© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
Abgeordnete zeigen Opfern die kalte Schulter
Deutsche Einheit: SED-Verfolgte werden von Politikern kaum mehr wahrgenommen / Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach verhielt sich solidarisch
Werner H. Krause

Die Situation vor dem Berliner Reichstag am vergangenen Wochenende war symptomatisch. Drinnen lieferten sich Vertreter der Regierungsparteien sowie der Opposition heftige Wortgefechte, wer sich wohl größere Verdienste am Zustandekommen der deutschen Wiedervereinigung zubilligen dürfe. Draußen demonstrierten währenddessen jene, die durch ihre Auflehnung gegen das SED-Regime letztlich dessen Ende herbeizuführen halfen.

Auf den von ihnen mitgeführten Plakaten stand zu lesen, wie sich für sie nach zehn Jahren die deutsche Einheit darstellt: Die kommunistischen Täter werden begnadigt, ihre Opfer mehr und mehr vergessen; die Systemgetreuen des Erich Honecker empfangen Renten, deren Höhe sich aus ihrer einstigen exponierten Stellung in der DDR ableitet, während sich viele Opfer durch die langen Jahre der Haft und der sich anschließenden beruflichen Diskriminierung mit Renten begnügen müssen, die für sie Altersarmut bedeuten.

Ihr verzweifelter Kampf, wenigstens eine Anerkennung der Haftfolgeschäden zu erreichen – eine beträchtliche Zahl der weit über 200.000 politischen Häftlinge der DDR-Zeit leidet aufgrund des gegen sie verübten Terrors an schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen – hat bis zum heutigen Tage zu nichts geführt. Völlig mißlungen ist auch die juristische Aufarbeitung des SED-Unrechts. Von 23.000 Strafverfahren wurde lediglich in 460 Fällen eine Anklage erhoben, wobei die meisten Täter mit geringfügigen Bewährungsstrafen davonkamen.

All dies wollten die Opfer nun einmal den Bundestagsabgeordneten vortragen. Die im Plenarsaal geführte Debatte mit ihren Lobpreisungen des zehnten Jahrestages der deutschen Wiedervereinigung erschien ihnen der geeignete Zeitpunkt. Doch nicht ein einziger Bundestagsabgeordneter hatte auch nur einen Blick für das Häuflein Verzweifelter, deren Schicksal es offenbar zu sein scheint, sich weiterhin als Opfer betrachten zu müssen, die kaum noch wahrgenommen werden.

Immer wieder forderte beispielsweise Alexander Bauersfeld, tiefgläubiger Christ, der die Arbeitsgemeinschaft ehemaliger politischer Häftlinge aus Kreisen der evangelischen Kirche leitet, den vorüberschreitenden Bundestagsabgeordneten Günter Rexrodt (FDP) auf, doch die Gelegenheit zu nutzen, mit dem Volk zu sprechen. Doch er tat dies vergebens.

Für die frühere Bürgerrechtlerin Angelika Barbe, die sich inmitten dieser Demonstration befand, war es zweifellos eine schmerzvolle Lehrstunde, miterleben zu müssen, wie sich Volksvertreter vom Volk abkoppeln. Doch gleichzeitig war es für sie auch die Bestätigung, wie wichtig es ist, daß jetzt die weit über 100 Verbände und Aufarbeitungsinitiativen, in welchen sich Verfolgte des SED-Regimes nach der Wende organisiert haben, nach neuen Wegen suchen, um sich im gesellschaftspolitischen Spektrum dieses Landes Gehör zu verschaffen. Gemeinsam mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Berliner Landesverbandes des Bundes der Stalinistisch Verfolgten, Hans Schwenke, gehörte sie zu den Initiatoren eines ersten bundesweiten Kongresses. Die Delegierten aus zahlreichen Opferverbänden beschlossen hierbei, künftig durch neue Strategien ihrer Stimme mehr Gewicht zu geben.

Das wichtigste Ergebnis dürfte zweifellos darin bestehen, daß der Bund der Vertriebenen den Schulterschluß mit den Opferverbänden vollzog. BdV-Präsidentin Erika Steinbach fand die allgemeine Zustimmung des Kongresses, als sie mit Nachdruck erklärte: "Alle Opfer von Willkürherrschaft haben gleichmäßig das Recht auf Gerechtigkeit und auf Solidarität derer, die mehr Glück hatten oder vom Mut anderer profitieren konnten. Der Bund der Vertriebenen steht an Ihrer Seite. Die Millionen von Opfern kommunistischer Gewaltherrschaft in vielen geknechteten europäischen Staaten haben das Recht, und wir alle haben die Pflicht, deren Schicksal nicht zu vergessen, sondern als Mahnung für die Zukunft wahrzunehmen. Der Verdrängnisprozeß, wie barbarisch kommunistische Gewaltherrschaft mit Menschen umgegangen ist, muß aufgehalten werden."

Hans Schwenke, der zu den Auflösern der Stasi-Zentrale gehörte, bezeichnete die bisherige Zersplitterung der Verfolgten des Kommunismus in verschiedene Gruppierungen als wenig förderlich, um die Belange der Opfer in Politik und Gesellschaft nachdrücklicher durchsetzen zu können.

Erste derartige Forderungen wurden bereits auf diesem Kongreß artikuliert. So soll beispielsweise aus dem in Bundesbesitz gelangten Milliardenvermögen der SED und ihrer Hilfsorganisationen ein Fonds zur Entschädigung der einstigen politischen Verfolgten geschaffen werden. Angestrebt wird auch die Bildung einer von Parteien und Staat unabhängigen Stiftung, um solche Vorhaben in Angriff nehmen zu können wie die Errichtung von Beratungs- und Betreuungsstellen für die Opfer, aber auch die Schaffung von Dokumentations- und Bildungsstätten zur Aufklärung über Ursachen, Erscheinungen und Wirkungen kommunistischer Diktatur.

Die Zusammenarbeit der einzelnen Verbände soll künftig in Form einer ständigen Konferenz koordiniert werden. Der erste Kongreß der Opferverbände machte aber auch noch etwas anderes deutlich: Es soll fortan nicht bloß um Entschädigungen oder Erlangung einer Ehrenpension gehen, sondern vor allem auch um das Mitmischen in der deutschen Politik. Überall dort, wo politische Kräfte aller Couleur mit den SED-Nachfolgern PDS fraternisieren, sollen sie es mit jenen zu tun bekommen, die am besten zu durchschauen vermögen, wie solche Aktionsbündnisse von Rot und Dunkelrot auszugehen pflegen. Zehn Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung bahnt sich da in unserem Land nochmals eine Wende an.


 
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