© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Film: "Oi! WARNING" von Dominik und Benjamin Reding
Mit Klischees gespickt
Ellen Kositza

Einige merkwürdige, vielleicht nur vermeintliche Widersprüche sind es, die den Hintergrund bilden zu einem Film, der, behangen mit einem schweren Kranz an Vorschußlorbeeren, dieser Tage in den Kinos anläuft. Dieses Lob, das dem offiziellen Filmstart in Form von mehrfachen deutschen wie internationalen Auszeichnungen vorauseilt, ist dabei einer dieser seltsamen Antagonismen: Von Gewalt, Männlichkeit und der Bedeutung von Sexualität innerhalb deutscher Skinhead-Subkultur soll das Debüt der Regisseure Dominik und Benjamin Reding handeln – und zwar ganz ohne den andernorts obligatorisch erhobenen Zeigefinger. So heißt es nicht nur in der Selbstverlautbarung, sondern anerkennend auch im Urteil der Pressestimmen: Ein Spiel mit dem Feuer sei dieser Film, kündet die FAZ, ein Fehlen jeglicher pädagogischer Töne verspricht der Berliner Tagesspiegel. Obendrein empfiehlt gar – und das gibt in der Tat zu denken – das strammrechte Thulenetz dieses Werk.

Wie paßt es da, diese Frage drängt sich auf, daß ausgerechnet einem solchen Werk der Filmpreis des DGB verliehen wird? Wie geht es an, daß die Landeszentrale für politische Bildung in Rheinland-Pfalz gratis zur Filmvorführung lädt? Wie kommen wohlwollende Stimmen auf der Netzseite des Filmprojekts ( www.oiwarning.de ) dazu, dringend anzuraten, den Film am besten bundesweit in das Pflichtprogramm für die Mittelstufe aufzunehmen?

Die Frage nach der verleugneten erzieherischen Absicht führt zum Milieu, in dem Reding & Reding ihre Geschichte spielen lassen und damit zu einer zweiten Unverhältnismäßigkeit: Die Skinhead-Szene ist alles andere als ein populäres Massenphänomen; nicht einmal in Mitteldeutschland ist sie das. Dennoch erscheint sie als dauerpräsentes Lieblingsthema der Medien: ob Nachrichten, Reportage oder Krimi, kein TV-Abend ohne marschierende Glatzen. Um seinem Anspruch gerecht zu werden, ein unkommerzielles, experimentelles Projekt zu präsentieren, müßte der Film einen famosen Insiderblick tief hinein in die Subkultur liefern. Das tut er nicht, und so ist die Wahl des populären Glatzenthemas bereits fragwürdig. Sie wird zum Gemeinplatz. Ein dritter Widerspruch ist der, der sich regelmäßig im Umgang mit dem Thema Gewalt, dem Hauptanliegen dies Films, erweist: Gewalt ist tabu, out und geächtet in jeder Beziehung, und dennoch nimmt sie angeblich ja zu: in den Schulen, den Städten, unter Kindern und wiederum in der Scheinwelt der bewegten Bilder. Gewalt sei ein Thema, an dem sich keiner die Finger verbrennen wolle, klagen die jungen Filmemacher. Dem könnte man begrenzt zustimmen, ginge es um die Verherrlichung von Gewalt – geht es hier aber gar nicht. Gewalt trägt auch in diesem Film (anders als in Ausnahmefilmen wie "Romper Stomper", "Clockwork Orange" oder "Natural Born Killers", wo sie biswielen faszinierend funkelt) durchgehend das häßliche Gesicht, unter dem sie in der Spätmoderne des Westens gemeinhin bekannt ist.

Der dem Sog der Gewalt hier erliegt, ist Janosch, wohlerzogener, doch gelangweilter Bub aus einem Bodensee-Kaff. Janosch (Laiendarsteller Sascha Backhaus), geplagt von einer mediokren postpubertären Identitätskrise, wie sie gelegentlich durch seine Stimme aus dem off verdeutlicht wird, reißt aus und zieht nach Dortmund. Dort kommt er bei Koma (Simon Goerts, ebenfalls Laie) und dessen schwangerer Freundin Sandra (Sandra Borgmann) unter. Während Janosch sich bislang als Scooter-Boy versteht, als Lambretta-Fahrer mit den szeneeigenen Musikvorlieben und der entsprechenden Kleidung, ist Koma Skin. Als solcher gehört er zwar der unpolitischen Fraktion an, doch Glatze ist Glatze, und das heißt nach Maßgabe des Drehbuchs: mindere Intelligenz mit Tendenz zur Idiotie, Gewaltbereitschaft, Hobbys: Saufen und Prügeln.

