© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Kein Geschäft mit dem schnellen Tod
Lebensschutz: Reaktionen auf das Vertriebsende der Kindertötungspille in Deutschland
Martina Zippe

"Zuwenig deutsche Frauen kauften Abtreibungspille", so lautet die zynisch anmutende Überschrift der Pressemitteilung einer Schweizer Nachrichtenagentur zur Einstellung des Vertriebs der Abtreibungspille in Deutschland. Während die Regierungsparteien ebenso wie die FDP die Abtreibungspille als weitere Abtreibungsmöglichkeit in Deutschland erhalten wollen, hält sich die Union mit Stellungnahmen zurück. Die Firma Femagen, die Vertriebsfirma der Kindertötungspille "Mifegyne", stellt den Vertrieb des in Frankreich produzierten Mittels in Deutschland zum Jahresende ein. Femagen steckt nämlich tief in den roten Zahlen. Der Verkauf rechnete sich nicht. Es wurde nur ein Drittel der ursprünglich kalkulierten Stückzahl abgesetzt.

Die Abtreibungspille "Mifegyne", die bis zur siebenten Schwangerschaftswoche angewendet wird, bewirkt die Blockade des Schwangerschaftshormones Progesteron, das für die Versorgung des Ungeborenen wichtig ist. Hierdurch erhält das Kind über einen Zeitraum von zwei Tagen nicht mehr genügend Nahrung, Flüssigkeit und Sauerstoff und stirbt dadurch einen langsamen Tod. Zum ersten Mal seit dem sogenannten Dritten Reich ist damit in Deutschland wieder ein Mittel zugelassen, das die alleinige Aufgabe hat, menschliches Leben zu töten, urteilen christliche Organisationen, unterstützt durch die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) auf der Internet-Seite www.abtreibungs-pille.de . Dies geschehe zudem auf grausame Weise. Vergleiche mit weiteren nationalsozialistischen Exzessen drängen sich Lebensschützern auf. So erinnert die "Bewegung für das Leben e.V." in ihrer Zeitschrift "Christ und Zukunft" an Pater Maximilian Kolbe. Der starb in Auschwitz freiwillig anstelle eines Familienvaters im Zuge einer Strafaktion eines Lagerkommandanten, welcher eine Anzahl von Häftlingen dem Entzug von Nahrung und Wasser ausgesetzt hatte.

Die durch die Abtreibungspille ähnlich qualvoll Getöteten können noch nicht schreien. Jedoch sind die Organe der Ungeborenen mit vier Wochen schon alle angelegt: Herz, Haut, Zentralnervensystem, Leber, Lunge, Darm und Geschlechtsorgane. Mit sechs Wochen sind deutlich die Hände erkennbar. Die Zeiten, in denen man glaubte, der Embryo durchlaufe während seines Wachstums tierähnliche Stadien, wie dies der Biologe Ernst Haeckel 1866 vertrat, sind vorbei. Nach neuen Erkenntnissen bildet schon in der siebenten Woche unseres vorgeburtlichen Lebens das Gehirn Kontaktstellen, sogenannte Synapsen, die Nachrichten zwischen feinen Nervenfasern übermitteln. Bis zum Ende der siebenten Woche wird aber auch die Abtreibungspille angewandt.

Die Rechte an der Abtreibungspille "Mifegyne" waren von der Hoechst AG aufgrund des Drucks von Abtreibungsgegnern in den USA an den Franzosen Eduard Sakiz verkauft worden. In Deutschland wurde das Präparat im November letzten Jahres zugelassen. Nach der Einstellung des Vertriebs in Deutschland zum Jahresende hat der französische Hersteller noch keinen neuen Lizenznehmer für Deutschland. Direkte Bestellungen der Abtreibungspille in Frankreich sind nicht möglich. Für die bisherige deutsche Vertriebsfirma Femagen hängt das Scheitern von "Mifegyne" mit der Vergütung zusammen, die vom Bewertungsausschuß der Kassenärzte und Krankenkassen festgelegt wird: Der Arzt bekommt 280 Mark für einen Abbruch mit "Mifegyne", davon gehen 164 Mark für das Medikament ab. Eine chirurgische Kindestötung im Mutterleib bringt dem Arzt hingegen zwischen 500 und 800 Mark, weshalb er diese Methode vorzieht. Zu den hohen Verlusten bei der Firma Femagen trug auch der Sondervertriebsweg bei. Um Mißbrauch zu vermeiden, wird das Tötungsmittel bisher ausschließlich direkt an den Arzt oder die Klinik versandt.

