müssen alle EU-Länder an der Währungsunion teilnehmen, weil der Euro sonst zum Scheitern verurteilt ist und so die europäische Einigung gefährdet wird. Ohne diese jedoch ist die nationale Identität und Souveränität, deren Verlust alle EU-Gegner beklagen, gefährdet.

Ein einzelner Nationalstaat, im gobalen Wettbewerb mit Asien und den USA, müßte noch viel mehr Unabhängigkeit preisgeben. Gerade diese Gretchenfrage nach der Nation wurde durch die Dänen wieder auf die europäische Tagesordnung gebracht.

Will man die EU, muß Dänemark dazugehören. Dies gelingt nur, wenn den Nationalstaaten ausreichende Kompetenzen bleiben. Daß jetzt, kurz vor Nizza, Dänemark durch Rückzug aus der Währungsunion auf die unzureichende subsidiäre Struktur in Europa aufmerksam macht, ist ein Verdienst, dem nur noch die Anfangsfrage nach dem Lösungsansatz fehlt. So bewertete auch Außenminister Fischer das Votum, nämlich als "Ansporn für weitere Reformen". Eine Stärkung der Handlungs- und Reformfähigkeit der EU, erklärte Fischer weiter, sei das beste Mittel gegen euroskeptische Bedenken.

Notwendig ist eine klare Abgrenzung der Befugnisse und Aufgaben in der EU. Durch die Mehrheit der bürgerlichen Fraktion im EU-Parlament besteht jetzt die Chance, einem zum Zentralismus neigenden Frankreich eine Absage zu erteilen und den deutschen Föderalismus auch in Europa durchzusetzen. Die EU darf nur für Probleme zuständig sein, die der Nationalstaat allein nicht mehr lösen kann. Das sind etwa die langen, offenen Grenzen, die eine europäische Harmonisierung des Einwanderungs- und Asylrechts erfordern.

Problematisch ist auch der Zielkonflikt zwischen einer schnell handelnden Union und deren demokratische Legitimation. Sollen Entscheidungsprozesse gestrafft werden, etwa durch Mehrheitsentscheidungen, dann bedeutet dies einen Einschnitt in die demokratischen Strukturen. Der angestrebte Konsens zwischen allen Staaten, auf dem das Entscheidungsprinzip der Union zur Zeit noch beruht, ist jedoch unrealistisch.

Deshalb muß geklärt werden, welche Fragen Mehrheitsentscheidungen sein können und dürfen. Es hört sich paradox an, aber gerade durch Länder wie Dänemark und ernstzunehmende Kritiker Europas wird die europäische Einigung vorangetrieben, weil Strukturen und Entscheidungen ernsthafter durchdacht werden müssen, um kritische Stimmen zu überzeugen. Dies wird auch bei allen weiteren Entscheidungen der Fall sein. So wird ein Europa-Gegner womöglich mehr zum Bau einer stabilen Union beitragen als deren vehemente Befürworter.


 
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