Koma ist einer, der seine Freundin vorstellt, indem er ihr mit kräftigem Griff an die Brüste greift, und Sandra ist eine, die zwar unaufhörlich keift, sich doch letztlich fügt. Janosch fühlt sich angezogen vom wilden Lebensgefühl der Glatzen, von ihren archaischen Ritualen, der markanten Körperlichkeit und nicht zuletzt von Koma selbst. Der Alemannen-Bub greift zum Rasierer und wird einer von ihnen, wird aufsässig, läßt sich tätowieren, prügelt sich mit Männern und paart sich mit Frauen. Doch dann lernt er Zottel kennen, nomen est omen, der gutmütige Kiffer Zottel von der Anti-Seife-Liga tritt als Feuerschlucker auf, wälzt sich gern in Schlamm (Presseinfo: "ein erdiger Typ") ist total witzig, lieb und schwul. Nun zündet Janoschs eigentliche Initiation, die hämmernden Frage "Wie werde ich ein richtiger Skinhead?" weicht dem Genuß des sexuellen Beisammenseins von Mann zu Mann. Und der Konflikt ist da: einerseits Koma, dem er Treue im Kampf geschworen hatte, andererseits Zottels heiße Küsse. Das dramatische Ende erscheint als Variation des australischen Kultstreifen "Romper Stomper", eines ganz und gar authentischen Glatzenfilms, dort war es die tosende Meeresbrandung, hier das Prasseln eines Feuers, das die letzte Schlacht besiegelt.

"Schwarzweiß hat große künstlerische Qualitäten", behaupten die Filmemacher und irren sich gleich doppelt: Schwarzweiß in der visuellen Darbietung ist eben kein billiger Trick, um aus jedem Streifen ein ausdrucksstarkes, ästhetisches und monumentales Werk zu schaffen, vor allem dann nicht, wenn weder die Bilder an sich noch die Schauspieler (bisweilen gruselig schlecht) überzeugen. Albern wird Schwarzweiß dann, wenn auch die Handlung mit der entsprechenden Moral von der Geschicht’ einem Schwarzweiß-Schema folgt. Genau das ist hier der Fall. Ein Zweifel daran, wer hier das Böse, wer das Gute verkörpert, wird nicht zugelassen. Fies sind Koma und seine Freunde, die hirn-und gefühllosen, Koma als die verzerrte Fratze des deutschen Spießbürgers: Mietwohnung, Frau, Kind , Glotze und viel Bier, geduldete Gewalttätigkeit. Die wahre Rebellion, die des ungewaschenen, gepiercten Bürgerschrecks dagegen übt allein Punk Zottel aus, und der hat eine gute Seele. Das merkt man. Vor allem anderen jedoch mangelt es der Geschichte an Authentizität. Man sieht eben, so bemerkt einer auf der Film-Homepage, am Fred-Perry-Hemd des Skinmädels noch die Verpackungsfalten. Es ist ein szenefremder Blick von außen, der sich hier als Innensicht ausgibt. Gespräche, Gebärden, Verhaltensweisen – alles ist so, wie es sich dreißigjährige Regiedebütanten eben vorstellen. Dadurch entstehen plakative Bilder, die dilettantisch, weil ungewollt überzeichnet wirken.

Reding&Reding, sich gegenseitig auf die Schultern klopfend für den Mut, "dieses heiße Eisen" anzupacken, sind – da ja kein pädagogischer Vorsatz vorliegen soll – ein bißchen unschlüssig, was der Zuschauer als Message aus dem Film "rausknabbern" soll, aber: "Wenn ein paar Menschen aus ’Oi! WARNING‘ gehen mit dem Gedanken: Gewalt ist wirklich kacke’, wären wir schon glücklich." Und das ist doch, alles in allem, schön zu hören.


 
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