© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Die unsouveräne Demokratie
von Klaus Kunze

Während das benachbarte Ausland Demokratie gelassen praktiziert, zelebrieren wir sie feiertags, unterwerfen sie aber alltags einem Deutschland eigentümlichen, bürokratischen Kontrollapparat namens "Verfassungsschutz" (VS). Dieser deutsche Sonderweg hatte in den 1950er Jahren den Zweck, kommunistische Subversanten aus der DDR oder fossile Altnazis zu erkennen und an einer Machtergreifung zu hindern. Die Demokratie darf sich nicht selbst abschaffen, so die Lehre von 1933. Um sie verteidigen zu können, war der Parlamentarische Rat einem Rat Carl Schmitts gefolgt und hat sie wehrhaft ausgestaltet: "Wenn eine Verfassung die Möglichkeit von Verfassungsrevisionen vorsieht, so will sie damit nicht etwa eine legale Methode zur Beseitigung ihrer eigenen Legalität, noch viel weniger das legitime Mittel zur Zerstörung ihrer Legitimität liefern", schrieb Schmitt 1932 gegen die NSDAP, die in den Reichstag schon mit der offenen Absicht drängte, das Weimarer System abzuschaffen. Mit Hinweis auf "grundlegende Prinzipien" eines "unveränderlichen Verfassungssystems" befürwortete Schmitt Auflösung und Verbot von Gruppierungen wie der SA durch den Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung. Die damaligen Machtverhältnisse erlaubten keinen wirksamen Verfassungsschutz. Die heutigen machen ihn überflüssig: Die freiheitliche Demokratie ist in ihren Grundprinzipien allgemein anerkannt. Strukturelle Veränderungen erlebt Deutschland heute taktgleich mit seinen Nachbarländern als unvermeidliche Anpassungsprozesse an die Rahmenbedingungen einer teils schon postindustriellen Massengesellschaft in globaler Konkurrenz. Wer ein grundsätzlich anderes System erfolgreich installieren wollte, müßte mit der Demokratie zugleich diese Grund- und Rahmenbedingungen verändern, auf denen sie beruht. Sie optimiert die funktionalen Erfordernisse der Massengesellschaft, kann während ihres Bestehens keine nachhaltig erfolgreiche Konkurrenz haben und bedarf darum nicht mehr des behördlichen Schutzes.

Tatsächlich drohen der Verfassung heute Gefahren ausgerechnet von ihrem parteipolitisch mißbrauchten Beschützer. Am 15.11.1993 hieß es im Spiegel: "Spinnennetzartig hat sich der Verfassungsschutz ausgebreitet, seit die alliierten Militärgouverneure die Bundesrepublik 1949 ermächtigten, einen Inlandsgeheimdienst aufzubauen. […] Kaum ein Abgeordneter der Bonner Altparteien wagt es, den Dienst in Frage zu stellen." Gleich zweifach wäre diese Presseansicht als extremistisch zu bewerten, wenn man die etwa gegen die Republikaner verwendete verfassungsschützerische Logik anwendet: Wer "Altparteien" sagt, möchte ihr zufolge ebenso "die Legitimität der Wiederbegründung der Demokratie auf deutschem Boden nach 1945 angreifen«, wie wer rückblickend auf alliierte Einflüsse verweist. Weil aber der »Spiegel« nicht als "extremistisch" gilt, mag er das schreiben, wohingegen solche Formulierungen den Republikanern in VS-Berichten als Beweis angekreidet werden: Sie können dasselbe nur verfassungsfeindlich meinen, weil sie Verfassungsfeinde sind; und daß sie es sind, erweisen wieder ihre – im Licht des Vorverdachts – nur verfassungsfeindlich verstehbaren Meinungen. – Daß Republikaner heimliche verfassungsfeindliche Ziele haben, zeigt nach Meinung des VS schon ihr Programm. In ihm steht zwar nichts Verfassungsfeindliches, womit aber nur bewiesen sein kann, wie heimtückisch sie ihre "wahren Absichten" verbergen.

