© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
Eine in Auflösung begriffene Gesellschaft
Österreichs höchster Polizeibeamter Michael Sika führt in die Krokodilsümpfe der Alpenrepublik
Carl Gustaf Ströhm

In Österreich gelangten die Erinnerungen eines in jeder Hinsicht nicht alltäglichen Autors auf die Bestsellerliste und waren zeitweise restlos ausverkauft: Das Buch von Michael Sika "Mein Protokoll" – mit dem vielsagenden Untertitel "Innenansichten einer Republik".

Sika war bis zu seiner Pensionierung, Ende 1999 "Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit" und damit der höchste Polizeibeamte der Republik Österreich. Im Gegensatz zu Deutschland ist die österreichische Polizei nicht Länder-, sondern Bundesangelegenheit. Sika kommt aus der Sozialdemokratie. Er selber räumt in seinem Buch ein, nur ein "Roter" hätte in Österreich auf den Posten des polizeilichen Sicherheitschefs avancieren können. Aber obwohl (oder auch weil) er ein "Sozi" war, geriet Sika sowohl mit dem linken Lager in seiner Partei, wie auch mit der "freischwebenden" grünen bis anarchistischen Szene in heftige Konflikte.

Rückblickend stellt Sika fest: "Ich habe viel gesehen in diesen Jahren. Politiker, die bedenkenlos Umgang mit Personen pflegten, die von Geheimdiensten aus aller Welt argwöhnisch beobachtet wurden. Die sich bereitwillig von der Wirtschaft sponsern ließen. Die intervenierten, kreuz und quer intrigierten. Ich habe ungetreue Manager gesehen, ins Zwielicht geratene Bankdirektoren. Die Arbei ausländischer Geheimdienste in Österreich. Ich habe Korruption gesehen. Mißwirtschaft und Ungerechtigkeit. Ich habe vermutlich zu viel gesehen..."

Sika schreibt dann über seine Erfahrungen mit "Medien, die der Zeitgeist gar weit nach links geweht hat und die mich am liebsten in der Versenkung verschwinden sehen wollten". Das Wiener Innenministerium bezeichnete er ohne Umschweife als "Krokodilsumpf" in dem zeitweise ein Minister – gleichfalls Sozialdemokrat, wie Sika – residierte, der aus der Polizei "einen Verein Palmwedel schwingender Parkwächter" machen wollte. Seinen letzten Chef, den in der eigenen Partei als "rechts" abgestempelten Karl Schlögl, bezeichnet Sika als "Lichtgestalt", mit dem er ausgezeichnet zusammengearbeitet habe. Größte Vorbehalte meldet der ehemalige Sicherheitsdirektor jedoch gegen dessen Vorgänger an, Casper von Einem, einem Sohn des bekannten Komponisten Gottfried von Einem und einem direktem Nachfahren Otto von Bismarcks.

"Einem war zutiefst in die linkslinke" Szene verwoben, was das tiefe Mißtrauen Sikas weckte. Dies ging, wie Sika schreibt, so weit, daß er seinen Innenminister über gewisse polizeiliche Maßnahmen (zum Beispiel gegen gewalttätige Demonstranten) nicht informierte, aus Furcht, der Minister würde gegenüber der Szene nicht dichthalten und Maßnahmen an seine linken Gesinnungsfreunde verraten.

Unberührt von jedweder "political correctness", nennt Sika die Dinge beim Namen. Der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch des Kommunismus habe für Österreich auch negative Folgen gehabt: "Die Kriminalität war nach der Ostöffnung tatsächlich explodiert. Betrug die Gesamtzahl der angezeigten Delikte vor der politischen Wende im Jahre etwa 350.000, so wuchs sie Anfang der neunziger Jahre auf über 500.000 an – und das bei einer eher bescheidenen Aufklärungsquote..." Die Bevölkerung habe damals ein härteres Vorgehen gegen Ausländer gefordert, die immer mehr für die Eskalation der Kriminalität verantwortlich gemacht wurden. Die Linken innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie hätten sich damals von der Illusion freimachen müssen, man könne die Polizei in einen "Sozialverein" umwandeln.

Ein weiteres "dunkles" Kapitel, das Sika anschneidet, sind die Aktivitäten des KGB und anderer östlicher Geheimdienste auf österreichischem Boden: "Das Agentennetz des KGB in Österreich reichte praktisch in alle Felder der Politik, Wissenschaft, Behörden, Medien und Gesellschaft. Besonderes Augenmerk richteten KGB-Agenten auf den Polizeiapparat..." Sika behauptet, die "streichelweiche" Justiz habe die Aufarbeitung der Stasi-Aktivitäten in Österreich verhindert. Das Wiener Innenministerium habe der Staatsanwaltschaft Verdachtsmomente gegen 67 Personen wegen möglicher Zusammenarbeit mit der Stasi angezeigt – darunter hätten sich acht Beamte, zwölf Unternehmer, drei Journalisten und ein Parlamentsabgeordneter befunden. Doch lediglich ein Verdächtiger wurde schließlich verurteilt.

