© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Dogmen und heilige Kühe
Reportage über Irving-Prozeß: FAZ-Feuilletonistin ohne neue Erkenntnisse
Ronald Gläser

Nachdem David Irving den Prozeß gegen Deborah Lipstadt verloren hatte, war klar, daß die Gegner des britischen Historikers diesen Triumph alsbald ausgiebig publizistisch feiern würden. Den Anfang hat jetzt Eva Menasse gemacht, eine Feuilletonistin der FAZ, die den Prozeß vor dem Londoner High Court zu Beginn dieses Jahres beobachtet hat.

Eva Menasse behauptet, bereits als Kind vom britischen "Fairplay" fasziniert gewesen zu sein. "Holocaustleugnern" und "Geschichtsklitterern" wie David Irving bringt sie allerdings von vornherein keinerlei Fairneß entgegen. Immerhin ist ihr nicht verborgen geblieben, daß Politik und Justiz in Deutschland und Österreich den Argumenten Irvings nichts als Ignoranz und drakonische Strafen entgegenzusetzen haben, während in anderen Ländern die Meinungsfreiheit auch für prodeutsche Historiker gilt. Das Einreiseverbot Irvings in ganz Deutschland befürwortet sie ausdrücklich.

Der Kläger David Irving und die Beklagte Deborah Lipstadt werden in "Der Holocaust vor Gericht – Der Prozeß um David Irving" von Eva Menasse unter die Lupe genommen. Irving, so erfährt man, habe eine blonde, dänische Frau und ein Kind, ein Haus in einem noblen Londoner Stadtteil und sei Rechtsextremist von Beruf.

Der Brite wird verächtlich gemacht und stigmatisiert. Seine Thesen seien "widerlich", er wolle nur die große Show, eigentlich sei er schizophren. Er könne wie "ein Märchenonkel über die Nazizeit schwadronieren." So lauten Eva Menasses Argumente. Als Ursache hat die FAZ-Reporterin nicht zuletzt eine schlimme Kindheit Irvings ausmachen können, der ohne Vater aufgewachsen ist. Erst in Deutschland habe sich der gescheiterte Geschichtsstudent wohl gefühlt, daher habe er zunehmend die Nähe der Deutschen gesucht und seinen Ärger über die Kindheit auf sein Heimatland projiziert. Obwohl David Irving wisse, wie sehr er provoziere, sehe er auch den geringsten Vorboten von Widerstand gegen seine Tätigkeit als Beweis für die globale Verschwörung gegen ihn. Diese These entspricht haargenau dem, was Norman Finkelstein über die Akteure der Holocaust-Industrie sagt. Um solcherlei Vergleiche von vornherein auszuschließen, unterscheidet Frau Menasse zwischen einem politischen und einem geschichtlichen Aspekt des Holocaustes. In vielerlei Hinsicht schwingt das Finkelstein-Buch wie ein Damoklesschwert über dem "Bericht über den Jahrhundertprozeß". Die Autorin erwähnt "The Holocaust-Industry" sogar explizit und versucht einige der Argumente des Juden im Vorfeld zu entkräften.

Ganz anders wirkt dagegen – trotz vorsichtiger Kritik – ihre Darstellung der Beklagten. Deborah Lipstadt sei eine gefragte und anerkannte Historikerin mit einem Lehrstuhl für sogenannte Holocaust Studien an der Emory Universität in Atlanta. Ihr Buch "Denying the Holocaust", sei ein "Standardwerk". Irving hatte die Jüdin Lipstadt wegen der Behauptung in dem Buch verklagt, er sei einer der gefährlichsten Holocaust-Leugner der Welt. Diese Rufschädigung habe dazu geführt, daß etliche Verlage nicht mehr bereit seien, seine Bücher zu veröffentlichen.

Jetzt wollte er gerichtlich geklärt wissen, was der Holocaust und dementsprechend ein Holocaust-Leugner sei. Protokollartig spult Eva Menasse den gesamten Prozeß von Januar bis April noch einmal ab. Die einzelnen untersuchten Themen reichten von der genauen Zahl der Opfer des alliierten Bombardements auf Dresden 1945 bis hin zur Frage nach den Gaskammern in Auschwitz.

Das Bild im Gerichtssaal gleicht der biblischen Auseinandersetzung Davids gegen Goliath: Hier die hoch bezahlten Anwälte auf der Seite der Beklagten mit ihren Assistentinnen und den fürstlich honorierten "Experten", dort der Einzelgänger David Irving, der keinen Anwalt, keinen Assistenten und keine Gutachten aufbieten kann. Einer der Zeugen Irvings ist ein Professor für Psychologie, von einem Lehrinstitut, das "nicht zu den führenden Universitäten der Vereinigten Staaten gehört", wie Frau Menasse sogleich versichert. Glaubwürdiger sind da natürlich die ehrenwerten Zeugen der Verteidigung. Diese haben in der Summe für ihre Aussagen, die sie in der Regel einen oder zwei Prozeßtage in Anspruch genommen haben, 543.000 englische Pfund kassiert. 92.000 davon erhielt beispielsweise der Berliner Politologe Hajo Funke, der Irvings Kontakte zur rechten Szene "nachwies".

Spitzenreiter war der jüdische Professor van Pelt, der – obwohl kein Architekt – für sein architektonisches Gutachten über die das Konzentrationslager von Auschwitz fast 110.000 Pfund kassierte. Diese finanziellen Details verschweigt Frau Menasse. Auch die noch interessantere Frage nach den Quellen der unerschöpflichen Mittel der Verteidigung blendet die Autorin aus. Statt dessen drückt sie ihre Freude über das unvermeidbare Urteil aus. David Irving, verkündete Richter Gray in seiner Urteilsbegründung, sei ein Geschichtsklitterer.

Eva Menasse ist schizophren. Der Holocaust habe, so die Kulturredakteurin, endlich den Platz im öffentlichen Bewußtsein, der ihm zustehe. Gleichzeitig vermittelt sie unbewußt großes Mißtrauen gegenüber der Holocaust-Industrie und den Argumenten ihrer Vertreter. Sie unterstellt, daß Schändungen jüdischer Friedhöfe bewußt ermöglicht (oder gar herbeigeführt?) werden, um auch das letzte bißchen Selbstvertrauen der Deutschen im Sturm der antifaschistischen Entrüstung zu beseitigen. Die Holocaust-Leugner sind laut Menasse selbst am Dogma der Holocaust-Industrie schuld. Durch ihre Zweifel würden sie Leute wie Lipstadt dazu bringen, um so energischer ihre Thesen zu vertreten.

Gleichzeitig macht sie sich über Grundrechte lustig, wann immer ihr das opportun erscheint. Die Meinungsfreiheit sei "eine der heiligsten Kühe Amerikas". Eva Menasse offenbart ein skurriles Weltbild, wenn sie mit Blick auf die VereinigtenStaaten erläutert, Holocaust-Leugnung sei seit Beginn der neunziger Jahre "en vogue". Vollends lächerlich macht sie sich, wenn sie über die Geschichtswissenschaft allgemein äußert: "Nein, Irvings braucht die Geschichtswissenschaft nicht, um [...] herausgefordert und stimuliert zu werden. Goldhagens genügen vollauf."

 

Eva Menasse: Der Holocaust vor Gericht – Der Prozeß um David Irving. Siedler Verlag, Berlin 2000, 192 Seiten, geb., 29,90 Mark


 
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