© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
Heile Welt im Dunkeln
Theater: "Rosenkavalier" in der Semperoper Dresden
Konrad Pfinke

Als Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal vor neunzig Jahren darüber nachdachten, wie ihr erstes gemeinsames Opernwerk sinnvoll zu betiteln sei, da kam der Komponist auch auf den Namen einer wichtigen Rolle. Es hätte nicht viel gefehlt, und "Der Rosenkavalier", als der er bis heute Triumphe feiert, wäre als "Der Ochs von Lerchenau und die silberne Rose" zur Welt gekommen. Triumphe konnte nun jener Ochs am Ort der Uraufführung feiern.

John Tomlinson steht durchaus im Mittelpunkt der Inszenierung. Gewiß gibt es jenes grobe Poltern, das die Darstellung des wüsten Barons lange auszeichnete, auf den Opernbühnen der Gegenwart immer seltener, doch ist es schlichtweg erstaunlich, wieviel Grazie er der Figur schenkt, die nach Straussens bekanntem Diktum "einer ländlichen Don-Juan-Schönheit" gleicht. Tomlinson folgt der Anweisung bis ins Detail: wenn er das falsche Mariandl im Alkoven wie ein Vorstadt-Casanova überwältigen will; wenn er, halb Gebirgsweiberjäger, halb Salonlöwe, eine gesellschaftlich präsentable Figur macht. Man sieht: Mit dem Mann muß man rechnen. Die Frage, wann und wo dieser "Rosenkavalier" spielt, konnte am ehesten von Tomlinson beantwortet werden, der sich mit aller vokalen und schauspielerischen Hingabe in die Rolle schmeißt: diese Mischung aus unnachgiebigem Rauhbein, neunzigprozentigem Charmeur und bacchantischem Geniesser gehorcht den zeitlosen Gesetzen, denen in der Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs mit Hilfe des Bühnenbilds von Christoph Schubiger viel – vielleicht ein wenig zuviel – Raum gelassen wird.

Am anderen Pol steht die Marschallin: Angela Denoke, die nicht nur eine lustige Witwe, sondern auch eine melancholische Strohwitwe zu beglaubigen vermag, zeigt uns die vornehm abgekühlten Seiten der Dame – nachdem sie sich im wunderbar vitalen, die sexuelle Ekstase bebildernden Vorspiel als realistische Frau von dreißig Jahren etabliert hat. Zusammen mit ihrem männlichen Gegenpart verbürgt sie auch mit bezwingender, schlackenloser Vokalität die Wahrhaftigkeit der Inszenierung. Da ist alles vorhanden: bei der Marschallin die frivole Welt der Zwanziger, beim Waffenhändler Faninal die protzige der Dreißiger, im Beisl schließlich die finstere aller Zeiten. Ochsens Alpenproletarier und Touristen, die sich ins Lever verirren, Paparazzi und wunderliche Zombies – Laufenberg ist einer krachbunten Heiterkeit ebenso verpflichtet wie einer finsteren Nostalgie. Ist hier alles Theater? Laufenbergs Lesart ist mild, am Ende geht’s an der Semperoper, die dem Mythos "Rosenkavalier" natürlich doppelt verpflichtet ist, eben doch "gut" aus: der Lüstling im wahnwitzig flackernden Licht verjagt, die große Dame mild enttäuscht, das junge Paar in vorsichtiger romantischer Verzauberung zusammen, und ein "Mohr", der unschuldig mit den vordem wüst plärrenden Kindern spielt. Eine heile Welt im Dunkeln.

Sophie Koch durfte neben den beiden großen Sängerdarstellern als Dritte im Bunde den verdienten Beifall als Octavian empfangen: eine Glanzleistung an Wärme, Ausdruck und Kraft. Fast gleichrangig, wenn auch noch von kleinerem Stimmvolumen: die kindlich-naive Sophie von Iride Martinez.

Sonderbarerweise erhielt neben Laufenberg auch der Dirigent Semyon Bychkov einige BuhRufe – wozu kein Grund bestand, musizierte doch die Staatskapelle auf höchstem, delikatestem Niveau. Sie bringt die zarte Kammermusik ebenso wie die grellen, auf "Elektra" zurückweisenden Stellen so, wie sie sich der Komponist wohl vorgestellt hat – mit einem Wort: ein Hörvergnügen allerersten Ranges, das uns glücklicherweise auch einige seit 1911 erstmals geöffnete Striche präsentierte.


 
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