© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
Die Kugel heilt alles
Kino I: "Art of War" von Christian Duguay
Werner Olles

Hongkong am Silvesterband. Auf einem rauschenden Fest des reichen chinesischen Geschäftsmanns David Chan kommt es zu einem Eklat. Vor den Augen der Gäste wird ein asiatischer Politiker bloßgestellt, der zwanzig Millionen Dollar der UN, die für humanitäre Zwecke in der Dritten Welt bestimmt waren, in Militärprojekte gesteckt hat. Neil Shaw (Wesley Snipes) und seinen beiden Mitarbeitern Novak (Liliana Komarowska) und Bly (Michael Biehn) gelingt es nach dieser erfolgreichen Aktion zwar gerade noch zu entkommen, aber Shaw – der Mann fürs Grobe im Geheimdienst der Vereinten Nationen – würde nach einer Schußverletzung den harten Job am liebsten hinschmeißen. In New York hat die UN-Sicherheitschefin Eleanor Hooks (Anne Archer) bereits eine neue Aufgabe für ihren besten Agenten: Im Hafen wurde ein Container mit den Leichen chinesischer Flüchtlinge gefunden, und das Massaker bedroht ein Handelsabkommen mit China. Während Shaw als Reporter getarnt an einem Empfang teilnimmt, den Chan für den chinesischen UN-Botschafter Wu (James Hong) gibt, wird dieser am Rednerpult durch einen gezielten Kopfschuß getötet. Auch Shaws Partnerin Novak fällt wenig später den Attentätern zum Opfer.

Gemeinsam mit der hübschen Simultanübersetzerin Julia Fang (Marie Matiko) muß er sich nun in einem undurchsichtigen Spiel auf Leben und Tod sowohl gegen das FBI als auch gegen die skrupellosen Saboteure des Abkommens zur Wehr setzen. Aber erst beim Showdown im Gebäude der Vereinten Nationen steht Shaw endlich seinen wahren Gegnern gegenüber, deren Ziel es ist, die Friedenspolitik des UN-Generalsekretärs Thomas (Donald Sutherland) zu durchkreuzen ...

Christian Duguays ("Der Auftrag", "Screamers – Tödliche Schreie") Inszenierung fängt so an, als wollte der Regisseur den Action-thriller neu erfinden. Über den Dächern von Hongkong und in den Straßenschluchten von New York ist die Welt halt voller Fallstricke und Intrigen, und in Agent Shaws Weltbild, das manichäistisch zu nennen untertrieben wäre, kämpfen Ordnung und Chaos ihren ewigen Kampf. So ist es auch gewiß kein Zufall, daß Duguay ausgerechnet die Vereinten Nationen als starkes Symbol für diese gewaltsam aufrechterhaltene Ordnung, die aus eigener Kraft und Berechtigung kein Leben hat, auswählte. Dabei verspielt sein Plot jedoch viel zu schnell den Anspruch, einen kritischen Zeitbezug zu haben, weil er die Spannung in Ideologie umkippen läßt, was dem Film auch noch den letzten Funken Dramatik und Plausibilität austreibt.

Vollends ins Fahrwasser der Lächerlichkeit gerät "Art of War" aber durch jene bedeutungsschweren Bekenntnisse gegen Ende des Films, wenn sich die biedere UN-Sicherheitschefin Hooks als gefährliche Reaktionärin outet und bar jeglicher Emotion Behauptungen über die Dekadenz Amerikas vor sich herträgt oder über die Demokratie, die vor sich selbst geschützt werden müßte. Und wenn der Regisseur es als Reaktion auf diese Deklamationen dann am Schluß noch einmal ordentlich krachen und metzeln läßt, wird eigentlich nur zu deutlich, daß er das schon viel zu lange tut. Shaw hingegen, der offenbar völlig integer seinen Mann steht, indem er mysteriöse asiatische Killerkommandos gleich dutzendweise liquidiert, diese dubiose Mischung aus humanoider Waffe mit Pensionsanspruch und Gutmensch mit Lizenz zum Töten gehorcht nur den Gesetzen aller Verschwörungstheoretiker, nach deren Vorstellungen es einen gerechten Feind nicht geben kann, und erholt sich auch nach den brutalsten Attacken so schnell, wie unsereiner nach einem gemütlichen Spaziergang. Da bleibt dann noch genügend Zeit und Raum für einen kleinen Flirt mit der Halbasiatin Julia, die auch nicht gänzlich abgeneigt scheint. Womit die beiden dann handstreichartig auch noch all jene notorischen Anti-Multikulturalisten Lügen strafen, die schon immer wußten, daß sich Schwarze und Asiaten nicht besonders schätzen.

Aber das war es dann auch schon, viel Lärm um nichts: ein politisch korrekter Action-Thriller, der den Ehrgeiz hat, uns den Weg weisen zu wollen, wie die Welt wieder heil wird, wenn man nur tüchtig draufschlägt und vor allem schneller und besser schießt. Hauptsache, es trifft immer die Richtigen. Darauf haben wir schon lange gewartet!


 
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