© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Der Frieden findet nur wenig Freunde
Naher Osten: Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist kein Ende in Sicht
Ivan Denes

Die jüngste Welle blutiger Unruhen in den von Israel besetzten Gebieten ist nach Meinung des überwiegenden Teils der westlichen Medien auf eine "Provokation" des Oppositionsführers im israelischen Parlament, Ariel Sharon, zurückzuführen. Mit seinem Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg habe er die religiösen Sensibilitäten der Palästinenser gezielt verletzt, er habe die Unruhen absichtlich herbeigeführt, um den Friedensprozeß, der von der Barak-Regierung sei ihrem Amtsantritt rigoros verfolgt wurde, endgültig zu vereiteln. So schnell ist man mit Verurteilungen wenn es um das Vorgehen rechter Politiker geht. Bei ihrer Beurteilung spielt die "political correctness" eine wesentlich wichtigere Rolle als die nackten Fakten. Deren gleich drei werden außer acht gelassen:

- Es war nicht Sharons erster Besuch auf dem Tempelberg.

- Der Besuch auf dem Tempelberg, der die Souveränität Israels über das Gelände veranschaulichen sollte, war mit der Regierung abgesprochen. Der Beweis: der amtierende Außenminister und Minister für die Innere Sicherheit Schlomo Ben-Ami hat im Vorfeld des Sharon-Besuches auf dem Tempelberg den amtierenden Chef der palästinensischen Behörde für präventive Sicherheit, Dschibril Radschub, aus Washington angerufen und ihn um eine Bewertung des bevorstehenden Sharon-Besuches gebeten. Manchmal gibt es eine operative Rollenverteilung zwischen Regierung und Opposition – eine Praxis, die in jeder parlamentarischen Demokratie zum außenpolitischen Alltag gehört.

- Radschub hat versichert, der Besuch Sharons auf dem Tempelberg werde keine Probleme verursachen, insofern Sharon nicht versucht, auch in die Moscheen einzutreten. Das hat Sharon tunlichst vermieden.

Wie dem auch sei – seit mehr als drei Wochen fließt wieder Blut im Nahen Osten, und auch das Gipfeltreffen von Scharm-el-Scheich hätte höchstens ein Waffenstillstands-Papier produzieren können. Die Friedensverhandlungen, denen in den letzten 16 Monaten fünf Verhandlungsrunden auf höchstem Niveau gewidmet waren, scheinen endgültig ausgeklungen zu sein. Die rund um die Welt ausgestrahlten Fernsehbilder der jetzt tobenden "zweiten Intifada" haben die internationale öffentliche Meinung weitgehend emotionalisiert, zumal immer wieder verwundete oder tote Kinder und Jugendliche gezeigt werden, die den israelischen Kugeln zum Opfer fielen. Und als drei israelische Soldaten von einem palästinensischen Mob regelrecht gelyncht wurden und darauf die Israelis mit Hubschraubern zurückschlugen, da erklang ein allgemeiner Protestschrei der zivilisierten Welt gegen die unverhältnismäßig harten Reaktionen der Israelis.

Die verschiedenen palästinensischen Polizei- und Sicherheitsverbände verfügen – entgegen den Bestimmungen des nunmehr eingeschläferten Osloer Abkommens – über Zehntausende Feuerwaffen, teils von den Israelis selbst geliefert, teils aus Ägypten eingeschmuggelt. Und wenn die palästinensische Polizei auf israelische Soldaten schießt – was suchen Kinder und Jugendliche im Gefecht?

Darauf gibt es mindestens drei sinnvolle Antworten:

- In den Jahren, die seit der Etablierung der palästinensischen Autonomiebehörde 1994 vergangen sind, wurden in allen Schulen Curricula eingeführt, in denen den Kinder Haß gegen alles Israelische eingetrichtert wird und die Rechtmäßigkeit der palästinensischen Ansprüche auf das gesamte Gebiet zwischen dem Jordan und das Mittelmeer – also die Vernichtung des jüdischen Staates – mit größtem Nachdruck gelehrt wird. Der Gedanke des heiligen Krieges, des Dschihad, ist allgegenwärtig in den palästinensischen Schulen, Medien und politischen Versammlungen. Die auf arabisch formulierten politischen Äußerungen Arafats und seiner Spitzenleute unterscheiden sich wesentlich von denen in englischer Sprache – was sogar im US-Kongreß bemerkt wurde.