Die FDP will diesen Sondervertriebsweg beseitigen, so daß das Mittel wie ein Betäubungsmittel an Apotheken ausgeliefert wird. Außerdem soll das Ärzte-Honorar für die Abtreibungspille angehoben werden, so der FDP-Gesundheitsexperte Detlef Parr. Bundespolitiker von Grünen, FDP und PDS legten einen dementsprechenden Gesetzesentwurf vor. Die Anhebung der Vergütung durch den Bewertungsausschuß ist zunächst das Verhandlungsziel der Bundesfrauenministerin Christine Bergmann (SPD). Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Abgeordnete Wolfgang Lohmann, meint hierzu, das Bundesgesundheitsministerium solle nicht den Bewertungsausschuß an den Pranger stellen, der an die Budgetierung der ärztlichen Honorare gebunden sei, vielmehr solle sich die Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnisgrüne) zu ihrer Verantwortung bekennen. Was damit gemeint sei bzw. welche Bewertung die CDU/CSU für richtig hält, dies konnte von der Pressestelle der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die laut einer Mitteilung für Rückfragen zuständig ist, nicht beantwortet werden. Ansonsten sind CDU/CSU gegen den Sondervertriebsweg, um nicht das Tor für den Versandhandel zu öffnen. Der Ärztinnenbund bezeichnete das Aus für die Abtreibungspille als "frauenfeindliche Entscheidung", da die Frauen nun keine freie Wahl der Abtreibungsmethode hätten. Aus der Sicht der Lebensschützer aus den neuen Bundesländern ist die Abtreibung mit "Mifegyne" keinesfalls die schonendere Methode für die Frau. Die "Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren (KALEB) e.V. verweist auf die schwerwiegenden psychologischen Folgen der Tötung mit Mifegyne: "Mifegyne verharmlost die Abtreibung und läßt Frauen völlig allein. Sie ist Täterin und Opfer zugleich." KALEB wirft Parr von der FDP in einem Brief die Pervertierung des Liberalitätsbegriffs vor. Freiheit sei an Verantwortung für ein neues Menschenleben gebunden. Die Initiative, die zahlreiche Mahnwachen veranstaltete, fordert weiterhin die Ächtung derartiger Menschentötungsmittel analog dem Chemiewaffenverbot.

Die PBC begrüßt wie KALEB ebenfalls das Vertriebsende in Deutschland. Die Partei hatte zusammen mit dem Arbeitskreis für biblische Ethik in der Medizin (ABEM) e.V. der Firma Hexal, der Mutterfirma von Femagen, 14.000 gesammelte Protest-Postkarten zugesandt. Eine Internet-Liste der PBC enthält einen Hexal-Boykott zahlreicher Organisationen und Privatpersonen. Die Arbeitsgemeinschaft Lebensrecht (AGL) weist das Eintreten von Politikern aus SPD, Grünen und FDP für die Abtreibungspille als ungeheuerlich zurück. "Töten darf sich nicht rentieren", meinte die Sprecherin dieses Dachverbandes der Lebensschützer, Claudia Kaminski. Kaminski, die auch Vorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. ist, fordert eine grundlegende Novelle des staatlichen Lebensschutzkonzeptes. Allein im vergangenen Quartal blieb mehr als 33.000 Kindern das elementare Recht auf Leben versagt, so Kaminski. Die inoffiziellen Zahlen sind mindestens doppelt so hoch wie die gemeldeten Tötungen, so daß pro Jahr an die 300.000 Ungeborene getötet werden. Die Senkung der Abtreibungszahlen war aber das erklärte Ziel der Beratungsregelung von 1995. Dieses Ziel wurde verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Parlament für diesen Fall zur Korrektur des Gesetzes aufgefordert.


 
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