© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
CD: Pop
Zelebrationen
Peter Boßdorf

Von Richard Ashcroft erzählt die Fama, daß er große Stücke auf sich hält, und die Markterfolge lehren, daß sein Urteil von nicht gerade wenigen geteilt wird. Niemand verlangt von ihm, der Lüge neue Nahrung zu geben, daß es doch wohl arme Schlucker sind, die mit lausigem Budget Großes bewegen. Da macht es Spaß, ein wenig in sich hineinzuhorchen, und so gibt es für ihn immer viel zu erzählen – von der Liebe, vom Leben, von den großen und kleinen Gefühlen, zu denen man fähig ist, sofern man nur genug Übung darin hat, alles, was die Welt anbietet, damit es wahrgenommen werde, auf sich selbst zu beziehen. Der Titel seiner ersten Solo-CD nach dem neuerlichen Split von The Verve führt daher leider auf eine falsche Fährte: "Alone With Everybody" (Virgin) ist mitnichten einer jener ungezählten mehr oder weniger musikalischen Belehrungsversuche, in denen gitarrespielende Philosophen sprach- und wehrlosen Hörern in etwas weniger als einer Stunde das Paradoxon nahebringen wollen, daß dort, wo viele Menschen zusammen sind, der Einzelne ganz furchtbar allein und daher traurig zu sein pflegt. Ashcroft hingegen weckt das Verständnis dafür, daß nicht einsam ist, wer sich selbst hat. Wer hat zum Beispiel je jemanden gesehen, der sein Frühstücks-Sandwich so souverän zu zerlegen vermochte wie Richard Ashcroft im Video zu "A Song For The Lovers"? In dieser Feier seiner selbst ist er über das Stadium der Ironie längst hinaus. Aus der Gewißheit der eigenen Geschmackssicherheit heraus läßt es sich tatsächlich leicht geschmackssicher sein, selbst dort, wo das Pathos freie Bahn hat. Dieser Sound nährt Mißverständnisse, ohne deshalb erklärungsbedürftig zu werden.

Das Pathos, das jene deutschen Musiker zelebrieren, die unter dem Namen Hekate firmieren, nährt sich aus komplexeren Zusammenhängen. Zunächst ist es sicherlich jener der rituellen Bandtradition verpflichtete Einsatz von Trommeln, der einer entsprechenden Stimmung den Weg bereitet. Gestaltet wird sie allerdings erst durch die Vielzahl von literarischen Bildern und Bezügen, die aufblitzen, ohne daß sie sich zu einem Kennzeichen verdichten ließen. Das künstlerische Konzept, das die LP "Hambach 1848" durchblicken ließ, ist durch "Sonnentanz" (Well of Urd) entgrenzt. Die biedermeierliche Hymne von den Gedanken, die frei seien, steht neben Hölderlin-Zitaten, einem Nibelungen-Fragment und jiddischer Lyrik. Die Breite dieses Interesses korrespondiert mit jener des bündischen Milieus der Zwischenkriegszeit, dessen Bilderwelt die Gestaltung des Booklets durchzieht. In dessen musikalische Tradition stellt sich Hekate aber allenfalls indirekt. Mit den Mitteln des Neo Folk, ganz gleich, in welche Richtung man ihn variieren mag, kann und soll derartiges aber auch gar nicht intendiert sein.

Die deutsch-norwegische Künstlerin Andrea "Nebel" Haugen hingegen bezieht sich mit ihrem Projekt Hagalaz‘ Runedance auf eindeutige Traditionen, die allerdings noch nachhaltiger verschüttet sind, auf ein germanisches Heidentum, dessen Rudimenten sie nachspürt, um sie dann mit eigener Imagination zu rekonstruieren. Anders als bei den ähnlich gelagerten Versuchen der Altvorderen von Sixth Comm ("Fruits of Yggdrasil") versandet die musikalische Umsetzung nicht in liturgisch verbrämtem Sprechgesang, sondern rauft sich auf "Volven" (Well of Urd) zu ruhigen, durch die Percussion mit einer Portion Schwere ausgestatteten Weisen zusammen, die dem Schicksal ergeben und der Gegenwart enthoben sind. Das Mißfallen am Christentum und seiner Hinterlassenschaft ist aus dieser Stimmung nicht wegzudenken. Vor allem gelingt es der Sängerin, die Zwangsvorstellung der mystisch dreinschauenden Frau, der den Naturkräften verbundenen Weisen nicht unnötig um eine weitere Variante zu bereichern. Dies ist in den Zeiten des Spätwerkes von Madonna ausgesprochen wohltuend.


 
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