Derartige argumentative Winkelzüge unserer Verfassungsschützer bewegen sich entlang einer Grenzlinie, jenseits deren der wissenschaftliche Ernst endet und die Groteske beginnt: Man glaubt sie nur, wenn man sie selbst gelesen hat. Reizworte wie Altparteien, Umerziehung oder Vaterland lösen beim VS Pawlowsche Reflexe aus: Wer solche Unwörter benutzt, macht sich verdächtig. – Jede wissenschaftliche Analyse erfordert eine empirische Tatsachenbasis, die ernsthaft analysiert werden kann – oder aber glossiert werden muß. Beides, Analyse des VS oder Glosse, muß unglaubhaft jedem bleiben, der noch nie schwarz auf weiß las, was der VS für verfassungsfeindlich hält. In einem Augenblick spontaner Offenherzigkeit gab Prof. Michael Sachs – 1998 NRW-Vertreter in der Verhandlung vor dem BVerwG – zu: "VS-Berichte haben auf Personen, die auf so etwas ansprechbar sind, noch eine gewisse Wirkung." Dezenter kann man seine Distanz vor den Erzeugnissen des eigenen Auftraggebers kaum ausdrücken. Das VS-Sammelsurium an Scheinargumenten ist hier in Kürze nur anhand typischer Beispiele darstellbar.

Der Mißbrauch des VS behindert die Willensbildung des Volkes von unten nach oben massiv und widerspricht damit dem Demokratieprinzip. Der politische Willensbildungsprozeß müßte sich vom Volk hin zu den Staatsorganen vollziehen und nicht umgekehrt. Den Staatsorganen ist jede Einflußnahme auf den Volkswillen verwehrt. Demokratie wird als offener, dynamischer und pluralistischer Prozeß betrachtet. Er verträgt sich nicht mit der bürokratischen Ambition, ihn staatlich zu lenken. Amtliche Autorität wird mißbraucht, wenn etwa "Sektenbeauftragte" oder Verfassungsschützer scheinbar objektiv "warnen". "Sekten seien, heißt es, fundamentalistisch, doch macht der Vorgang eine neue Tendenz zu staatlicher Weltanschauungskontrolle deutlich. – "Der Eifer unserer Gesinnungs-, Weltanschauungs- und Sektenbeauftragten, unserer Groß- und Kleininquisitoren und Wächter über ’political correctness‘ ist zu einer ernsten Bedrohung unserer Freiheit geworden."

Unmittelbar politisch wird der VS benutzt, wenn er gegen Parteien eingesetzt wird. Wenn etwa in Mainzer Amtsstuben ein Heftlein des VS über "Rechtsextremistische Parteien" ausliegt und doppelseitig über die Republikaner berichtet, erweckt es den Anschein amtlicher Objektivität und Neutralität. In einem allgemeinen Vorwort setzt es Extremisten mit Verfassungsfeinden gleich und zählt angebliche Merkmale von Rechtsextremisten auf. Daß die Republikaner solche Merkmale aufweisen, wird nicht ausdrücklich behauptet, und trotzdem werden sie dazugezählt. Ähnlich ergiebig wäre ein spiegelbildliches Heftchen über "Linksextremisten" mit einer allgemeinen Schilderung des Marxismus und Unterkapiteln über die KPD, die SED, Maoisten und: die SPD. Indem letztere aber in Mainz regiert, während die Republikaner Opposition betreiben, ist der VS einem SPD- und nicht einem REP-Minister nachgeordnet – und der mißbraucht den VS für seine Parteizwecke in amtlichem Gewand, indem er die Republikaner willkürlich in dieselbe Schublade steckt wie Neonazis.

Der Mißbrauch beginnt bereits mit der ostentativen Verkündung der "nachrichtendienstlichen Beobachtung". Auf die öffentliche Einschätzung einer Partei wirkt sie wie ein Zeitungsbericht über die Hausdurchsuchung bei einem Nachbarn auf Kinderpornos: Die später erwiesene Unschuld rettet den Ruf nicht mehr. Diese Wirkung ist beabsichtigt. Nicht auf ausgespähte Geheimnisse kommt es an, denn deren wurde seit Beobachtungsbeginn nicht eines zutage gefördert. Geheime Ziele kann eine Partei unter den Spielregeln der Massenmedien-Demokratie ohnehin nicht erfolgreich verfolgen: Ohne öffentliche Selbstdarstellung kann keine Partei zur Mehrheit werden. Dabei wird sie für das gehalten und gewählt, das sie darstellt, und nicht für das, was sie ist. Mitglieder und Wähler strömen dem in den Medien dominanten Bild einer Partei zu (oder nicht), während papierene Programme oder Hinterzimmerabsichten nichts bewegen. Darum ist die Beobachtung angeblicher geheimer Hintergedanken der Führungszirkel einer Partei sinnlos: Selbst wenn ihre Oberen Hintergedanken hätten: Indem diese heimlich bleiben, sind sie wirkungslos. Relevant ist nur, was öffentlich ist.

Darum ist eine Opposition seitens der Regierungspartei am einfachsten zu bekämpfen, indem ihr das Stigma des Extremismus aufgedrückt wird. Nachdem die Etablierten und ihre Freunde in den Medien das Zerrbild neonazistischer Republikaner vermittelten, blieben Anhänger aus, die dem demokratischen Selbstbild der Partei entsprachen, und mußte sie sich gegen Trittbrettfahrer abgrenzen, die ihrem Zerrbild zuströmten. Den Kampf um Selbstbestimmung ihrer Identität konnten die Republikaner bislang nicht gewinnen. Aus dem demokratischen Mitglieder- und Wählerpotential schöpfen sie nur tröpfchenweise, weil sie ihrer eigenen Klientel als extrem gelten. Das Bestimmungsrecht des eigenen politischen Standorts und des mit ihm verbundenen sozialen Geltungsanspruchs steht auch einer Partei zu, wird aber etwa den Republikanern "amtlich" genommen.

Den qualifizierten Funktionärsstamm und die Selbstbestimmung ihres politischen Standorts können Konkurrenzparteien einer Partei entwinden, wenn sie über den VS verfügen und ihn mißbrauchen. Beamte stellen in Parteien, etwa die Lehrer in der SPD, das personelle Rückgrat. In den vergangenen zehn Jahren verließen Hunderte Beamte die Republikaner wieder, nachdem sie von ihrem Dienstherrn Briefe mit der offenen Drohung eines Disziplinarverfahrens für den Fall erhalten hatten, daß sie nicht austreten: Der Dienstherr "stufe die Republikaner als rechtsextremistisch ein". Weil Beamte jederzeit aktiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung (FdGO) eintreten müssen, setze sich dem Verdacht eines Dienstvergehens aus, wer REP-Ziele fördere. Es ist aber kein Fall bekannt, in dem allein die Parteizugehörigkeit bei den Republikanern zu einer Entfernung aus dem Dienst geführt hätte. Wo Beamte in seltenen Fällen so- viel Mut bewiesen, die Partei nicht zu verlassen, scheiterte ihre dienstrechtliche Verfolgung vor den Verwaltungsgerichten.

Andererseits erleiden etwa Offiziere durchaus Nachteile, wenn ihnen wegen ihrer REP-Mitgliedschaft die Sicherheitsstufe aberkannt wird, ihnen ein Charaktermangel vorgeworfen oder sie als dienstlich ungeeignet angesehen und nicht befördert werden. So ist die Strategie der SPD- und CDU-Innenminister aufgegangen: Der Mitgliederstamm an Beamten brach den Republikanern weg mit der Folge eines personellen Qualitätsverlustes. Aber nicht nur Beamte werden durch die Qualifizierung als "extremistisch" im VS-Bericht belastet, läßt sich doch im demokratischen Verfassungsstaat – abgesehen von schweren Straftaten – kaum ein Vorwurf denken, der schwerer wöge als derjenige, daß jemand darauf ausgehe, die Fundamente der freiheitlichen Verfassung zu beseitigen". Je stärker Vaterlandsliebe abgelehnt und Verfassungspatriotismus gefordert wird, desto mehr verschiebt sich das Ansehen des angeblichen Abweichlers vom noch harmlosen "Radikalen" der späten 60er über den "Extremisten" bzw. Verfassungsfeind zum Staatsfeind oder ideologischen Hochverräter.

