© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000


Die Front gegen den Vlaams Blok wackelt
Belgien: Die Kommunalwahlen könnten österreichische Verhältnisse bringen – zumindest in Antwerpen
Peter Logghe

Seit dem 13. Juni 1999 – den letzten Parlamentswahlen in Belgien – gab es erdrutschartige Verschiebungen in der belgischen Politik: die Christdemokraten (sowohl die flämischen wie die wallonischen) sind seither in der Opposition, und eine "bunte" Koalition übernahm die Macht auf der Ebene des belgischen Zentralstaates. Die hier "Blaue" genannten Liberalen (VLD und PRL), die "Roten" (SP und PS) und die Grünen des flämischen (Agalev) bzw. wallonischen Landesteils (Ecolo) bildeten erstmals die Regierung in Brüssel. Auch in Flandern bildete man eine – auf deutsche Verhältnisse übertragen – "Ampelkoalition", in die aber zur Mehrheitsbildung die linke, ehemals flämisch-nationale, Volksunie (VU) einbezogen werden mußte. Auf den Oppositionsbanken blieben nur noch die Christdemokraten (CVP) und der flämisch-rechtsnationale Vlaams Blok (VB).

Am 8. Oktober gibt es nun in ganz Belgien Kommunalwahlen. Dabei erzielte in den letzten Wahlen 1994 der Vlaams Blok in Antwerpen rund 27 Prozent der Stimmen – und alle Welt sah eine "rechte Gefahr" heraufziehen. Diesmal droht nicht nur "ein" Antwerpen: in Gent, Mechelen, Beveren, Sint-Niklaas, Temse und weiteren Städten werden enorme Stimmenzuwächse für den Vlaams Blok erwartet.

Wie sieht es nun im einzelnen in Flandern aus, und was steht auf dem Spiel? Und wie sieht es speziell in Antwerpen aus? Diese Wahlen haben diesmal auch besonderes "nationales" Gewicht: es sind die ersten Wahlen für die blau-rot-grüne Regierung in Belgien, und viele Beobachter sind der Meinung, daß sich in Belgien seit dem Machtwechsel von 1999 nicht viel verbessert hat.

Die wichtigsten beiden Parteien in der Regierung sind die Liberalen. Diese waren 1999 der Ansicht, daß ihre Oppositionszeit viel zu lange gedauert habe, und deshalb machten sie sehr viele Zugeständnisse, um nach langer Zeit wieder einmal eine Regierung im Königreich zu führen. Auf belgischer Ebene ist es vor allem die flämische liberale Partei, welche die meisten Zugeständnisse gemacht hat: ihr politisches Programm – besonders hinsichtlich öffentlicher Sicherheit, Kriminalitätsbekämpfung, Zuwanderung und flämischer Steuerhoheit und wirtschaftlicher Selbständigkeit – hat sie fallenlassen müssen. Und für viele politische Beobachter ist nicht Guy Verhofstadt (VLD) belgischer Premier, sondern der wallonische Liberale Louis Michel – weltbekannt geworden durch seinen Ausspruch: "Skifahren in Österreich ist unmoralisch". Innerhalb der flämischen VLD gibt es bestimmt viele Linksliberale á la Westerwelle, aber die Parteibasis ist eher konservativ. Wie diese "dunkelblaue" schweigende Mehrheit diese Regierungskoalition bewertet, wird die Kommunalwahl zeigen.

Die sozialistischen Parteien – vor allem die flämische SP – haben 1999 ein historisches Tief erreicht. In Flandern wählten weniger als 15 Prozent rot, d.h. weniger als die Stimmen für den Vlaams Blok. Dem neuen, jungen Vorsitzenden der SP, Patrick Janssens, einem Mann aus der Werbebranche, ist es noch nicht gelungen, die Partei wieder attraktiv zu machen. Seine Wahlkampagne dreht sich allein um Personen und nicht um Ideen. Man fragt sich in der Presse, ob die Sozialisten überhaupt noch Ideen haben. Ihre "Altvorderen" sterben aus, und junge Sozialisten findet man allmählich immer weniger. Bart Tromp, Mitglied der niederländischen Schwesterpartei PVDA, nannte die jetzige SP zutreffend "eine Wahlkampfmaschine plus Arbeitsstelle für politisches Personal". Hat die SP überhaupt noch ein Ziel in Flandern, außer den Machterhalt? Das fragen vielen sich viele, nicht nur in "rechten Kreisen".

