© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000


Kleine Parteien haben keine Chancen
US-Präsidentschaftswahlen: Wer seine Heimat liebt, kämpft – und fragt nicht nach der Aussicht auf Sieg
Michael de Wet

Sie könnten nicht unterschiedlicher sein: Harry Browne, der libertäre Yuppie, Howard Philipps, der stramme Konservative, und John Hagelin, der yogische Flieger, haben weltanschaulich so gut wie nichts gemeinsam. Dennoch touren sie in diesen Tagen gelegentlich gemeinsam durch die amerikanischen Lande. Das war auch schon vor vier Jahren so, denn damals wie heute verbindet das Trio der Wahlkampf: Alle drei bewerben sich nämlich erneut um das Amt des US-Präsidenten. Und da es für Kandidaten kleinerer Parteien mühselig und vor allem kostspielig ist, den Wahlkampf zu organisieren, haben sich die drei zusammengetan, um Reisekosten zu sparen und durch Bündelung der Anhänger auch größere Versammlungsräume zu füllen.

Harry Browners Libertarian Party, eine Art Mischung aus ökonomischem Liberalismus und gesellschaftlichem Anarchismus, ist eine der größten unter den "dritten Parteien" der USA, die flächendeckend kandidierte und ihren traditionellen Rückhalt – so gegensätzlich das auch erscheint – in den Staaten Kalifornien und Alaska besitzt. Howard Philipps, ein früherer Mitarbeiter der Reagan-Administration, steht nun zum dritten Mal auf dem Stimmzettel von immerhin 43 der 51 US-Bundesstaaten. Seine Constitution Party ist eine klassische "law and order"-Partei, die besondere Akzente in einer rigiden Immigrations- und Lebensrechtpolitik setzt. John Hagelins Ticket schließlich ist die Natural Law Party, für die er schon vor vier Jahren antrat, um bescheidene 0,1 Prozent zu kassieren. Ihm war im Frühjahr dieses Jahres größere Medienaufmerksamkeit zuteil geworden, weil er sich als Herausforderer Patrick Buchanans in der Reform Party nominieren ließ.

Die drei gehören zu den bekannteren unter den zahlreichen Kandidaten, die sich am 7. November im Schatten des Duells der beiden Giganten Al Gore von den Demokraten und George W. Bush jr. von den Republikanern um das höchste Staatsamt bewerben. Immerhin zählen sie zu den insgesamt 15 Bewerbern, die als Kandidaten mit Ballot-Status sozusagen offiziell auf dem Stimmzettel vertreten sind. Das unterscheidet sie von den "write ins", Einzelbewerbern und Kandidaten winziger, oftmals obskurer Grüppchen wie der "Church of God Party", für die sich ein Bewerber in New York stark macht, der "United Fascist Union" in Delaware oder der "Tupperware Party", die einen Kandidaten in Indiana stellt.

Von wahlarithmetischer Relevanz sind allerdings nur die Kandidaten der beiden "großen" unter den kleinen US-Parteien: Ralph Nader von der Green Party und Patrick Buchanan von der konversativen Reform Party. In jüngsten Umfragen ist der Stern beider Politiker, die zeitweilig bei jeweils bis zu sechs Prozent der Stimmen taxiert wurden, deutlich auf Werte zwischen ein und zwei Prozent gesunken. Doch angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens von Gore und Bush könnten auch Zehntelprozente, die für einen der beiden Außenseiter abgegeben werden, den Ausgang der Wahl entscheiden.

Brach Nader eine Bresche in die bislang geschlossen hinter Gore stehende Front der Umweltverbände und Gewerkschaften, so wirbt Buchanan im Wahlkampf massiv um die Stimmen der unter weißen Mittelschichtlern einflußreichen christlichen Lebensschutzkreise. Deshalb attackiert er vor allem George W. Bush, dem er vorwirft, in Fragen der Abtreibung zwar "rechte Töne" zu spucken, in der Praxis jedoch tatenlos der Tötung ungeborenen Lebens zuzuschauen. "Pro Life" ist denn auch einer der Punkte, mit denen Buchanan, der dieser Tage von "The Pols and their Pets" zum amerikanischen "Tierfreund des Jahres" gewählt wurde, seinen Wahlkampf bestreitet.

Daneben sparte der Reformer nicht mit Attacken gegen das seiner Meinung nach sinnlose weltpolitische Engagement der USA, erklärte, alles Militär in der Heimat zu konzentrieren, damit die Grenzen gegen illegale Einwanderer geschützt werden, und kündigte vollmundig an, die UNO binnen vier Wochen aus dem Lande zu verweisen; notfalls würde er "zehntausend Marineinfanteristen schicken, die Kofi Annan beim Kofferpacken helfen".

Unabhängig vom Ausgang der Wahl ist Buchanan mit seinem Wahlkampf eines gelungen: Er hat es vermocht, aus der programmatisch bisweilen ambivalenten Reform Party des texanischen Milliadärs Ross Perot eine unzweideutig konversativ-populistische Bewegung zu formieren. Der amerikanische Populismus hatte seine große parteipolitische Ära am Ende des 19. Jahrhunderts. 1891 schlossen sich in Ohio Kleinbauern und Landarbeiter zu der Populist Party zusammen, an ihrer Spitze stand der frühere Führer der agrarischen "Greenback-Bewegung", James B. Weaver, der bei der Präsidentschaftswahl 1892 8,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte.

Vor allem im Fernen und Mittleren Westen errang die Partei bei den Kongreßwahlen große Erfolge. Sie kam auf mehr als eine Millionen Stimmen und entsandte sechs Senatoren und sieben Abgeordnete in das Repräsentantenhaus. Dieser in der Parteipolitik der USA beispiellose Erfolge einer "dritten" Partei währte jedoch nicht lange, da die Demokraten es rasch vermochten, populistische Forderungen zu übernehmen.

Über mehr als sieben Jahrzehnte verfiel die traditionsreiche Partei in Agonie und trat erst 1984 wieder in Erscheinung, als sie den Olympiasieger Bob Richards zu ihrem Präsidentschaftskandidaten nominierte. Bob Richards, der in lediglich 14 von 50 US-Bundesstaaten kandidierte, erhielt immerhin knapp 70.000 Stimmen. 1988 entfielen rund 46.000 Stimmen auf den umstrittenen Populisten-Kandidaten David Duke, dem ein führendes Amt im Ku-Klux-Klan nachgesagt wird und der durch provokante Aussagen über den Zusammenhang von Umweltzerstörung und Einwanderung, Artensterben und Bevölkerungsexplosion von sich reden machte.

Mittlerweile hat Duke in der Reform Party seine politische Heimat gefunden. Dies und die Tatsache, daß "Buchanan’s Brigades" von den Republikanern zur Reformpartei überwechselten und diese gemeinsam mit deren rechten Flügel nun dominieren, führte zu heftigen Medienattacken gegen die "dritte" Partei der USA. Buchanan ficht das nicht an. In einer seiner letzten Stellungnahmen verglich er seinen Kampf mit dem der 300 Spartaner auf den Thermopylen. Getreu dem Motto: Wer seine Heimat liebt, kämpft – und fragt nicht nach der Aussicht auf Sieg.


 
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