Seinem gesetzlichen Auftrag zufolge sichert der VS die wehrhafte Demokratie als "Auge der Politik" ab: Ausgewogen beobachtet er ringsum, spürt die Verfassungsfeinde in ihren verborgenen Winkeln auf, durchschaut ihre hintergründigen, geheimen Pläne und meldet sie den demokratisch gewählten Politikern. Diese entscheiden, ob sie sich noch parteipolitisch damit auseinandersetzen oder ob die Gefahr für die Demokratie nur durch staatliches Verbot abgewendet werden kann. Dieses spricht bei Parteien das BVerfG, bei sonstigen Gruppierungen der Innenminister aus. So wurden Anfang der 50er Jahre KPD und SRP als Parteien und in den letzten Jahren eine Reihe neonationalsozialistischer Gruppen als sonstige Vereinigungen verboten. Tatsächliche Feinde der Demokratie pflegen ihr Verbot gelassen zu nehmen. Auf wechselseitiger Feindschaft beruht schließlich ihre Ideologie, und ein Verbot bestätigt scheinbar eindrucksvoll diese Feindschaft: Man fühlt sich wenigstens ernst genommen. Ebenso sehen es von ihrer Warte die Demokraten: Auch ihr Konzept beruht auf der schon von Verfassungs wegen anerkannten Antagonie von Freund und Feind: hier die wehrhafte Demokratie – dort ihre Feinde. Niemand stellt in Frage, daß auf der einen Seite der geistigen Barrikade die Demokraten kämpfen und auf der anderen ihre verschiedenen Feinde. Dieses wohlgeordnete Schema stören nur, die keinen unangefochtenen Platz auf der gewünschten Seite fanden. Von der Ideologiekontrolle der einen wie der anderen Seite verworfen, schwanken sie zwischen enttäuschter Zuneigung zur einen und der extremen Übersteigerung ihrer Werte auf der anderen Seite hin und her. In dieser Lage befanden sich die Grünen, bevor sie zur etablierten Parlamentspartei wurden, und in ihr befinden sich seit zehn Jahren die Republikaner.

Ihrem Selbstverständnis nach wollen sie nicht das System verändern, sondern innerhalb des Verfassungsbogens den von der CDU geräumten rechten Flügel besetzen. Doch damit verstießen sie gegen die oberste Räson der Union zu ihrer Machterhaltung: Es darf rechts von ihr keine demokratische Partei geben! Die Republikaner mußten daher zu Extremisten gestempelt werden. In einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung von April 1989 taucht bereits der Satz auf: "Daher scheinen mir die nachstehenden Methoden der Stigmatisierung der Republikaner erfolgreicher zu sein.«" Um das Stigma quasi amtlich zu machen, wiesen die Landesinnenminister ihre VS-Ämter im Dezember 1992 an, die Partei künftig mit nachrichtendienstlichen Mitteln auf Verfassungsfeindliches zu beobachten.

Dagegen half den Republikanern keine öffentliche demokratische Kontroverse, weil die Mikrofone der ARD für sie ausgeschaltet blieben. Man sprach über sie, aber nicht mit ihnen. So blieb der Weg zu den Verwaltungsgerichten als Notbehelf, doch gibt es keine "positive Feststellungsklage", mit der eine Partei auf Anerkennung ihrer Verfassungstreue klagen könnte. Die politische Auseinandersetzung wird seither auf Nebenschauplätzen mit justizförmigen Mitteln der Verfassungsinterpretation ausgetragen. – Im Kampf um die richtige Interpretation rechtspolitischer Begriffe siegt aber, wer die Entscheidungskompetenz über verschiedene Auslegungsmöglichkeiten besitzt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die letzte Interpretation so allgemeiner Begriffe wie Gerechtigkeit oder Freiheit Glaubenssache und die Entscheidungsmacht über sie zur Frage des Parteienproporzes im BVerfG geworden ist. Vor einfachen Verwaltungsgerichten sind die Prozeßergebnisse hingegen so vorhersehbar wie Lottozahlen.

