© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Oh, diese Angebotsideologen
Paul Krugmann streitet gegen eine Schmalspur-Ökonomie
Philip Plickert

W enn der Groschen fällt, dann fällt er. Bei der von Krugman angepeilten Zielgruppe der "interessierten Laien" sicherlich viele Male: Kling, kling, kling. Mit großem stilistischen Talent – das müssen auch seine Kritiker ihm zugestehen – polemisiert der MIT-Professor gegen die Irrtümer und Trugschlüsse, die das unreflektierte Schwafeln über "die globale Wirtschaft" hervorbringt. Die Tücke der "Pop-Ökonomen" liegt nach Krugman darin, daß sie nicht wie die Schulökonomen "Langweiler" sind, deren Formelungetüme keiner versteht, sondern mit Vorurteilen, schiefen Vergleichen und verzerrten Zahlen die unschuldige Öffentlichkeit verführen.

Seine erste Attacke reitet Krugman in "Schmalspur-Ökonomie" gegen das Gewerkschaftsmärchen, durch Automatisierung werde uns "die Arbeit ausgehen". Natürlich führt eine erhöhte Produktivität bei konstanter Nachfrage zu Rationalisierung, das heißt Entlassungen in der betreffenden Branche. Aber warum sollte die gesamtwirtschaftliche (!) Nachfrage nicht in gleichem Maße wie die Produktivität steigen? Durch Produktivitätszuwächse gibt es natürlich mehr Wohlstand für alle. Die Behauptung einer strukturellen Nachfragelücke, im Grunde eine Abwandlung der mißratenen Marxschen "Verelendungstheorie", basiert auf einem Denkfehler: Man betrachtet eine Industrie isoliert und verallgemeinert dann in unzulässiger Weise.

Krugmans Ausführungen zu Keynes, dem von ihm sehr geschätzten Begründer der Makroökonomie, und dessen Ideen münden in einen heftigen Angriff gegen den heutigen "Vulgärkeynsianismus". Eine reine Nachfragestärkung bringt außer sündteuren Strohfeuern überhaupt nichts mehr. Warum nur erregt dann das andere Lager, die Vertreter der Angebotsseite, Krugmans heiligen Zorn? Die "supply-side economy" möchte mehr Effizienz der Märkte durch weniger Regulierung, weniger verzerrende Steuern und mehr Wettbewerb. Krugman schimpft unter der Überschrift "Die Irrtümer der Rechten" hemmungslos auf die "Angebotsideologen", welche von "reichen Spinnern" finanziert würden, um ihren "Virus" zu verbreiten. Ihre "holzschnittartige Doktrin" hätte nur bei "geistig Unbedarften" Chancen, die glaubten, "die wahre Linie des ökonomischen Denkens (gehe) von Adam Smith über einige obskure Österreicher der Jahrhundertwende direkt zu ihnen selbst" (wo doch ganz klar Paul Krugman der Beste ist). Mit dem Seitenhieb auf die "obskuren Österreicher" meint Krugman Ludwig von Mises, der sich in den USA zunehmender Beliebtheit erfreut.

Von Mises war im übrigen auch ein Anhänger des Goldstandards, also der Fixierung der umlaufenden Geldmenge. Die in den USA besonders bei den Republikanern recht einflußreichen Goldanhänger wollen auch heute noch eine ungedeckte Geldschöpfung durch die Zentralbank unterbinden. Krugman hält das ganze für "eine seltsame Kontroverse". Mit einfachem Dreisatz weist er schlüssig nach, daß die USA bei gegebener Entwicklung des Goldpreises in den letzten Jahrzehnten eine gewaltige Deflation erlebt hätten, wenn Bretton Woods oder eine sonstige Goldanbindung noch bestünde.

Krugman erblickt in monetären Maßnahmen immer noch ein Wunderheilmittel gegen Arbeitslosigkeit. Ist aber die deutsche Arbeitslosigkeit wirklich konjunktureller und nicht struktureller Art? Und wie steht es mit Japan? Im Fall der stagnierenden japanischen Wirtschaft rät Krugman: "Geld drucken, und zwar en masse." Wenn die Banken so richtig "in Reserven ‘schwimmen’, dann käme der Aufschwung. Andere meinen, dann käme eher die nächste Blasenwirtschaft mit spekulativen Exzessen, aber für solche Bedenken der japanischen Notenbank hat Krugman nur Spott übrig.

Einige argumentative Leckerbissen verstecken sich im Kapitel "Die Wachstumsideologie". Erst überrascht Krugman mit ketzerischen Ansichten zum Jubelgeschrei über den technologischen Fortschritt, den er gar nicht so überwältigend findet. Dann knöpft er sich die Propheten des "Neuen Paradigmas" vor. In ungezählten Artikels zur Produktivitätsrevolution der "New Economy" erzählen diese, wir näherten uns einer Welt des "perfekten Wettbewerbe" mit ewig stabilen Preisen und einem Ende der Konjunkturzyklen. Sogenannte "Netzwerkexternalitäten" versprächen unendliches Wachstum, das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen sei deshalb tot. Alles ändere sich! Alles Quatsch, kontert Krugman nüchtern mit einem Verweis auf seriöse Studien zum eher bescheidenen langfristigen Potentialwachstum.

Europäische Wirtschaftswissenschaftler haben sich in Diskussionen über die Währungsunion schwer verausgabt. Leider war ihr Rat eigentlich gar nicht gefragt, da es sich ja um ein politisches Projekt zur Einbindung Deutschlands und nicht um ein ökonomisches handelte, wie auch Krugman feststellt. Aber trotzdem ist es zuweilen erholsam, Argumente von jenseits des großen Teichs zum Pro und Contra fester Wechselkurse zu hören. Das Grunddilemma der Währungspolitik faßt Krugman in einer Matrix zusammen mit zwei Fragen: "Kann man dem Devisenmarkt trauen?" – "Ist Wechselkursflexibilität nützlich?". Wer beides mit "Ja" beantwortet, ist ein "gelassener Floater" (Krugman); wer beides verneint, sollte sich bei der EZB bewerben. Krugman selbst ist der Ahnvater der Forschung zu spekulativen Währungsattacken, hat sich also mit dem Phänomen plötzlicher Abwertung intensiv beschäftigt. Entschließt man sich trotz heterogenen Wirtschaftsraums für eine gemeinsame Währung, dann empfiehlt er die "Nike-Strategie": "Tu es einfach!", denn Abwarten rufe die Spekulanten auf den Plan. Ob dem Euro mit Turnschuh-Sprüchen langfristig geholfen werden kann?

Krugmans spielerischer Umgang mit komplexen Wirtschaftsfragen hebt sich wohltuend von anderen, oft staubtrockener Studien ab. Seine Streitschrift wider die "Schmalspur-Ökonomie" regt eine breite Leserschaft zum Nachdenken an. Hierzulande sollte sie aber nicht ohne Warnung verkauft werden. Nicht alles, was für die USA zutrifft, ist auch in Europa eine gute Sache. Krugman hilft aber sicherlich, den einen oder anderen Irrglauben linker und rechter Wirtschaftsignoranten zu beseitigen. Mit all den Groschen, die bei der Lektüre fallen, können die Gewerkschaften vielleicht die (angebliche) Nachfragelücke stopfen. Oder aber man legt sie beiseite und kauft sich später ein Buch von dem "obskuren Österreicher" – audiatur et altera pars.

 

Paul Krugman: Schmalspur-Ökonomie, Die 27 populärsten Irrtümer über Wirtschaft, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2000, 243 Seiten, 39,90 Mark.


 
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