© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Gabriele Zimmer
Stubenreiner Stallgeruch
von Christian Vollradt

Zur neuen Bundesvorsitzen den der PDS wurde am 14. Oktober auf dem Parteitag in Cottbus die Thüringerin Gabriele Zimmer aus Hinternah bei Suhl gewählt. Die 1955 in Berlin geborene Zimmer gilt als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen dem sogenannten Reformflügel und den Orthodoxen der PDS.

Gewünscht ist eine Melange aus bundesrepublikanischer Stubenreinheit und DDR-Stallgeruch; letzteren bringt die zweifache Mutter zweifelsfrei ausreichend mit: "Wir haben nicht vergessen, woher wir kommen", sagt sie mit Blick auf die Vergangenheit der Partei. Auf sich selbst bezogen dürfte dieses Vergessen auch schwerfallen, denn ihr bisheriges Wirkungsfeld war noch eingegrenzter als die Republik, deren "antifaschistischen Schutzwall" Zimmers Ehemann einst bewachte. Dem Studium folgte seit Anfang der achtziger Jahre eine waschechte Apparatschikkarriere beim Suhler Sport- und Jagdwaffenkombinat, zunächst als Redakteurin der Betriebszeitung und Mitarbeiterin der SED-Parteileitung. In der Wendezeit agitierte sie daselbst als SED-Parteisekretärin. 1990 wurde sie Landesvorsitzende der Thüringer PDS und zog in den Landtag ein. Der dortigen Fraktion steht sie seit 1999 vor. 1997 wurde sie zur Stellvertreterin des PDS-Bundesvorsitzenden gewählt.

Als wolle sie den Kompromißcharakter ihrer Nominierung unterstreichen, laviert Gabi Zimmer in der Bewerbungsrede zwischen den parteiinternen Widerparteien, deren Kakophonie beim Münsteraner Parteitag Zimmers Amtsvorgänger zum frustierten Abgang bewegt hatte. "Systemkritische Opposition" und "Reformkraft" sei kein Spagat, sondern eine Brücke, ließ sie dialektisch geschult die Delegierten wissen. Für derartige Umbenennungen scheint die "Diplomsprachmittlerin" Zimmer wie geschaffen. So verteidigt sie einerseits das im Leitantrag abgesegnete Eingehen auf Schröders Kuschelkurs gegen den Vorwurf der Sozialdemokratisierung und verteilt andererseits Zuckerbrot und Peitsche an Kommunistische Plattform und Marxistisches Forum: Die PDS sei kein "exklusiver Klub", sondern eine "sozialistische Volkspartei"; aber mit ihrer neuen Vorstandskollegin Wagenknecht will sie selbstverständlich zusammenarbeiten.

Trotz eines äußeren Erscheinungsbildes, das inzwischen schon mehr an H&M als an HO erinnert, hallt in Zimmers Ausführungen noch der belehrende, kindgerechte Tonfall vergangener Pionierschulungsabende wider: "Den Marx hat das Eigentum immer interessiert ... Marx hat sich immer gern viel Arbeit gemacht."

Aus dem "Traum von der Mitmenschlichkeit", konstatierte sie auf dem Parteitag in Cottbus, "wird Sozialismus aus der Gesellschaft heraus erwachsen". Das klingt sehr nach einer "Revolution, die die Pfeiler des Hauses stehenläßt", um den von ihr gern herangezogenen Marx noch einmal zu zitieren. Dies sei aber – so der Urahn – "utopischer Traum für Deutschland". Träum weiter, Gabi!


 
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