Und die Grünen? Wie wird ihre erste Regierungsteilnahme aufgenommen? Der Elan des politischen Personals von Agalev läßt viel zu wünschen übrig. Ihre Minister haben keine Sachkenntnis und in wichtigen Umweltfragen ungeheure Zugeständnisse gemacht, nur um dabei- zusein – ähnlich geht es ja auch den deutschen Grünen. Das kleine Polterdorf Doel steht als Symbol dafür: Vor einigen Jahren beschlossen die bürgerliche Parteien, daß Doel verschwinden müßte, für die Hafenausdehnung in Antwerpen. Nein, sagte Agalev, Doel wird leben, dafür tragen wir Sorge. Jetzt ist Agalev dran, und das Dorf wird trotzdem verschwinden. Diese und andere Umweltsünden werden Agalev vielleicht teuer zu stehen kommen. Fatima Bali, türkische Kandidatin auf Platz 4 der Agalevliste in Antwerpen, sagte: "Agalev ist bürgerlich geworden. Es besteht ein Riesenunterschied zu den Grünen aus der Pionierzeit".

Über die vierte Kraft in der belgischen Koalition, die Volksunie, ist nicht viel zu berichten. Seit dem letzten Wechsel im Vorsitz hat sie ihre Balance total verloren. Der neue VU-Chef, Geert Bourgeois, versucht die VU wieder in eine radikalere "flämische" Richtung zu manövrieren, aber das politische Personal um den Ex-Vorsitzenden Patrik Vankrunkelsven bremst ab. Die VU erlebt eine Identitätskrise: ein Teil steht für eine Liberalisierung der "soften Drogen" oder die Unterstützung von "schwul-lesbischen" Forderungen, der andere Teil will wieder eine größere Selbständigkeit Flanderns. Das alles sorgt für Desorientierung beim flämisch-nationalen Wahlvolk. Obwohl die VU auf flämischer Ebene in der Regierung vertreten ist, konnte sie keine einzige "flämische" Förderung durchsetzen, nicht einmal die Forderung nach fiskaler Autonomie. Die Partei ist überflüssig – so denken viele.

Und die Opposition? Die Christdemokraten sind die größte Oppositionspartei, aber orientierungslos und uneinig. Die Linkskoalition braucht daher eine starke Opposition von seiten der CVP nicht zu fürchten. Die Christdemokraten – seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen in der Regierung – finden sich in der Opposition nicht zurecht – auch da besteht eine deutsche Parallele. Sie streiten über fast alles: angefangen vom Asylthema über die Steuerautonomie bis zu Religionsfragen. So gibt es in Antwerpen den Witz, daß auf der Liste der CVP gar keine Gläubigen mehr vertreten sind – oder nur einer, und das ist ein Islamist. So ist nicht verwunderlich, daß nun CVPler zusammen mit der "bunten" Regierungskoalition einen "cordon sanitaire" gegen den "rechtsextremen" Vlaams Blok bilden, der an die verblichene "Nationale Front der Parteien und Massenorganisationen der DDR" erinnert.

Ist daher der Vlaams Blok die einzige echte Alternative? Wird er die Unzufriedenheit der Bürger für sich nützen können? Unwahrscheinlich ist das nicht, und die Chancen stehen gut, in Städten wie Antwerpen, Gent, Beveren, Sint-Niklaas oder Mechelen stärkste Partei zu werden. Aber der VB hat – bedingt durch den "cordon sanitaire" – einen Mangel an fähigen Leuten und keine Regierungserfahrung, weil diese Partei bislang aus allen Koalitionsgesprächen ausgeschlossen blieb.

Die Gretchenfrage dieser Wahlen ist: wird dieser "cordon sanitaire" standhalten? Wo wird er zuerst durchbrochen? Welche Parteien sind bereit, mit dem VB eine Mehrheit in einer Stadtverwaltung zu bilden? Die ganze Welt wird am 8. Oktober auf uns schauen, meinen stolze Antwerpener. Was wird in Antwerpen passieren? Wie hoch wird VB diesmal gewinnen? Die Bürger haben nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: das "Etablisment" oder den Vlaams Blok, denn die Stadtverwaltung besteht inzwischen aus Vertretern aller Parteien, ausgeschlossen ist nur Vlaams Blok

Die Stadtverwaltung besteht aus Liberalen, Sozialisten, Christdemokraten, Grünen, Unabhängigen, Volksunie und extremen Linken – das ist einzigartig in der ganzen Welt! Das bedeutet Regieren auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Wie wird den "bürgerlichen" Parteien – VLD und CVP – ihre Zusammenarbeit mit Linksextremisten "gedankt"? Manche in diesen beiden Parteien sagen jetzt schon, daß ihnen eine Koalition mit dem Vlaams Blok besser bekommen wäre – auch der gescheiterte Österreich-Boykott regte zum Nachdenken an.

Mieke Vogels (Gesundheitsminister der belgischen Regierung und gebürtiger Antwerpener) sagte in der linken Zeitung De Morgen: "Wenn Sie mich fragen, ob es uns gelungen ist, den Vlaams Blok zurückzudrängen, dann sage ich in aller Offenheit: Nein."


 
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