© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
Denkfreudige Heilige
Christliche Apologetik als fortwährende Aufgabe
Gerd-Klaus Kaltenbrunner

Apologie ist ein griechisches Wort und bedeutet soviel wie Verteidigungsrede (ihr Gegenstück ist die Anklagerede). Berühmt ist die Apologie des Sokrates vor dem athenischen Gerichtshof, der ihn wegen Gottlosigkeit zum Tode verurteilte. Als Apologeten im engeren Sinne bezeichnet man Verfasser von Verteidigungsschriften, insbesondere von Plädoyers für das Christentum. Bis ins 20. Jahrhundert hinein haben, vor allem im katholischen Bereich, zum Teil bedeutende Autoren (unter ihnen die namhaften Theologen Hermann Schell, Paul von Schanz, Albert Maria Weiß, Simon Weber und Ignaz Klug) Bücher dieser Art veröffentlicht.

Seit Jahrzehnten sind zwar Titel wie "Apologie des Christentums" oder "Christliche Apologetik" unüblich; man scheint vielfach schon über die bloße Absicht, apologetisch zu wirken, die akademische Nase zu rümpfen. Man findet, daß "Fundamentaltheologie" ein feineres Firmenschild sei als die ein wenig altmodisch, verstaubt und "unkritisch" klingende Bezeichnung Apologetik.

Diese spätmodernistische Zimperlichkeit gegenüber einem klassischen Wort und Anliegen ändert allerdings wenig an der Tatsache, daß die Apologie (oder wie immer man den Versuch einer vernunftgemäßen Rechtfertigung des Glaubens nennen mag) eine immerwährende Notwendigkeit bleibt. Solange das Christentum – "den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit" (1 Korinther 1,23) – angefochten, bekämpft, verworfen, karikiert oder auch nur in Frage gestellt oder mißverstanden wird, ist Apologie kaum zu vermeiden, ja geradezu unumgänglich im Sinne der Dialektik von challenge und response.

Daß Apologie eine biblische, ja apostolische Begründung hat, beweist die Areopag-Rede des Heiligen Paulus ebenso wie das Wort des ersten Petrus-Briefes (3,15): "Den Herrn Christus aber heiligt in euren Herzen, stets bereit zur Verteidigung (pros apologian) gegenüber jedem, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist."

Insofern ist Apologie so alt wie das Christentum, wenngleich ihre Methoden, Anknüpfungspunkte und Argumente je nach der aktuellen Herausforderung naturgemäß verschieden sind. Einem Angriff im Stile Nietzsches ist, wie sich von selbst versteht, anders zu begegnen als einer Christentumskritik marxistischer oder rationalistischer Herkunft. Aber auch dieses Problem haben schon die frühesten christlichen Apologeten deutlich erkannt, die sich mit hochgebildeten und mächtigen Gegnern wie den Kaisern Hadrian, Mark Aurel und Julian, mit Philosophen wie Celsus, Plotin oder Porphyrius auseinanderzusetzen hatten.

In dieses Zeitalter versetzt uns ein vor kurzem erschienenes Buch des in Bochum und Berlin lehrenden Theologen und Kirchenhistorikers Michael Fiedrowicz. Es umfaßt einen geschichtlichen und einen systematischen Teil. Der historische Teil behandelt unter anderem so verschiedene Gestalten wie Quadratus, Aristides und den Märtyrer-Philosophen Justin, dessen Gedächtnis die Kirchen jahraus, jahrein am 14. April feiert. Es folgen Tatian, Clemens von Alexandrien, Cyprian, Origenes und die als Kirchenväter verehrten Heiligen Augustinus, Athanasius, Johannes Chrysostomus, Cyrill von Alexandrien und Ephraem der Syrer. Auch Namen wie Laktanz, Arnobus, Prudentius und Orosius fehlen nicht.

Wäre Platon, hätte er einige Jahrhunderte später gelebt, ein Christ geworden, ähnlich wie viele Platoniker zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert das Evangelium angenommen haben? Ist der wahre Christ, auch wenn er ungebildet ist, ein besserer Philosoph als etwa ein heidnischer Stoiker? Inwiefern kann man Jesus für einen Magier halten oder mit mythischen Wesen wie Orpheus, Dionysos oder Perseus vergleichen? Ist es zulässig, die antike Philosophie als Vorbereitung, Vorstufe oder Vorahnung des Christentums zu deuten? War Sokrates eine Art Präfiguration Christi? Münden alle Wahrheiten, von wem immer sie entdeckt worden sind, in die Wahrheit schlechthin, die Gott selbst ist? Sind die Einsichten vorchristlicher Denker wie Heraklit oder Platon gleichsam "Keime des Logos"? Ist das junge Christentum nicht nur eine neue Religion, sondern zugleich auch tätige und martyriumsbereite Religionskritik, die sich auf antike Aufklärer und "Entmythologisierer" stützen kann? Kann man das Christentum im historischen Rückblick als "die einzige rationale Religion der Spätantike" auffassen? Inwiefern stellt der universale und ultimative Wahrheitsanspruch kirchlichen Glaubens einen Affront wider die liberalistische Auffassung dar, jedermann möge nach seiner Fasson selig werden? Wäre somit authentische, zum Matryrium entschlossene und ihrer Absolutheit kämpferisch bewußte Christlichkeit womöglich unvereinbar mit religiöser Toleranz und geistigem Pluralismus?

Dies sind nur einige ausgewählte Herausforderungen und Fragestellungen, mit denen die Apologeten der ersten Jahrhunderte konfrontiert waren. Ihre teilweise bis heute beispielhaften und geschichtsmächtigen Antworten erörtert Michael Fiedrowicz im systematischen Teil seiner "Apologie im frühen Christentum". Die damals erarbeiteten Formen christlicher Selbstdarstellung, Glaubensvergewisserung und Dialogbereitschaft wirken bis heute nach, ohne daß wir uns dieses Sachverhalts immer bewußt wären. Hier gilt das Wort: "Sie wissen es nicht, aber sie tun es."

Wer das gründliche, übersichtlich gegliederte und allgemeinverständlich geschriebene Buch durchgelesen hat, wird mit einigem Erstaunen feststellen, daß viele zeitgeistige Einwände und Vorwürfe gegen das Christentum gar nicht so neu sind. Manches, was Julius Evola oder Ernst Bloch, Eugen Drewermann oder Karlheinz Deschner, Bertrand Russell oder Jürgen Habermas vorgebracht haben, läßt sich zumindest ansatzweise schon bei heidnischen Kritikern aus der Zeit der Spätantike nachweisen. Offenbar ist es gar nicht so leicht, auf christentumsfeindlichem Gebiet originell zu sein. Die Werke der frühen Apologeten haben normative Bedeutung. In ihnen bekundet sich erstmals christliche Theologie wie christliche Philosophie im engeren Sinne. Sie sind klassische Zeugnisse einer umfassenden Auseinandersetzung mit der antiken Geisteskultur. In Kampf und Übernahme, in Polemik und Aneignung formten sie die christliche Existenz mittels intellektueller Glaubensdurchdringung. Das christliche Credo läßt sich gewiß nicht auf allgemeine Vernunftwahrheiten zurückführen oder spekulativ als systematische Philosophie restlos entfalten. Das Mysterium ist nicht rationalisierbar; aber es ist durchaus nicht unvernünftig, aus dem Glauben – der fides divina – zu denken und zu leben. Das Geheimnis, dem der Glaubende vertraut, nimmt die Vernunft keineswegs gefangen, sondern fordert sie heilsam heraus.

Ein geistreicher Mann hat vor einiger Zeit gesagt, daß wir heute insbesondere intelligente Heilige benötigen. Fiedrowicz‘ leserfreundliches, mit umfänglichen Quellen-, Literatur-, Personen- und Begriffsverzeichnissen versehenes Buch stellt uns eine ganze Reihe von heiligen Apologeten vor, die nicht nur intelligent, sondern auch philosophisch gebildet, in hohem Maße denkfreudig und in des Wortes schöner Doppelbedeutung geistesgegenwärtig waren. "Wir dienen dem Logos", sagte einer von ihnen.

 

Michael Fiedrowicz: Apologie im frühen Christentum.Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, Schöningh, Paderborn 2000, 320 Seiten, 88 Mark


 
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