© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
Kolumne
Gruppendynamik
von Peter Sichrovsky

Irgendein intelligenter Mensch hat einmal geschrieben, daß die Stärke einer Organisation am besten daran zu erkennen ist, wie sie mit Krisen umgeht. Wird versucht, die "Schuldigen" zu erkennen, um den "Unschuldigen" die Befreiung von der Verantwortung zu ermöglichen? Oder analysiert man die Ursachen für die Krise, die Gründe für einen Wahlverlust zum Beispiel oder die möglichen Umstände, die zu einem Ergebnis führten, das niemand erwartete?

Eine personenbezogene Argumentation ist natürlich verlockend, denn nichts macht mehr Spaß, als einen Täter zu finden und ihn zu demaskieren. Als Held fühlt man sich in einer Gruppe immer dann, wenn man den "Bösen" in der Gruppe identifiziert und ihn am besten gleich aus der Gruppe schmeißt. Es hat etwas Befreiendes, Erlösendes und Selbstreinigendes, die Gefahr zu erkennen und zu benennen. Glaubt man doch, als der eigentlich Mutige erkannt zu werden in einer Gruppe, der endlich ausspricht, was alle denken und keiner sonst sich zu sagen getraut. Nur man selbst ist der Held und stürzt sich auf den Bösewicht in der Hoffnung, daß sich bald alle anderen anschließen ...

Doch wie schon die Gruppendynamik lehrt, gehen solche Aktionen fast immer schief. Die erzwungene Eliminierung eines "störenden" Mitglieds in einer Organisation bringt die Zurückbleibenden nicht näher zusammen. Wer glaubt, daß alles leichter geht, wenn nur der "Eine" oder die "Andere" endlich aus der Gruppe hinausgeschmissen wurde, wird sehr bald erkennen, wie verbindend so mancher angeb-liche "Störenfried" wirkt.

In einer Gruppe oder Organisation gibt es nicht "den oder die" Einzelne, der/die den Erfolg der ganzen Gruppe gefährdet, sondern alle gemeinsam verlieren oder gewinnen. Sicherlich wird es manchmal notwendig sein, den einen oder die andere auszutauschen oder mit neuen Aufgaben zu betreuen. Sehr selten ist jedoch davon der Erfolg der Arbeit der ganzen Organisation abhängig.

Gute Resultate können Gruppen liefern, die mit einer optimalen Aufgabenverteilung ein Team bilden, in dem jeder nach seiner Begabung und seinem Talent mit Begeisterung und Freude eine bestmögliche Leistung bietet. Gemeinsamkeit, Loyalität, Identifikation mit den Zielen und den Personen an der Spitze können so manchen Fehler und Mangel an Fähigkeit ausgleichen. Umgekehrt funktioniert es leider nicht. Und wenn Einzelne noch so talentiert und genial sind können sie sich nicht auf eine funktionierende Gruppe abstützen, werden sie scheitern.

 

Peter Sichrovsky ist Europaabgeordneter und für Außenpolitik zuständiger Generalsekretär der FPÖ.


 
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