- Der Rückzug der Israelis aus dem Südlibanon – Ehud Barak löste damit ein Wahlversprechen ein, nämlich dem Verlust jüdischen Lebens im Abnutzungskrieg mit der libanesischenHisbollah ein Ende zu setzen – hat Yassir Arafat auf den falschen Gedanken gebracht, er könne auf ähnliche Weise die Israelis mit Gewalt zu weiteren Zugeständnissen auch im Westjordanland und in Jerusalem zwingen. Während Barak sich vor der israelischen Öffentlichkeit für jedes verlorene Menschenleben verantworten muß, schert sich Arafat keinen Deut um die Zahl der Opfer. Seine Denkweise hat sich seit seinen Jahren an der Spitze der Terrororganisation nicht gewandelt.

- Arafat hat keine Skrupel, Vereinbarungen und sogar Verträge zu brechen und Menschenleben zu opfern, wenn er meint damit seinem Fernziel näherzukommen, nämlich der Errichtung eines palästinensischen Staates in ganz Palästina und der Heimkehr der palästinensischen Flüchtlinge aus aller Welt.

Ehud Barak hat eine katastrophale Verhandlungsstrategie verfolgt, indem er Arafat von Anfang an alle seine Trümpfe auf den Tisch legte – Anerkennung eines Palästinenserstaates, Rückzug aus 90 Prozent der besetzten Gebieten einschließlich des strategisch wesentlichen Jordantales, die Teilung Jerusalems, die Lösung des gravierenden Wasserproblems. Barak provozierte damit geradezu Yassir Arafat zu maximalistischen Forderungen. Barak hat inzwischen längst seine parlamentarische Mehrheit verloren, er ist nur noch ein Ministerpräsident auf Abruf, 75 Prozent der Israelis betrachten (laut einer laufenden Umfrage der angesehenen Jerusalem Post) seine Verhandlungsführung als verfehlt. Er ist nicht mehr in der Lage, den geradezu lächerlichen und völlig würdelosen amerikanischen Versuchen zu widerstehen, noch in der kurzen Amtszeit Bill Clintons eine endgültige Nahostfriedensregelung herbeizuführen. Als kürzlich in Paris Yassir Arafat – ein vollkommener politischer Schauspieler – scheinbar wutentbrannt aus dem Verhandlungsraum stürmte, rannte ihm Madeleine Albright auf dem Korridor nach, um ihn zu beschwichtigen. Als in Scharm-el-Scheich im Möwenpick-Hotel, in dem die Verhandlungen stattfanden, Ehud Barak sich mal zur Toilette begab, ging ihm der US-Präsident nach und bearbeitet ihn eine Viertelstunde lang am stillen Örtchen, was die Sicherheitsbeamte veranlaßte, andere Personen nicht zum Wasserlassen in den Raum eintreten zu lassen! Mit oder ohne Vereinbarung in Scharm-el-Scheich werden die Gewaltausbrüche nicht auf Knopfdruck einzustellen sein. Der böse Dschinn ist aus der Flasche gewichen und wird in absehbarer Zeit kaum zurückzuzwingen sein. Der unter den Illusionen eines "Neuen Nahen Ostens" verdeckte, Jahrtausendealter Haß ist schlagartig an die Oberfläche durchgebrochen. Der in Oslo initiierte Friedensprozeß ist wieder einmal auf die Klippe der Geschichte der Glaubenskriege aufgelaufen. Ob dieser auf israelischer Seite von einer Notstandsregierung bzw. einer nationalen Einheitsregierung geführt wird oder das Parlament sich auflöst und kurzfristig Neuwahlen ausgeschrieben werden, ist nicht vorauszusagen. Die Israelis fühlen sich einmal mehr mit dem Rücken an die Wand bzw. ans Ufer des Mittelmeers gedrückt. Sie werden mit Wucht zurückschlagen – schon jetzt redet man von Scharfschützen, die mit mit Schalldämpfern versehenen Spezialgewehren und Hohlkopfkugeln die Rädelsführer der Steinwerfer abschießen (Daily Telegraph vom 17. Oktober). Dann aber, in der kommenden Woche, wird der große arabische Gipfel zur Palästina-Frage stattfinden. Die arabischen Staats- und Regierungschefs werden sich vorbehaltlos mit Yassir Arafat solidarisieren und dem Mann den Himmel auf Erden versprechen. Ob sie auch bereit sein werden, wieder einmal in den Krieg zu ziehen (Amerika wird bis zur Amtsübernahme durch den neuen Präsidenten im Januar zwei Monate lang politisch paralysiert in einem luftleerem Raum stehen!), steht in den Sternen. Die Beschlüsse des Gipfeltreffens könnten aber für Israel zur Schicksalsfrage werden. Dazu gehört auch das Recht, in Jerusalem an der Klagemauer zu beten.


 
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