© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Abgestürzt
Kino I: John Singleton hat den Klassiker "Shaft" neu verfilmt
Claus-M. Wolfschlag

Neuinszenierungen von Filmklassikern haben es immer schwer. Der Erwartungsdruck ist groß, die Bilder des alten Originals sehr stark in die Köpfe der Zuschauer eingestempelt. Jedes filmische Bemühen muß deshalb geschickt zwischen der Anbindung an die Tradition und dem Wagnis für die Innovation, die ja allein den Neuversuch rechtfertigt, pendeln und wird dadurch zum Drahtseilakt. Regisseur John Singleton hat sich nun mit einer Neuauflage des Krimi-Klassikers "Shaft" der 1970er Jahre versucht und ist dabei nicht nur heftig ins Stolpern gekommen. Der komplette Absturz ist vielmehr offensichtlich.

Die Geschichte ist so plakativ wie klischeebeladen: Der blasierte weiße College-Student Walter Wade (Christian Bale) erschlägt wutentbrannt einen jungen schwarzen Studenten vor einer New Yorker Bar, nachdem er ihn natürlich zuvor wegen dessen Hautfarbe bloßzustellen versucht hatte. Natürlich hat das Gericht Probleme mit dem recht eindeutigen Fall, da die einzige Zeugin, die Kellnerin Diane Palmieri (Toni Collette), abgetaucht ist. Und so kommt der Upperclass-Sprößling auf Kaution frei und reist zum ausgedehnten Skifahren in die Schweiz. Und natürlich fühlt sich aufgrund solcher Ungerechtigkeit Polizei-Detective John Shaft (Samuel L. Jackson) moralisch tief getroffen.

Zwei Jahre später gerät der schmierige dominikanische Drogenboß Peoples Hernandez (Jeffrey Wright) in Streit mit Shaft und landet dafür hinter Gittern. Als am selben Tag Wade heimlich in die USA zurückkehrt, wird er ebenfalls von Shaft noch in der obligatorischen Stretchlimousine verhaftet. Im Gefängnis schließen Wade und Hernandez Bekanntschaft, und als Wade kurze Zeit darauf erneut auf Kaution freikommt, engagiert jener Hernandez, um die Belastungszeugin Diane Palmieri zu finden und zu beseitigen. Da hat er natürlich die Rechnung ohne den Super-Polizisten John Shaft gemacht, der die gesamte Latino-Sippschaft mit Blei vollpumpt, die Zeugin findet und den Prozeß ermöglicht. Und da natürlich dem "weißen" Gerichtswesen nie zu trauen ist, erschießt am Ende die Mutter des schwarzen Studenten den Yuppie in Selbstjustiz vor dem Gerichtsgebäude. John Shaft lächelt nach einer Schrecksekunde über diesen Akt der Zivilcourage.

Schon das Presseheft der Verleihfirma deutet die Richtung an, in die der Streifen weist: "Wer sich mit Shaft anlegt, wandert hinter Gitter." Na, wenn alles so einfach und klar ist, fragt man sich, wofür eigentlich ganze 110 Minuten Filmmaterial verplempert werden mußten. Aber man vergißt, an welche Zuschauerklientel sich Machwerke wie "Shaft" wenden sollen – die sogenannten Liebhaber des modernen Action-Kinos.

"Shaft" – mit diesem Namen verbindet sich ursprünglich die Atmosphäre des schwarzen New York der 1970er Jahre, als fette Goldketten, schiefsitzende Baseball-Kappen, Sportanzüge, Breakdance und bornierter Gossenslang noch nicht zum unverzichtbaren Stilmittel dieses Bevölkerungsteils gehörten. 1971 kam der Original-Film unter der Regie von Gordon Parks in die Kinos und wurde ein Publikumsrenner. Nie zuvor hatte das Publikum einen afro-amerikanischen Helden gesehen, welcher derart tough und sexy auftrat wie der Privatdetektiv John Shaft. In Hauptdarsteller Richard Roundtree wurde der "black pride" einer ganzen Generation hineininterpretiert, und an dieses Bewußtsein versucht sich auch die Neuverfilmung anzuhängen.

Richard Roundtree in der Rolle des "John Shaft" wird allerdings bis heute immer noch recht einseitig allein auf die Rolle des coolen schwarzen Detektivs mit Rassebewußtsein reduziert. Das übersieht die weitergehenden Facetten, die Roundtree seiner Figur beisteuern konnte. Shaft stellte keinesfalls einen schwarzen Rambo dar, sondern gefiel durch seinen Charme, seine Leichtigkeit im Umgang mit dem Unbill des Daseins, seine Fähigkeit, auch Rückschlägen und Niederlagen noch mit einem Lächeln begegnen zu können, seinen moralischen Anspruch, ohne deswegen fanatisch oder kaltherzig werden zu müssen. Wenn Roundtree in Singletons Neuverfilmung die Szene betritt – er spielt die nostalgisch belegte Nebenrolle des "Onkel John" –, ahnt man immer noch einen Abglanz dieser alten Shaft-Figur, die etwas Elegantes, fast Aristokratisches hatte und so ganz ohne modisches Mackergehabe auskam.

Ganz anders Samuel L. Jackson in der Hauptrolle. Nicht nur der andauernde anbiedernde Gebrauch der Gossensprache (die dämlichen "Motherfucker"-Beschimpfungen sind kaum zu zählen), die ständigen infantilen Machtspiele und Kraftmessungen zerstören die Figur des John Shaft bis zur Unkenntlichkeit. Es sind zudem die Augen Jacksons, die getriebene Verbissenheit, der Haß auf die scheinbar ungerechte Welt, das dumpfe Ressentiment, die aus ihnen sprechen und zu biblischer Rache mahnen. Kurzum, der alte "Shaft" war einfach ein gut inszenierter Kriminalfilm aus der Welt der Afro-Amerikaner, der dazu anhielt, der Welt sehenden Auges, aber mit Leichtigkeit zu begegnen. Dagegen reproduziert der neue "Shaft" allenfalls Gewaltverherrlichung und rassistisch motivierte Klischees (die allerdings nicht als solche bezeichnet werden, da sie sich vornehmlich gegen die weiße Oberschicht richten).

Zwar präsentiert sich Singletons Streifen filmtechnisch professionell und mit exzellenter Ausstattung, aber das kann kaum über die inszenatorischen Defizite hinwegtrösten. Alle Schwächen wären noch gütig zu übersehen gewesen, wenn der Regisseur irgendeinen x-beliebigen Action-Streifen gedreht hätte. Durch seinen Mißbrauch des Klassikers "Shaft" allerdings hat er der Filmkunst einen Bärendienst erwiesen.


 
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