© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Die Republik Kosovo ist in Sicht
Carl Gustaf Ströhm

Der Sieg der "gemäßigten" Albaner unter Ibrahim Rugova bei den ersten Kommunalwahlen im Kosovo läßt den "Westen" erleichtert aufatmen. Man spürt geradezu, wie man dort in die bequemen Ohrensessel zurücksinkt, aus denen man sich angesichts möglicher neuer blutiger Zusammenstöße gerade noch erheben wollte.

Doch die gemäßigten Kosovo-Albaner und ihre Organisation, die Demokratische Liga, unterscheiden sich von den "Radikalen" unter dem Ex-Chef der Kosovo-Befreiungsarmee, Thaci, in einem zentralen Punkt nicht: Beide treten für eine von Belgrad unabhängige "Republik Kosovo" ein. Beide wollen auf keinen Fall unter eine wie immer geartete staatliche oder sonstige Oberhoheit Jugoslawiens und Serbiens zurückkehren.

Hier beginnt bereits der fast unabwendbare Konflikt: Während der "gemäßigte" Wahlsieger Rugova bereits öffentlich erklärte, das Wahlergebnis bestätige den Wunsch der Kosovo-Albaner nach Unabhängigkeit, konterte der neue jugoslawische Präsident Kostunica, er verweigere den Wahlen die Anerkennung, weil hier (von albanischer Seite) ein "ethnisch reines", nicht multi-nationales Kosovo geschaffen werde. Die Standpunkte Kostunicas und Rugovas schließen sich aus – und dazwischen sitzt die "internationale Gemeinschaft" (sprich Nato, USA, EU) und hat die Wahl, sich entweder mit einem der Kontrahenten zu verkrachen – der gleich mit allen beiden. Insofern gleicht die Position des Westens jenem berühmten Ausspruch: "Häng‘ dich, oder häng dich nicht – bereuen wirst du beides".

Zur Klärung der Positionen ist wichtig zu wissen, daß auch die "Untergrundarmee" UCK ein Produkt westlicher Unentschlossenheit ist. Die Amerikaner rieten noch zu kommunistisch-jugoslawischen Zeiten ihrem Gesprächspartner Rugova, er solle tunlichst Gewalt vermeiden und sein Volk zu zivilen passiven Widerstand überreden, möglichst à la Gandhi. Dann werde der Westen schon helfen. Die Kosovo-Albaner befolgten diesen "Wunsch" über ein Jahrzehnt lang – und nichts geschah. Im Gegenteil: die Bedrückung durch die Serben wurde immer schlimmer. Dann tauchten plötzlich junge Leute auf, unzulänglich, aber immerhin bewaffnet – und begannen einen Kleinkrieg gegen die serbische Armee und Polizei, besonders in unzugänglichen Gebirgsgegenden, wo die Jugo-Streitkräfte ihre Überlegenheit nicht entfalten konnten. Das Resultat war durchschlagend: mit einem Male kam das Kosovo auf die internationale Tagesordnung. Ohne UCK und Thaci wäre Rugova nicht zum Wahlsieger geworden.

Die Kosovo-Frage ist eine der wichtigsten Ursachen dafür, daß Kostunica in Konflikt mit seinen westlichen Gönnern und Freunden geraten muß – und es mag nicht bloß Zufall sein, daß der "neue Serbe" seinen ersten bilateralen Antrittsbesuch (sieht man von seinem Intermezzo als EU-"Stargast" in Biarritz ab) – nicht in Washington, sondern in Moskau absolvierte. Bei Putin, der keinerlei Interesse an einer Nato-Präsenz auf dem Balkan hat.

Gibt der Westen aber Kostunica nach und zwingt die Albaner wieder in den "Völkerkerker" Jugoslawiens zurück – dann löst er irrationale Reaktionen aus, die "palästinensische" Dimensionen erreichen könnten. Hier liegt die Ironie der Geschichte. Für viele der "von oben" dekretierten westlichen Friedenspläne gilt das Wort Bert Brechts: "Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach‘ noch einen zweiten Plan – gehen tun sie beide nicht". Solange der Westen die Wirklichkeit und die geschichtlichen Voraussetzungen nicht akzeptiert, muß er scheitern.


 
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