So sind die Waffen ungleich verteilt, wenn eine große Bundestagspartei um ihre Macht fürchtet: Sie regiert Länder oder gar den Bund und verfügt damit über die Schaltstellen des Staatsapparats: Innenministerien, VS und – darauf kommt es auf dem Felde der Rechtsauseinandersetzung an: die Richterstellen. "Es wird von keinem Sachkenner bezweifelt, daß in Deutschland weit mehr als in anderen westlichen Demokratien Beamtenschaft, aber auch Gerichte, mit Personen, die aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit ernannt oder befördert wurden, durchsetzt sind." Daß in zunehmendem Umfang in wichtige Stellen nur Parteiangehörige berufen werden, gilt nach verbreiteter Auffassung auch bei hervorgehobenen Richterpositionen. Und wem die "Deutung der Orakel der Gerechtigkeit anvertraut ist", durchschaute schon Pufendorf 1667, wird erfahrungsgemäß "diese Göttin bewegen können, nichts zu antworten, was wider den eigenen Vorteil ist". Der "eigene" Vorteil: das ist nicht immer ein direkter persönlicher Vorteil eines Richters. Teilt aber generationsbedingt ein wesentlicher Teil der Richterschaft die ideologische Grundposition seiner Regierungspartei, urteilen also etwa Alt-68er Richter darüber, ob ein SPD-Verfassungsschutz ideologisch korrekt handelt oder eine kleine, rechte Partei, sind die Weichen gestellt. Hinzu kommt ein guter Instinkt der meisten Richter für karrierefördernde Urteile. (…)

So öffnet die verwaltungsrichterliche Rechtsprechung der politischen Opportunität Tür und Tor. Obwohl sie parteipolitischen Mißbrauch des VS verhindern sollte, bewegt sie sich zuweilen hart am Rande der Rechtsbeugung. Paradigmatisch für das Zusammenspiel von VS-Behörden und Gerichten sind die zahlreichen Prozesse der Republikaner gegen ihre Beobachtung seit 1989. Die VS-Gesetze der Länder erlauben den Einsatz von V-Leuten und Anwendung anderer nachrichtendienstlicher Mittel, wenn Anhaltspunkte den Verdacht einer Bestrebung begründen, die sich gegen die FdGO richtet. Während über die Verfassungsmäßigkeit einer Partei gemäß Art. 21 II GG nur das BVerfG entscheiden kann, standen Verwaltungsrichter vor der heiklen Aufgabe, zu entscheiden, ob einzelne Anhaltspunkte einen "Verdacht" solcher Bestrebungen begründeten. Richter, deren Aufgaben gewöhnlich in der Überprüfung von Asylanträgen oder Baugenehmigungen liegen, sollten etwa entscheiden: Begründet der Rat in einem Parteirundschreiben, man solle einmal Bücher des Professors Carl Schmitt lesen, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen?

Dieser Vorwurf des VS gegen die Republikaner wurde stillschweigend fallengelassen nach dem Hinweis, daß Schmitt als geistiger Urheber der "Ewigkeitsklausel" in Art. 79 III GG gilt. Seither hat sich in den VS-Berichten und in der Begründung der Beobachtungspraxis ein fester Kanon an Vorwürfen gebildet: Republikaner verunglimpfen Institutionen des demokratischen Rechtsstaats und diffamieren demokratisch gewählte Politiker, indem sie die hinter ihnen stehenden Parteien "Altparteien" nennen. – Republikaner trachten die Demokratie zu delegitimieren, indem sie angeblich einen Zusammenhang zwischen der Umerziehung durch die Alliierten nach 1945 und der Legitimität der Demokratie herstellen. – Republikaner zweifeln Grundnormen der Verfassung an, denn sie »leugnen die deutsche Geschichte", indem sich gegen "monokausale Deutungen der Kriegsschuld" und "Geschichtsfälschungen" wenden. – Sie sind nationalistisch-kollektivistisch, was man daran erkennt, daß sie das Volk als "Schicksals- und Sprachgemeinschaft" bezeichnen. – Vor allem aber beanstanden Verfassungsschützer und Gerichte gelegentlich drastische kritische bis geschmacklose Äußerungen über Ausländer wie etwa, es müsse sich "bis in den letzten Negerkral herumsprechen, daß wir die hier nicht haben wollen".

