© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
CD: Pop
Wiener Untiefen
Holger Stürenburg

Der als "Charles Bukowski des Rock" verehrte "Gossenpoet" Tom Waits gilt als einer der wichtigsten Songschreiber Amerikas. Er wird in einer Reihe mit Randy Newman oder Bob Dylan genannt, Rod Stewart hat seinen "Downtown Train" zum Pophit gemacht, sein Musical "Black Rider" begeistert seit Jahren auf den Bühnen in aller Welt. Immer wieder haben deutschsprachige Künstler versucht, Waits’ düstere Hymnen ins Deutsche zu übertragen. So zum Beispiel das Kölsche Duo "The Piano has been drinking", bestehend aus Gerd Köster und Frank Hocker, das Anfang der Neunziger mehrere Alben mit äußerst gelungen Dialekt-Adaptionen von Waits-Klassikern veröffentlichte . Und beim Berliner Chansonnier Manfred Maurenbrecher wurde Waits‘ "In the Neighbourhood" zu "In der Nachbarschaft".

Nun hat sich auch der österreichische Liederschreiber Wolfgang Ambros seines großen amerikanischen Kollegen angenommen. Über zwanzig Jahre nach Ambros’ hitträchtiger Bearbeitung von Dylan-Klassikern wie "It ain‘t me, Babe" ("I bin‘s ned") oder "Like a Rolling Stone" ("Allan wia a Stan") hat er zwölf mehr oder weniger bekannte Oden von Tom Waits aufgenommen, deren Texte er sehr gekonnt in den Wiener Dialekt übertragen hat. Nur kaum zwei Jahre nach seinem letzten, schlichtweg hervorragenden Soloalbum "Voom Voom Vanilla Camera" (auf dem Ambros stilistisch sehr in Richtung Siebziger-Rock blickte) und seinen vielfältigen Aktivitäten als Teil des alpenländischen Popgipfeltreffens "Austria Drei" (mit den Kollegen Fendrick und Danzer) legt Ambros bei Gig Records/BMG-Ariola mit "Nach mir die Sintflut" einen weiteren Austropopklassiker vor.

"Niemand kann den Blues so singen, wie er wirklich ist", sang Georg Danzer einst. Ambros gelingt dies jedoch perfekt, obgleich er eigentlich alles andere als ein großer Vokalist ist. Seine knarzige, typisch wienerische Stimme paßt zu Waits’ Kompositionen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Ambros röhrt, stammelt und knarrt sich durch düsteren Avantgarde-Rock wie "Big in Japan" ( "Groß in Kargan"), romantischen Swing wie "The Heart of Saturday Night" ("Samstag Nacht") oder zynischen Talking-Blues wie "Christmas Card from a Hooker in Minneapolis" ( "Weihnachtsgrüße von aner Hur aus Floridsdorf"). Zwar ist es Produzent Christian Kolonovits nicht gelungen, die schrägen Arrangements der Originale bei den deutschen Versionen aufrechtzuerhalten – zu oft nutzt er Synthisphären und Keyboardteppiche (grausam: beim sonst hervorragenden "Tom Taubert’s Blues") –, aber Ambros’ Stimme kann seinem poporientierten Produzenten sehr wohl widerstehen.

Man meint oft,typisch amerikanische" Themen seien schlecht "einzudeutschen". Aber in jeder deutschen (oder österreichischen!) Großstadt gibt es Verlierer, schräge Vögel, Nutten, Spießer und Spieler, so daß Ambros, der zwar jegliche patriotische Haltung von sich weist, aber dennoch Wiener ist wie (vielleicht außer Kurt Ostbahn) kein zweiter – dadurch Waits’ US-Betrachtungen in phantastischer Weise nach Wien, in seine Arbeitsbezirke, seine Vororte und seine Nachtszene überträgt. Selbst wenn sich Ambros bei seinen Transformationen durchgehend an die von Waits "vorgegebenen" Themen hält – so ist doch bei jedem Text eine persönliche Note zu verspüren, wesentlich intensiver, als dies noch bei Ambros‘ Dylan-Bearbeitungen der Fall war.

"Nach mir die Sintflut" ist ein würdiges, weises Werk eines Künstlers, der auch mit über fünfzig Jahren noch etwas zu sagen hat. Die CD beinhaltet keine Gebrauchsmusik; es sind bluesige, jazzige, avantgardistische Klänge zum Zuhören, Mitfühlen, Mitleiden. Jedes einzelne Stück lädt ein, sich gemeinsam mit Wolfgang Ambros in die Untiefen des Großstadtlebens zu begeben, zu träumen und sich den Magen umdrehen zu lassen.


 
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