© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
Nationale Parteien sind erfolgreich
Bosnien-Herzegowina: Kroaten und Serben verweigern sich den "westlichen Wahlempfehlungen"
Carl Gustaf Ströhm

Wenn die Wirklichkeit nicht so ist, wie ich es wünsche – um so schlimmer für die Wirklichkeit. Nach diesem Motto verhalten sich seit den Wahlen vom vergangenen Wochenende die – mehr oder weniger – "hohen" Repräsentanten der OSZE, der EU und der Uno in Bosnien-Herzegowina. Ihre Rechnung – eine wahre Milchmädchenrechnung – , wonach die Bewohner dieser kriegszerstörten Republik vom "Nationalismus" genug hätten und statt der bisher tonangebenden nationalen Parteien der drei Volksgruppen – Moslems, Serben und Kroaten – eine "übernationale" Partei wählen würden, ging nun doch nicht auf.

Jene Partei, welche EU und USA unisono den Bosniern empfahlen, ist die SDP, die jetzt als "sozialdemokratisch" firmiert, aber in Wirklichkeit direkte Nachfolgerin der KP ist – wenn man die Buchstaben umdreht, hat man die bosnische Version der PDS. Unter der Führung des ehemaligen titoistischen Funktionärs Zlatko Lagumdzija erhoffte sich die "bosnische PDS" einen durchschlagenden Wahlerfolg.

Aber die nicht unbeträchtlichen finanziellen Mittel, welche der Westen, besonders auch die EU, in die Postkommunisten investierten, zahlten sich nicht aus. Die Verdrängung der sogenannten "nationalistischen" Parteien gelang nicht. In der Serbischen Republik ("Republika Srpska") errang die Serbische Demokratische Partei (SDS) die absolute Mehrheit. Der "Kandidat des Westens" bei den bosnischen Serben, Milorad Dodik, erlitt eine schwere Niederlage.

Die Moslem-Partei SDA war gemeinsam mit der gleichfalls moslemischen "Partei für Bosnien" unter der Führung von Haris Silajdzic ebenfalls erfolgreich. Die Hoffnung (oder Befürchtung), die Postkommunisten würden die oft desorientierte und eingeschüchterte Bevölkerung Zentralbosniens auf ihre Seite ziehen, erwies sich als falsch.

Besonders eindrucksvoll war der Wahlsieg der kroatisch-nationalen Partei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft). In allen Bezirken, wo es eine kroatische Bevölkerungsmehrheit gab, erhielt diese Partei, die seinerzeit eng mit dem verstorbenen ersten kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman verbunden war, eindrucksvolle Mehrheiten.

Noch in der Wahlnacht kam es zu einem heftigen Wortwechsel zwischen dem "hohen Vertreter" der EU für Bosnien, dem österreichischen Diplomaten Wolfgang Petritsch, und dem Vorsitzenden der stärksten kroatischen Partei in Bosnien, Ante Jelavic. Dieser erklärte in ungewöhnlicher Schärfe, die Kroaten Bosniens betrachteten diese Mission der westlichen Emissäre in Bosnien – des US-Amerikaners Robert Barry für die OSZE, Wolfgang Petritschs für die EU und des ehemaligen US-Generals Jacques Klein für die Uno – als erloschen. "Wir erkennen die Administration der internationalen Staatengemeinschaft (in Bosnien) nicht länger an", sagte Jelavic. Diese internationale Verwaltung des Westens in Bosnien sei "kompromittiert" und habe sich gegen die Interessen des kroatischen Volkes gewendet.

In einem nur von den Kroaten durchgeführten Referendum sprachen sich zudem 95 Prozent dieser Volksgruppe für das Recht aus, als gleichberechtigte konstitutive Nation – und nicht nur als geduldete Minderheit – in Bosnien zu leben. Die internationalen Vertreter in Bosnien hatten sich vergeblich bemüht, das Referendum zu verhindern.

Interessant ist nun die Antwort des Österreichers Petritsch – eines langgedienten Sozialisten – an den kroatischen Politiker und Spitzenkandidaten. In einer Sprache, die an die besten Zeiten von Kolonialgouverneuren erinnerte, kanzelte Petritsch – den niemand gewählt hat – einen vom Volk mit immerhin siebzig bis achtzig Prozent
(in den kroatischen Gebieten) gewählten Kandidaten ab.

Fast könnte man von Verblendung und jedenfalls von Realitätsverlust sprechen: So versessen waren der Amerikaner Barry und der Österreicher Petritsch darauf, den "Nationalismus" in Bos-nien gewissermaßen durch Exorzismus (und Postkommunismus) zu bannen, daß sie nicht merkten, was im Volk – in den verschiedenen Volksgruppen – wirklich vor sich ging. Vergebens hatten Kenner dieses komplizierten Landes davor gewarnt, die Kraft der nationalen und religiösen Identität in den verschiedenen Volksgruppen zu unterschätzen. Auch der katholische Erzbischof und Kardinal von Sarajevo, Vinko Puljic, hatte davor gewarnt, den Menschen das Identitätsgefühl und die nationale Zugehörigkeit nehmen zu wollen. Verheerend wirkte sich bei der kroatischen Bevölkerung der Versuch der westlichen Emissäre aus, durch trickreiche Wahlarithmetik und -akrobatik einen Zustand herbeizuführen, in dem die Kroaten im Namen von "Multi-Kulti" gehindert werde sollten, ihre nationalen Vertreter zu wählen. Dieser Schuß ging nach hinten los. Aber auch die "nationalen" bosnischen Moslems von der Mehrheitspartei SDA (Partei der demokratischen Aktion) setzten sich zur Wehr. In einem Moslem-Flugblatt, das während des Wahlkampfes in Sarajevo kursierte, wird die Frage gestellt: "Warum schämt sich die SDP ihres Volkes? Warum verhält sie sich liebedienerisch gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft?" Die Antwort auf dem Flugblatt lautet: "Weil sie keine Sozialdemokraten, sondern Neokommunisten sind. Deshalb gehört es zu ihrer angeborenen Ideologie, sich innere Feinde auszudenken."

Wer diese Partei wähle, so lautet die Schlußfolgerung des Flugblatts, bereite "unseren Kindern das gleiche Schicksal vor, das wir erleiden mußten" – nämlich einen neuen mörderischen Krieg.

Der Westen hat in ideologischer Kurzsichtigkeit und Ziellosigkeit aus den Augen verloren, was er eigentlich in Bosnien – diesem vielgeprüften Land – erreichen will. Um kurzfristiger scheinbarer Erfolge willendenkt man sich am grünen Tisch "Lösungen" aus, die der Mentalität und den Lebensgewohnheiten der Menschen fremd sind. Man mag diese Menschen für rückständig halten – aber Verachtung und Überheblichkeit sind in der Politik schlechte Ratgeber. Immer deutlicher wird in Bosnien – übrigens ebenso im Kosovo – die Problematik all dieser internationalen Missionen, "hohen Repräsentanten" und sonstigen eingeflogenen Würdenträger, die mit dem Lande und seinen Menschen durch nichts wirklich verbunden sind.

Es ist zum Beispiel höchst problematisch, wenn Vertreter des demokratischen, freiheitlichen Westens im Namen der Demokratie reihenweise gewählte bosnische Bürgermeister, Abgeordnete, ja sogar Regierungsmitglieder absetzen – weil die derart Gemaßregelten, wie es heißt, "nicht im Geiste des Dayton-Abkommens handeln". Gegen solche diktatorischen Maßnahmen etwa des "hohen Repräsentanten" Petritsch gibt es keine Berufung und nicht einmal eine Beschwerdeinstanz. In der Bevölkerung der bosnisch-kroatischen Föderation häufen sich die Klagen über brutales Vorgehen der SFOR-Truppen, die sich wie Okkupanten benehmen sollen. Fünf Jahre nach dem Dayton-Abkommen sind die nationalen Parteien in Bosnien gestärkt, ja mehr noch: plötzlich tauchen radikale nationalistische Parteien auf, denen die bisherigen politischen Lager zu gemäßigt sind. Der Westen und seine Repräsentanten müssen sich wohl oder übel eingestehen, aufs falsche Pferd gesetzt und damit die Situation verschärft statt verbessert zu haben. Es wäre höchste Zeit für die westlichen Repräsentanten, daraus Lehren zu ziehen.


 
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