© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Lizenz zur Verschwendung
Sachsen: In Dresden fällt die Entscheidung über höhere Zwangsgebühren in ganz Deutschland
Paul Leonhard

Sachsen ist das Zünglein an der Waage. Denn ob die Rundfunkgebühren ab 2001 um 3,33 Mark pro Monat steigen, hängt gegenwärtig von der Entscheidung des Landtags ab. Dieser wird am 14. Dezember darüber befinden, ob er dem Rundfunkstaatsvertrag zustimmt oder nicht. Gegenwärtig scheinen die meisten Volksvertreter dagegen zu sein. Es sei daher nicht sicher, daß die damit verbundene Gebührenerhöhung kommt, orakelt Sachsen-Premier Kurt Biedenkopf (CDU). Dabei hatte er stellvertretend für das von ihm mit absoluter Mehrheit regierte Sachsen dem neuen Vertrag zugestimmt – wenn auch, ob der Gebührenerhöhung, "zähneknirschend", wie der Medien-Staatssekretär Michael Sagurna einräumt.

Aber die Abgeordneten tanzen längst nicht mehr nach der Pfeife von "König Kurt". Er werde der Fraktion empfehlen, der geplanten Gebührenerhöhung nicht zuzustimmen, ruft der Dresdner Andreas Lämmel, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU, zum Widerstand auf. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verfügten über genügend finanzielle Mittel. Unterstützung bekommt Lämmel nicht nur von Abgeordneten aus den eigenen Reihen, sondern auch von der PDS-Opposition und Teilen der SPD.

Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hatte ursprünglich eine Anhebung um 3,15 Mark (endgültig dann um 3,33 Mark) empfohlen. Damit blieb sie hinter den Erwartungen der Sender zurück. Die ARD hatte einen zusätzlichen Bedarf von 5,8 Milliarden, das ZDF von 2,9 Milliarden Mark angemeldet und für eine Gebührenerhöhung um mehr als fünf Mark im Monat plädiert. Vorstellungen, die bereits im Mai 1999 von Sachsen als "unrealistisch" angelehnt worden. Eine derartige Erhöhung sei im Osten nicht durchsetzbar, warnte Biedenkopf. Die CDU-Landtagsmehrheit lehnte eine derartige Erhöhung ebenfalls "rundweg ab". Die Gebührenzahler im Freistaat seien schon überproportional belastet, da sie bei niedrigeren Einkommen gleich hohe Gebühren wie im Westen zahlten, betonte CDU-Fraktionschef Fritz Hähle.

Für eine Gebührenerhöhung ist dagegen Sachsens DGB-Chef Hanjo Lucassen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe gerade im Osten große Bedeutung zur Meinungsbildung, zur Festigung der Demokratie und der regionalen Identität. Und das koste nun mal Geld. Im Oktober 1999 hatte der DGB in einer Resolution "eine angemessene Gebührenanpassung für nötig" empfunden!

Inzwischen ist auch CDU-Mann Hähle schwankend geworden: Man werde sich "kaum der Zustimmung zum Rundfunkstaatsvertrag verschließen können", verriet er dem Handelsblatt. Überdies hatte der medienpolitische Arbeitskreis der CDU-Fraktion empfohlen, "diesmal noch" zuzustimmen. Doch dazu sind nicht alle Abgeordneten der Sachsen-Union bereit. Wirtschaftspolitiker Lämmel trommelt zum Widerstand: Die Belastungen der Bürger seien hoch genug.

Das sehen zwei Drittel der TV-Zuschauer genauso. Nach einer Umfrage des Emnid-Instituts von März bezeichneten 69 Prozent der Befragten die geplante Angebung als "etwas" oder "viel zu hoch". Jeder Dritte war der Ansicht, daß ARD und ZDF Gebühren verschwenden. Den unfreiwilligen Beweis, daß sie mit diesem Gefühl recht haben, lieferte kürzlich die Dreiländeranstalt Mitteldeutscher Rundfunk (MDR), deren Ausgabenpolitik schon seit Jahren für Unmut sorgt. Vor zwei Wochen mußte MDR-Intendant Udo Reiter eingestehen, daß der Sender bei Währungsspekulationen in Ecuador (!) 2,6 Millionen Mark eingebüßt hat. Verwaltungsdirektor Rolf Markner wurde inzwischen suspendiert. Markner hatte einen Bericht von Wirtschaftsprüfern zu den Finanzanlagen des MDR zurückgehalten. In der Analyse für das Jahr 1999 wird dem Sender darin eine "aggressive Anlagenpolitik" bescheinigt. Markner übt sein Amt nicht mehr aus, bekommt aber dennoch sein Gehalt weiter ausgezahlt!

Aber noch mehr liegt beim MDR im argen, wie Prüfberichte beweisen: So wurde bekannt, daß sich der MDR für jährlich 1,1 Millionen Mark ein Auslandsbüro in Los Angeles leistet und die Verluste seiner Werbung GmbH – 1999 immerhin 19,5 Millionen Mark – mit Gebührengeldern ausgleicht. Insgesamt 1,2 Milliarden Mark hat der Sender in Wertpapieren angelegt. Besonders der 33-Millionen-Spekulationsskandal werde die Abstimmung negativ beeinflussen, ist sich die CDU-Abgeordnete Veronika Bellmann sicher. Dieses Gefühl dürfte auch Biedenkopf überkommen haben. Durch die Affäre sei der Rundfunkstaatsvertrag gefährdet, schätzt Regierungssprecher Sagurna ein. Ein Nein richte einen "Scherbenhaufen in der deutschen Medienpolitik" an, warnt Reiter.

Rückendeckung bekommt er dabei vom medienpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Karl-Heinz Kunckel. Er kämpfe für die Gebührenerhöhung, sagte der Sozialdemokrat, der Mitglied des MDR-Verwaltungsrates ist. Eine Ablehnung wäre "keine Sternstunde für den sächsischen Landtag". Am 14. Dezember werden die Abgeordneten dann abstimmen, ob sie die Gebührenerhöhung mittragen oder mit ihrem Veto den Rundfunkstaatsvertrag kippen.


 
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