© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Bush macht Boden gut
US-Wahlkampf: Gores Lügen während der Fernsehdebatte verärgern Amerikaner
Matthew Richer

Am 7. November wird der 43.Präsident der USA gewählt. Für die Demokraten zieht Al Gore, derzeit Vize von Amtsinhaber Bill Clinton, ins Rennen. Auf Seiten der Republikaner ist George W. Bush Spitzenkandidat, der Sohn des ehemaligen US-Präsidenten George Bush senior. Umfrage sagen einen sehr knappen Wahlausgang voraus. Entscheidend könnte sein, wie viele Stimmen der linksliberale Kandidat der Grünen, Ralph Nader, und der rechtsgerichtete Fernsehjournalist Pat Buchanan den großen Parteien entziehen können. Fast ein Drittel der Wähler ist noch unentschieden.

Alle Wahlkämpfe um das Amt des Präsidenten überschattet seit zwei Jahrzehnten die Persönlichkeit Ronald Reagans. Reagan war ein meisterhafter Redner und konnte seinem Gegner die härtesten Schläge mit einem gutmütigen Lächeln auf den Lippen versetzen. Er war "smart" und zuweilen auch hart, aber immer höflich, verbindlich und gewinnend. Das Ziel aller Präsidentenanwärter – obwohl viele das natürlich nie zugeben würden – ist es, den Reagan-Stil zu imitieren, der einst die Leute so gefangennahm.

Wochenlang vor den Fernsehdebatten hielt Gore einen kleinen, aber stabilen Vorsprung vor Bush. Er galt als der bessere Redner mit dem breiteren Detailwissen, während Bush weithin als zu unerfahren angesehen wurde. Jedoch war es schon immer ein offenes Geheimnis in Washington, daß der Vizepräsident es mit der Wahrheit nicht immer so ernst nimmt. Einer Seniorenrunde in Florida erzählte Gore vor zwei Wochen zum Thema Gesundheitswesen, seine arme Schwiegermutter zahle für Medikamente zur Behandlung von Arthritis 108 Dollar pro Monat, während er für seinen Hund die gleichen Mittel für nur 37,80 Dollar bekäme. Dann stellte sich heraus, daß die Geschichte komplett erfunden war. Nur ein paar Tage später flunkerte Gore bei einem Auftritt vor Gewerkschaftsmitgliedern, seine Mutter habe ihm schon als Baby zum Einschlafen ein bestimmtes Arbeiterlied vorgesungen. Allerdings wurde das Lied erst komponiert, als Gore schon 27 Jahre alt war.

Bei der ersten bundesweit ausgestrahlten Fernsehdebatte hatte sich Gores Neigung, die Fakten ein wenig zu verbiegen, schon herumgesprochen. Darüber beschwerte er sich gegenüber Journalisten: "Wissen Sie, wenn man in einer Kampagne eine Kleinigkeit falsch sagt, werden Sie plötzlich angeklagt, etwas ganz schlimmes getan zu haben." Zu Gores Glück wurde die Frage seiner Ehrlichkeit in der ersten Debatte nicht aufgeworfen. Während Bush sich eher defensiv verhielt, zeigte Gore Angriffsgeist. Allgemein hieß es bei Blitzumfragen nach der Sendung, Gore habe die erste Debatte klar für sich entschieden. Doch die Ironie ist, daß Gores aggressives Verhalten in dieser Fernsehdebatte ihn vielleicht die Wahl gekostet hat: Er hatte eine Art, hörbar zu stöhnen und zu schnaufen, jedesmal wenn Bush etwas sagte, und rollte zuweilen die Augen. Diese Unhöflichkeit störte eine Menge Zuschauer, und die "Comedy-Shows" später am Abend versäumten nicht, Witze zu reißen über dieses Proletengetue.

Alles wurde noch ärger für den Vizepräsidenten, als sich herausstellte, daß einige seiner Behauptungen während der Debatte völlig aus der Luft gegriffen waren. Etwa die rührende Geschichte von einer Schülerin aus Sarasota in Florida, deren Schule so knapp an Geld und so überfüllt sei, daß sie hinten im Klassenzimmer stehen müsse. Als die Presse nachfragte, stellte sich heraus, daß die Schule sogar sehr gut finanziert wird, ein Medienzentrum besitzt mit einem Fernsehstudio, einen riesigen Fußballplatz mit klimatisierten Boxen und gerade den Bau eines Schwimmbads mit olympischen Dimensionen plant. Nur an einem einzigen Tag gab es kurzzeitig nicht genug Platz, weil der Lehrer Laborgeräte im Wert von 100.000 Dollar in dem Klassenzimmer lagerte.

Keiner verstand, weshalb Gore Millionen von US-Wählern solche plumpen Lügen auftischte. In der zweiten Debatte mühte sich Gore, dem Eindruck entgegenzuwirken, er verdrehe Fakten. Zum Schluß entschuldigte er sich noch einmal ausdrücklich für die "Mißverständnisse" und gab zu, "mal ein Detail falsch hinzubekommen". Das war ein Fehler, denn die erste Regel der Politik lautet, sich niemals zu entschuldigen. Viele amerikanische Zuschauer sahen die zweite Debatte nur unter dem Aspekt an, ob Gore wieder Lügenmärchen zum besten geben werde. Sie betrachteten das Rededuell im Fernsehen regelrecht als "Entertainment".

In der dritten Debatte fand der Vizepräsident seine alte Form wieder, erneut war er aggressiv und unhöflich. Mehrere Male unterbrach er Bush und den Moderator und starrte seinen Mitbewerber um das Präsidentenamt recht seltsam an. Irgendwie erinnerte er an einen Boxer, der seinen Gegner hypnotisieren wollte. Die diesjährigen Fernsehdebatten waren ohne Übertreibung die seltsamsten in der amerikanischen Geschichte. In allen drei Debatten erschien Bush wenn nicht als spektakulärer, so doch als standhafter Redner, der die schweren Anwürfe Gores abwehren konnte. Aber noch wichtiger erachten Beobachter sein gleichbleibend freundliches und verläßliches Auftreten.

Umfragen bestätigen, daß er auch vielen Wählern, die seine Politik nicht schätzen, sympathischer ist und allgemein mehr Vertrauen erweckt. Obwohl Gore bei den Fernsehdebatten besser vorbereitet erschien und mehr Fachwissen parat hatte, wird ihn seine ruppige Art und vor allem seine Schwindelei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Wahl kosten. Aus Kalifornien zum Beispiel, dem bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat, der lange als Bastion der Demokraten galt, wird ein Gleichstand von Bush und Gore vermeldet. In Gores Heimat Tennessee führt Bush bereits mit einem beachtlichen Vorsprung. Bush gibt sich siegesgewiß und stellt bereits eine Übergangsmannschaft zur Ablösung der Clinton-Administration zusammen.

 

Matthew Richer ist Journalist und Politikberater in New York.


 
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