Besonders lehrreich sind jene Kapitel in Sikas Buch, in denen er die unglaubliche Leichtfertigkeit schildert (und verurteilt), mit der Teile der österreichischen Linken die Grenzen zum Verbrechen und zu Verbrechern zu verwischen pflegten. So wurde der "Gefängnispoet" Jack Unterweger zum Lieblingskind der Wiener linken Schickeria. Einflußreiche Persönlichkeiten setzten sich für seine Haftentlassung ein, er wurde als Dichter gefeiert, durfte aus seinen Werken lesen und sogar zum Ingeborg-Bachmann-Preis nach Klagenfurt eingeladen. Später stellte sich heraus, daß Unterweger für eine Serie von Frauenmorden in den USA, der Schweiz und Österreich verantwortlich war. 1994 wurde der gehätschelte "Gefängnispoet" wegen dieser Delikte zu lebenslänglicher Haft verurteilt – und erhängte sich in seiner Zelle.

Ähnlich unkonventionell berichtet Sika über die Briefbombenaffäre, die seinerzeit Österreich in Atem hielt. Er spricht davon, daß der oder die Täter aus ideologischen Gründen ausschließlich im "rechten" Milieu gesucht werden. Das führte dazu, daß die Polizei in die falsche Richtung ermittelte. Fast durch einen Zufall wurde dann ein Einzeltäter und Einzelgänger – Franz Fuchs – als Täter überführt: "Letztlich hat sich herausgestellt, daß dieser Bombenterror mit den Rechtsradikalen nichts zu tun hatten." Und weiter meint der ehemalige Sicherheitsdirektor über die österreichischen Rechtsextremisten: "In Wahrheit spielen sie – von der Staatspolizei wohl beobachtet – in Österreich nach wie vor nur eine bescheidene Rolle, auch wenn das manche nicht wahrhaben wollen, die bei jeder Gelegenheit das braune Gespenst beschwören".

Sika schildert dann den opportunistischen Schwenk des seinerzeitigen SPÖ-Bundeskanzlers Franz Vranitzky. Dieser war ursprünglich Befürworter einer harten Ausländerpolitik – als er aber merkte, daß sich der Wind nach "links" drehte, opferte er seinen eigenen, von ihm selbst ausgewählten Innenminister Löschnak als "Sündenbock" und installierte stattdessen den linken Flügelmann der SPÖ, den bereits erwähnten von Einem als Nachfolger. Dazu Sika: "Politik ist ein hartes Geschäft. Sie läßt keinen Platz für Sentimentalitäten oder Dankbarkeit..."

Zu Einem dem neuen Innenminister, notiert Sika: "Mein erster Eindruck war – der Mann ist mir nicht sympathisch. Die Chemie hat zwishen uns beiden von Anfang an nicht gestimmt. Er hat die Gespräche mit zynischer Überheblichkeit geführt... Ich war später dann sehr verbittert, daß dem mir sympathischen Löschnak ein weit links stehender Innenminister nachfolgte".Der neue "unsympathische" Innenminister habe zu linksextremen Organisationen, die mit einem Sprengstoffanschlag gegen Überlandleitungen in Verbindung gebracht wurden, Kontakte unterhalten und sogar einen Geldbetrag für die Organisation gespendet.

Schlimmer noch war, daß der österreichische Sozialminister in den Jahren 1990 bis 1995 stolze 2,3 Millionen Schilling an das sogenannte Tatblatt überwies, in dem sich "Bekenntnisse" zu Bombenanschlägen fanden. Das Wiener Bundskanzleramt habe noch 85.000 Schilling für die linksextreme Zeitschrift zugeschossen, weil das Blatt angeblich "der staatsbürgerlichen Bildung diene". Es sei seine Meinung, schreibt Sika weiter, daß sich Einem als Innenminister nur deshalb so lange halten konnte, weil er die Unterstützung der "breit gefächerten linken Medien" genoß.

Lesenswert ist, was Sika über die Aktivitäten der "Russenmafia" in Wien zu berichten weiß – aber noch interessanter ist seine ungeschminkte Darstellung der Wiener Drogenszene, die hauptsächlich von Schwarzafrikanern aus Nigeria beherrscht werde. In Wien werden 40 Prozent des Drogenhandels sowie des Straßenstrichs im Suchtbereich von Schwarzafrikanern kontrolliert, schreibt Sika. "Ein von der Polizei wegen des Verdachts auf Drogenhandel beanstandeter Schwarzafrikaner braucht nur laute Schreie auszustoßen und schon finden sich Zeugen, die bereitwillig behaupten, der arme Teufel sei mißhandelt worden." Ihn, Sika, habe die "Distanzlosigkeit der Linken" zum Drogengeschäft erschreckt.

"Was habe ich zu zeichnen versucht?" fragt Österreichs ehemals höchster Polizeibeamter abschließend – und antwortet: "Eine in Auflösung begriffene Gesellschaft. Eitle und manchmal suspekte Politiker. Skrupellose Journalisten. Kriminalität in sämtlichen Lebensbereichen. Versinkende Institution. Brave und böse Bürger. Eine Polizei, die ihrem mitunter schlechten medialen Ruf nicht gerecht wird. Mit einem Wort – die Realität."

 

Michael Sika: Mein Protokoll. Innenansichten einer Republik. NP-Buchverlag, St. Pölten-Wien-Linz 350 S., 47,80 Mark


 
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