Die Vorwürfe der "Geschichtsleugnung" oder etwa der des Kollektivismus gegen jemanden, bloß weil er "Vaterland" sagt, wurden in zunehmendem Maße von Verwaltungsgerichten als nicht stichhaltig verworfen. Auch als Verfassungsfeind den anzusehen, der "Altparteien" sagt, erschien 1998 den Verwaltungsgerichten Mainz und Berlin zu simpel. Sie erklärten die nachrichtendienstliche Beobachtung für rechtswidrig. Als "ausländerfeindlich" angesehene Äußerungen hingegen kristallisierten sich als Hauptargument gegen die Partei heraus. Wenn Republikaner Einwände gegen Minarette neben Kirchen und in Wohngebieten erheben oder wenn sie "schnelle Abschiebung von Scheinasylanten" fordern, dann knüpfen Verfassungsschützer daran inquisitorische Konstruktionen: Wer solches verlange, lautet die auch von manchen Gerichten gebilligte Folgerung, wende sich "gegen das friedliche Zusammenleben" mit Ausländern und damit gegen deren Menschenwürde. Weil aber das Gebot der Menschenwürde oberster Verfassungsgrundsatz sei, liege die Verfassungsfeindlichkeit der Partei klar vor Augen.

Im vor dem OVG Koblenz laufenden Prozeß des Landes Rheinland-Pfalz gegen die in erster Instanz siegreichen Republikaner gegen die Beobachtung verstieg das Land sich sogar zu einem seinerseits verfassungsfeindlichen Gipfel: Es stehe zwar nur im Grundgesetz, daß die Achtung der Menschenwürde eine Verpflichtung aller staatlichen Gewalt sei. Es komme aber heute darauf an, "normative Begriffe wie freiheitliche demokratische Grundordnung und Menschenwürde nicht statisch zu interpretieren". Anders als vor 30 Jahren müsse man in diese Begriffe heute hineinlesen, "was dem friedlichen Zusammenleben von 7 Mio. Ausländern mit uns diene und was dafür erforderlich sei".

Das Land behauptet, Art. 20 GG garantiere "die Republik als eine Verfassungsordnung der friedlichen Koexistenz von Rassen und Kulturen". Tatsächlich lautet die Vorschrift: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Recht und Gesetz gebunden." – So wird die Verfassung wie eine Wundertüte benutzt, aus der man jeden beliebigen ideologischen Inhalt herauslesen kann. Darin liegt ein Abschied von der unverbrüchlichen Herrschaft des Gesetzes und ein Bruch des Rechtsstaatsprinzips aus dem soeben zitierten Art. 20. Wer das Gesetz durch einen Vorbehalt wechselnder ideologischer Auslegungen relativiert, verändert die Natur des politischen Konflikts: Er wird nicht mehr mit rechtlichen, sondern mit ideologischen Waffen ausgetragen. Er geht den Weg vom Rechtsstaat zum Weltanschauungsstaat. Überdies verbietet sich diese ausdehnende Neuinterpretation durch Art. 79 I 1 GG, weil das GG nur durch ausdrückliche Wortlautänderung geändert werden darf, auch wenn sich Verhältnisse geändert haben sollten.

Eine nachhaltige Gefahr für die FdGO geht von einem Verfassungsverständnis aus, das die öffentliche Meinung zu bestimmten Sachthemen obrigkeitlich lenkt: durch auf Steuerzahlerkosten gedruckte Wahlzeitungen mit Annoncen "Mein Freund ist Ausländer" etwa, durch scheinbar behördlich-objektive VS-Berichte und eine Beobachtungspraxis, die eine konservative Partei durch den Ruch der Illegalität stigmatisiert. Die Öffentlichkeitsarbeit darf aber nicht durch Einsatz öffentlicher Mittel den Mehrheitsparteien zu Hilfe kommen und die Oppositionsparteien bekämpfen. Das ist mit den Grundsätzen eines freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes und der Gleichberechtigung der politischen Parteien nicht vereinbar. Es gilt das Gebot des grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungs- und Willensbildungsprozesses vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt. Der VS-Bericht ist hingegen eine ideologische Kampfansage an die betreffende Partei, ein Ausgrenzen aus dem Kreis derer, die sich legitimerweise am demokratischen Willensbildungsprozeß beteiligen dürfen, und zuletzt eine massive Form der politischen Willensbildung von oben nach unten. So gesehen ist der VS in Händen der regierenden Parteien ein zum Bock gemachter Gärtner.

 

Klaus Kunze ist Rechtsanwalt in Uslar. Bei seinem Text handelt es sich um einen Auszug aus seinem Aufsatz in dem von Hans-Helmut Knütter und Stefan Winckler herausgegebenen Buch "Der Verfassungsschutz" (Universitas, München 2000, 425 Seiten, 49,90 Mark).


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen