© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Letzte Bilder
Ausstellung: Marilyn Monroe im Filmmuseum Frankfurt
Werner Olles

Also gedenken wir Marilyns, die jedermanns Liebschaft mit Ame-rika war, Marilyn Monroes, die blond war und schön und eine allerliebste Stimme besaß und die ganze Sauberkeit aller sauberen amerikanischen Vorgärten. Sie war unser Engel, der süße Engel des Sex, und der Schmelz des Sex ging von ihr aus gleich dem klaren Klang, der machtvoll verstärkt dem Resonanzboden einer edlen Geige entsteigt."

So begann Norman Mailer vor beinahe dreißig Jahren seine Roman-Biographie, eine hinreißende und sprachgewaltige Liebeserklärung an Marilyn Monroe, jene Schauspielerin, die schon zu ihren Lebzeiten zur Legende wurde. Mailer suchte die verwirrende Identität dieser "wunderschönen, wenn auch kaum einfachen Frau" zu ergründen, die, von Millionen begehrt, doch selbst kein Glück in der Liebe fand und unter nie ganz geklärten Umständen aus dem Leben schied. In seiner poetischen Huldigung erwachte sie hingegen noch einmal zum Leben.

Die sinnliche Ausstrahlungskraft und faszinierende Wandlungsfähigkeit von M.M. kann man jetzt auch in der im Frankfurter Filmmuseum gezeigten Ausstellung "Marilyn Monroe: Augenblicke" noch einmal erleben. Sechs Wochen vor ihrem plötzlichen Tod am 5. August 1962 traf sich die Schauspielerin mit Bert Stern, dem Top-Star unter den amerikanischen Mode- und Werbefotografen in Hollywoods Bel Air Hotel zum Fototermin. In der von Stern mit weißem Rollenpapier sanft dekorierten Suite 216 entstanden in drei Tagen 2.700 Mode-, Porträt- und Aktaufnahmen, die einen Höhepunkt in der Weltgeschichte der erotischen, der Mode- und Porträtfotografie darstellten und von denen nicht wenige zu fotografischen Ikonen wurden. 36 dieser Fotografien, denen die erotisch aufgeladene Atmosphäre dieser als "Last Sitting" bekannt gewordenen Aufnahmesession durchaus anzusehen ist, haben die beiden Kuratorinnen der Schau, Silke Hartmann und Ulrike Rechel, als "Best of"-Auswahl zusammengestellt.

Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Reihe von acht ihrer schönsten und erfolgreichsten Filme: Vom Edel-Western "Fluß ohne Wiederkehr" (1954) über den Thriller "Niagara" (1952) bis zu den köstlichen Komödien-Klassikern "Das verflixte siebente Jahr" (1955) und Billy Wilders "Manche mögen’s heiß" (1959). Begleitet durch Arbeiten der russischen Ikonenmalerin Eugenia Gortchakova und Videoinstallationen sowie Schaukästen der Bremer Künstlerin Marikke Heinz-Hoek wird die Ausstellung damit nicht nur zu einem ebenso spannenden wie einmaligen Dokument über die Erotik des Fotografierens, sondern auch zu einem Denkmal für die Schauspielerin, die wohl das begnadetste Fotomodell ihrer Zeit gewesen ist. Während Gortchakova den Hollywood-Star als Botticellis Venus und Toulouse-Lautrecs Jane in einen assoziativen Dialog mit der klassischen Kunstgeschichte treten läßt, verwischen bei den Video-Skulpturen von Heinz-Hoek zunehmend die Grenzlinien zwischen Fund und Erfindung und Leben und Fiktion. Besonders die Tanzsequenz aus ihrem letzten Film "Misfits – Nicht gesellschaftsfähig", in der die Monroe in einer endlosen Wiederholungsschleife gefangen scheint, läßt den Betrachter einen Hauch jener Auswegslosigkeit und jenes Unheils spüren, das sich damals wohl über ihr zusammenbraute.

Dennoch kehrt man immer wieder zu den Bildern Sterns zurück. Ist es der erotische Appell dieser perfekten Verführerin, hinter deren lasziver Pose und koketten Haltung bei genauerem Hinsehen bisweilen eine merkwürdige Trauer und ängstliche Erwartung durchscheinen? Und oft genug blitzt da auch etwas völlig Unerwartetes und Einfaches auf, das keine ihrer zahllosen Repliken – und schon gar nicht die Kunstfigur Madonna – jemals erreicht hat. Wer verbarg sich hinter dieser Frau, die als Norma Jean Baker am 1. Juni 1926 in Los Angeles unehelich geboren wurde, ihren Vater nie gekannt hat, und deren Mutter in der Nervenheilanstalt starb, die bei verschiedenen Pflegeeltern und im Waisenhaus aufwuchs und mit siebzehn einen Jungen aus der Nachbarschaft heiratete? War schließlich ihr mysteriöser Tod ein Selbstmord, oder wurde sie das Opfer einer politischen Intrige?

Auf diese Fragen geben weder ihre Filme noch die Ausstellung eine Antwort. Und dennoch sollte man sich noch einmal verzaubern lassen von dieser tiefen weiblichen Sinnlichkeit, die immer noch wie Licht von ihren Fotos ausstrahlt und uns wie Motten in die Flamme lockt. Die Legende Marilyn Monroe, erfunden und inszeniert von einer mächtigen Filmindustrie als Antwort auf die Phantasien von Männern in fünf Kontinenten, hat uns längst verlassen und ist doch allgegenwärtig: als Gegenstand der künstlerischen Phantasie, aber mehr noch als letzte romantische Geliebte Hollywoods.

 

Die Ausstellung ist bis zum 12. November im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/Main zu sehen (siehe Terminhinweis).


 
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