© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
Denunziation per Mausklick
Nordrhein-Westfalen: Ein millionenschweres Aktionsprogramm gegen Rechts weist den Weg in den totalen Überwachungsstaat / CDU und FDP sind mit von der Partie
Andreas Wild

Deutschland auf dem Wege zum perfekten Überwachungsstaat: Die im Zuge des "Kampfes gegen Rechts" in den Bundesländern geschaffenen "Aktionskomitees" und die für sie bereitgestellten Geldsummen haben in den letzten Wochen eine gewaltige Konjunktur des politischen Beobachtungs- und Meldewesens ausgelöst. Bisher arbeitslose bzw. unterbeschäftigte Sozialpsychologen, Jugendpfleger und "Streetworkers" nutzen ihre Chance, zu Bedeutung und Gehalt zu kommen, und basteln nun im Auftrag von Bezirksregierungen, Landratsämtern und Bürgermeistereien eifrig an "Aktionsprogrammen", die alle nur auf eines hinauslaufen: Überwachen, überwachen und noch einmal überwachen.

In Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, wo noch in diesem Jahr über 21 Millionen Mark verbraten werden dürfen, umfaßt das von der Landesregierung abgesegnete Aktionsprogramm sage und schreibe 81 Punkte. Die Skala reicht vom "Ausbau der Zusammenarbeit von Polizei und Stellen außerhalb der Polizei, um durch zielgerichtete Informationen diesen Stellen Gelegenheit zu geben, die in ihrem Verantwortungsbereich erforderlichen Maßnahmen zu treffen" (Punkt 3) bis zur "Einrichtung einer Expertengruppe, die die Kommunen als Ansprechpartner (Hotline) und Berater (Einrichtung einer umfassenden Datenbank zum Versammlungsrecht) im Hinblick auf die Abfassung versammlungsrechtlicher Verbotsverfügungen gegen rechte Parteien/Gruppierungen unterstützt" (Punkt 51).

Mitglieder des Aktionskomitees sollen (Punkt 4) zur "Sensibilisierung der Arbeitgeber von Auszubildenden" gegenüber rechten Äußerungen beitragen, andere zur "Sensibilisierung von Mitgliedern des Gaststättengewerbes und Veranstaltern von Volksfesten und anderen großen Festen". Info-Zettel "Zum Verhalten in der Kneipe" sollen verfaßt und verbreitet werden; erste Entwürfe liegen bereits vor.

"Liebe Mitbürger", heißt es da, "Sie bekommen mit, wie einige anfangen, rassistische Sprüche und Witze abzulassen. Holen Sie Hilfe! Bitten Sie andere Gäste, gleichzeitig mit Ihnen aufzustehen! Stellen Sie sich, wenn Sie eine deutliche Mehrheit sind, um die Randalierenden und fordern Sie sie gemeinsam auf, aufzuhören! Gehen Sie zum Wirt/zur Wirtin oder zu Gästen mit Handy und fordern Sie dazu auf, die Polizei anzurufen! Wenn der Wirt/die Wirtin dieses Verhalten seiner/ihrer Gäste duldet, kann das ihn/sie die Lizenz kosten."

Das neue Stichwort heißt "Ordnungspartnerschaften" (Punkt 10). Gleich mehrmals ist davon die Rede, daß es gelte, den "Verfolgungsdruck" auf die "rechte Szene" zu erhöhen (Punkt 8, Punkt 43). Es geht gar nicht mehr darum, konkrete justiziable Straftatbestände zu verfolgen und zu ahnden, sondern es wird von vornherein ein "Druck" auf die "Szene" inszeniert, zum Beispiel durch Ausweiskontrollen ohne jeden Anlaß, wahlloses Herausgreifen von "verdächtigten Jugendlichen", vorläufige Festnahmen, intensive, stundenlange Verhöre. Kein Verantwortlicher scheint sich mehr darum zu kümmern, ob solche Praktiken rechtsstaatlich gedeckt sind oder nicht.

Wer jung ist und an bestimmten Plätzen auftaucht, hat sich bereits auffällig gemacht und wird dem "Druck" ausgesetzt. Die "Zugangslage" des Verfassungsschutzes zur "Szene" soll "intensiv verbessert" werden (Punkt 16). Der "rechten Musikszene" seien dabei "besonderes Augenmerk und besondere Maßnahmen" zu widmen (Punkt 67). In den Musikschulen seien "Wettbewerbe zum Thema Komponieren, Schreiben, Aufführen gegen Rechts zu organisieren" (Punkt 68).

Um die Hemmschwelle gegen das Aufspüren und Anzeigen von "rechten Vorfällen" zu senken, werden den "Bürgern" via Internet-Hotline "Beschwerdeformulare" angeboten, die nur noch ausgefüllt und per e-mail an das Aktionskomitee abgeschickt werden müssen, auf Wunsch auch anonym; auch anonyme Anzeigen sollen registriert und ausgewertet werden. Als Vorbild wird die von Bundesinnenminister Schily eingerichtete "Hotline des Bundesgrenzschutzes zur Entgegennahme von Hinweisen auf rechtsextremistische Aktivitäten" angepriesen. Für die Benutzung solcher Hotlines soll "über Folder und gut sichtbare Hinweise auf allen Fahrzeugen der Polizei sowie durch bundesweite flächendeckende Plakationen" geworben werden.

Außerdem soll im Internet eine "Schwarze Liste" erstellt werden, auf der alle "rechten Websites" gesammelt und kenntlich gemacht sind. "Ziel ist es u. a. zu verhindern, daß die Dienste von Internetprovidern (zum Beispiel housing, Gästebücher etc.) unkontrolliert von Anbietern rechter Websites benutzt werden können oder daß Banner von Werbetreibenden auf Seiten mit rechtem Inhalt auftauchen".

Positive, "präventive" Maßnahmen nennt das NRW-Aktionsprogramm natürlich auch; schließlich sollen die Mitbürger für ihre Wachsamkeit und ihren Anzeigeneifer belohnt werden. So sollen künftig in die populären Volksmusiksendungen der dritten Fernsehprogramme Musiknummern "mit interkulturellem Ansatz" eingebaut werden, "um Räume für gemeinsames Erleben zu schaffen"(Punkt 38).

Alljährlich soll ein gutdotiertes "Symposium von Wissenschaftlern, Pädagogen, Jugendarbeitern und Mitgliedern der von rechten Einstellungen betroffenen Minderheiten durchgeführt" werden. Und als Höhepunkt ist eine "Wanderausstellung gegen den Rechtsextremismus" geplant, in die dann Schulklassen geführt werden und die auch ausländischen Touristen offensteht. So will man für ein "gutes, tolerantes" Deutschland werben.

Daß CDU und FDP im nordrhein-westfälischen Landtag dem "Bündnis für Toleranz und Zivilcourage", auf dem das Aktionsprogramm beruht, vorbehaltlos zugestimmt haben, braucht nicht eigens erwähnt zu werden. Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter bekanntlich selber. Aber vielleicht macht die schlechte Erfahrung, die man in der Bundesrepublik in jüngster Zeit mit Wanderausstellungen gemacht hat, einige von der Opposition nachdenklich. Spät wäre immer noch besser als zu spät.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen