© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Bekenntnis zum Rechtsradikalismus?
Knobloch-Interview: Heftige Kritik an der Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland
Moritz Schwarz

Kaum hat sich der Sturm im Blätterwald über das Interview der JUNGEN FREIHEIT mit Staatsminister im Auswärtigen Amt Christoph Zöpel (JF 39/00) gelegt, sorgt jetzt das JF-Gespräch mit der Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch (JF 42/00), erneut für Wirbel. Die Vizepräsidentin, selbst Überlebende des Holocaust, hat darin unter anderem die unter umgekehrten Vorzeichen von der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung fortgesetzte nationalsozialistische Politik der Spaltung des deutschen Volkes in Juden und Nichtjuden als "unsichtbare Mauer" beklagt. Vor allem der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, erzürnte sich und nannte das Interview einen "unüberbietbaren Skandal" und versicherte, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrates, Ignatz Bubis, über dessen Versöhnungs-Bemühungen ebenfalls gesprochen worden war, hätte sich "im Grabe umgedreht". Tatsächlich aber hatte sich Bubis 1995 selbst in Frankfurt am Main zu einem Hintergrundgespräch mit der JUNGEN FREIHEIT getroffen (siehe Dokumentation auf dieser Seite).

Michel Friedman, Präsidiumsmitglied des Zentralrates, gab sich zurückhaltender, nannte das Gespräch "gerade in dieser Zeit problematisch" und äußerte die Vermutung, Frau Knobloch sei von der JUNGEN FREIHEIT "mißbraucht worden". Im Falle Staatsminister Zöpels hatte Friedman noch Konsequenzen gefordert, ob dies nun auch in diesem Falle gelte, mochte er laut einem Bericht der tageszeitung "nicht sagen".

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, daß die Vizepräsidentin, übrigens gleichzeitig Vorsitzende der Gemeinde in München, bei der nächsten Sitzung des Zentralrates keinen leichten Stand haben werde. Auf besonders heftige Kritik, so die Süddeutsche Zeitung weiter, ist die Äußerung Knoblochs zum Philosemitismus gestoßen. Nicht nur forderte sie ein schärferes Vorgehen gegen den aggressiven Antisemitismus in Deutschland, sondern sie warnte auch vor dem Antisemitismus unter umgekehrten Vorzeichen, der "sehr gefährlichen Gruppe" der Philosemiten. Eine "jüdische Repräsentantin", hieß es daraufhin rügend aus Kollegenkreisen, habe sich "mindestens des gleichen Maßes an politischer Korrektheit" zu befleißigen.

Kritik kam auch von dem Leiter des Moses-Mendelsohn-Zentrums in Potsdam, Julius Schoeps. Laut Münchner Merkur äußerte Schoeps über Knoblochs Verhalten den Verdacht: "Ich frage mich, ob das ein Bekenntnis zum Rechtsradikalismus ist." Charlotte Knobloch reagierte bislang weder auf die auf Disziplinierung abzielende Kritik an ihrem Interview noch auf den Verdacht des Rechtsradikalismus.

Die Vielzahl von drängenden Problemen, die Frau Knobloch im Bemühen um die Verbesserung der festgefahrenen Lage des Verhältnisses zwischen Juden und Nichtjuden in dem Interview ansprach, stieß indessen auf keinerlei Resonanz. Damit bestätigt sich nur die von der Vizepräsidentin gegenüber der JUNGEN FREIHEIT skizzierte Analyse der Situation.


 
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