© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Der mißbrauchte 9. November
Die Opposition am Nasenring
Dieter Stein

Am 9. November soll in Berlin eine Großdemonstration "gegen Rassismus" stattfinden.Die Idee soll "spontan" nach einem Gottesdienst gekommen sein, in dem man am 6. Oktober eines Anschlages auf die Kreuzberger Synagoge gedachte. Nach dem Gottesdienst "traf sich ein kleines Grüppchen in einem Gemeinderaum: Peter Strieder, Berliner SPD-Landesvorsitzender, Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin, und Renate Künast, Vorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen".

Eine "große Koalition gegen Rechts" soll es nach dem Willen der Initiatoren werden, getragen von "allen gesellschaftlichen Gruppen". Wie es funktionieren soll, "alle gesellschaftlichen Gruppen" für einen Aufmarsch der Anständigen zu gewinnen, wenn man mit "rechts" die Hälfte des demokratischen Spektrums ausblendet? "Das ist keine parteipolitische Veranstaltung", sagt die Grünen-Vorsitzende Künast rührend, "wir initiieren sie bloß." Putzig. Die christlichen Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, aber auch Künstler und Fernsehmoderatoren sollen mit aufrufen. Alle sollen mitschunkeln.

Ach, wenn es da nicht kleine Probleme bei der immer etwas behäbigen CDU gäbe. "Hm", denkt man sich bei der properen bürgerlichen Oppositionspartei, "machen wir da jetzt mit oder nicht?" Da grübeln sie nun, stützen die Köpfe bedenkenschwer in die Hände und überlegen, ob womöglich keine relevante "gesellschaftliche Gruppe" ist, wer bei der Demo "gegen rechts" nicht mitmacht? So sollen die Geschäftsführer in den letzten Tagen"in zähen Sitzungen um jedes Detail" der Demo gerungen haben.

Die CDU ist jetzt zu einer salomonischen Entscheidung gekommen. Sie werde nicht als Mitveranstalterin auftreten, erklärte man, werde aber dafür einen Aufruf der Initiatoren "gegen Gewalt und für Toleranz" unterschreiben. Begründung: Man habe da so seine Bedenken gehabt, wegen des "organisatorischen Umfanges" und der "Ausgestaltung der Veranstaltung". So hätte der CDU "ein Schweigemarsch mit Kerzen" eher in den Kram gepaßt als "Musik oder ähnliches", wie es nun von SPD-Müntefering angedacht sei. Schluckbeschwerden machte den händeringenden Unionisten bei aller lagerübergreifenden Zivilcourage denn auch die Teilname der PDS, die ja, wie manchem dämmerte, irgendwo ein Stück weit die Nachfolgeorganisation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist, die, wenn wir uns richtig erinnern, für Mauer und Stacheldraht eine gewisse Mitverantwortung trägt.

Wenn diese niedliche Selbsterfahrungsgruppe, die sich derzeit Opposition schimpft, noch einen Rest Mark in den Knochen hätte, dann würde sie der SPD und den Grünen diesen unverschämten Demonstrationsaufruf um die Ohren hauen. Es ist eine bodenlose Unverschämtheit, so den Tag des Mauerfalls politisch zu mißbrauchen. Die Erinnerung an den triumphalen Bankrott des totalitären Sozialismus und die demokratische Wiederherstellung der nationalen Einheit der Deutschen soll zurückgedrängt, der 9. November antinational besetzt werden. Wer sich da nicht verweigert, kann nicht bei Trost sein.


 
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