© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Weg ins Nirgendwo
Bundeswehr: Scharpings krude Reformpläne
Alexander Schmidt

Bundesverteidigungminister Rudolf Scharping verwirrt mit seinen Reformplänen und taktischen Winkelzügen Gegner und Parteifreunde. Was aus den deutschen Streitkräften werden soll, läßt der für Einzelgänge bekannte Minister nicht durchscheinen. Die Verwirrung begann damit, daß Scharping zwar eine Kommission zur Zukunft der Bundeswehr einsetzte, jedoch auf keinen der Reformvorschläge einging.

Ein von der "Weizsäcker-Kommission" erarbeitetes Papier fand nach seiner Präsentation in diesem Jahr kaum die Beachtung Scharpings, vielmehr präsentierte er zur allgemeinen Überraschung ein eigenes Reformkonzept. Diese eher rauhen Umgangsformen mußten jetzt auch die Bundestagsabgeordneten erfahren, als Scharping nach einer Tagung des Verteidigungsausschusses zwar Journalisten eine Hochglanzbroschüre mit Ergebnissen der Reform präsentierte, der Ausschuß aber leer ausging.

Der einstige Generalinspekteur der Bundeswehr, Hans-Peter von Kirchbach, mußte inzwischen gehen und wurde durch den neuen Scharping-Intimus Harald Kujat ersetzt. Der steht jedoch in einer Dauerfehde mit dem Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, Walther Stützle. Und Scharping macht keinen Hehl daraus, wer sein Vertrauen besitzt. Im Reformpaket des Ministers ist eine stärkere Stellung des Generalinspekteurs vorgesehen. Kujat soll künftig Vorsitzender eines neugeschaffenen Rüstungsrates sein und damit auch mit der Anschaffung von Wehrmaterial betraut werden.

Kurz nachdem der Sprecher des Ministers, Detlev Puhl, erklärte, daß die Bundeswehr ab dem 1. Januar des kommenden Jahres keine eingeschränkt tauglichen Wehrpflichtigen mehr einziehen werde und noch entschieden werden müsse, ob Verheiratete oder Männer aus homosexuellen Lebensgemeinschaften noch ihren Dienst leisten müssen, trat die Frage der Wehrgerechtigkeit erneut auf.

Der sicherheitspolitische Sprecher der FDP, Günther Nolting, sagte, daß es eine Wehrpflicht nach Belieben nicht geben dürfe. Überlegungen Scharpings, die Musterungskriterien zu verschärfen, um die Zahl der Wehrpflichtigen zu reduzieren, wies Nolting zurück. Jede weitere Manipulation an den Einberufungskriterien oder Wehrdienstausnahmen führe zur Vertiefung der Wehrungerechtigkeit und leiste damit nur einer Willkür-Wehrpflicht Vorschub.

Scharping ist jedoch in der Zwickmühle, daß er in seiner Planung die Zahl der Stellen für Grundwehrdienstleistende drastisch reduziert hat, um Berufssoldaten mehr Raum zu geben. Bis 2010 werden die Stellen für Grundwehrdienstleistende und freiwillig Längerdienende von heute 135.000 auf insgesamt 80.000 reduziert, heißt es im Ministerium. Die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung in Bremen will zusätzlich festgestellt haben, daß Scharpings Spekulationen über sinkende Rekrutenzahlen – die Konsequenz fallender Geburtenzahlen – nicht stimmig seien. Obwohl die Jahrgänge größer werden, sollen Jahr für Jahr weniger Grundwehrdienstleistende einberufen werden, heißt es in der Zentralstelle.

Außerdem kritisiert die Union, daß die Anzahl der Wehrpflichtigen in den nächsten vier Jahren nahezu halbiert werden solle. Dadurch werden sich wegen der steigenden Jahrgangsstärken bis zum Jahre 2008 erhebliche Probleme bei der Wehrgerechtigkeit ergeben, so Kurt Rossmanith (CDU). Als ebenso wenig ausgereift wird die geplante Teilprivatisierung in die Kritik genommen. Eine zu gründende Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb (GBB) solle durch Effizienzgewinne und Mehreinnahmen aus Vermietung und Verkauf von Grundstücken, Veräußerung von Material sowie Dienstleistungen für Dritte 2001eine Milliarde Mark erbringen. Vielmehr entsteht jedoch in der Union der Verdacht, daß es sich hierbei um eine Versorgungsstation für verdiente Sozialdemokraten handeln solle.

Im Gespräch mit der Welt ging der CDU-Wehrexperte Kossendey auf Scharpings geplanten Aufbau einer neuen Kommunikationsstruktur mit Hilfe von neuen Satelliten ein. Dies sei überflüssig, da zivile Satelliten, die bereits in der Erdumlaufbahn seien, viel besser für diese Zwecke geeignet seien. Diese könnten nicht so schnell wie militärische Satelliten erkannt und bekämpft werden. Auch sei der Ausbau von Lufttransportreserven unnütz. Die Vergangenheit habe gezeigt, daß private Transportflugzeuge, die zu diesen Zwecken angemietet werden können, wesentlich günstiger seien. Für den ehemaligen Generalinspekteur Klaus Naumann ist die Reform nicht einmal in Ansätzen seriös.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen