© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Solider Aufschwung und Konjunktur-Schlußlicht
Wirtschaftsgutachten: "Fünf Weise" finden lobende Worte für die rot-grüne Bundesregierung / Nur zaghafte Kritik
Ronald Gläser

Die guten Nachrichten zuerst: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) scheint im laufenden Jahr wirklich um drei Prozent zu wachsen. Das ist der größte Zuwachs, den die Volkswirtschaft unseres Landes seit langem verbuchen kann. Gleichzeitig hat sich das Arbeitslosenniveau weiter von seinen Höchstständen entfernt. Die Quote liegt deutlich unter zehn Prozent.

Dafür sind allerdings die Verbraucherpreise erstmals wieder um zwei Prozent gestiegen. Und die Steigerung des BIP ist fast ausschließlich auf den rasant angestiegenen Export zurückzuführen. Doch diese Steigerung ist eine Folge des zusammengebrochenen Euro-Wertes. Durch den niedrigen Kurs der gemeinsamen Währung bringen europäische Produkte zur Zeit mehr Devisen als bisher ins Land. Zusätzlich steigert der Konsumhunger der Weltkonjunkturlokomotive USA den deutschen Außenhandel.

Auch bezüglich der gestiegenen Erwerbstätigkeit gießen die Wissenschaftler gleich wieder Wasser in den Wein. Die hohe Zahl neu geschaffener Arbeitsplätze ist darauf zurückzuführen, daß die (verbliebenen) 630-Mark-Jobs jetzt als richtige Arbeitsplätze erfaßt werden. Rechnet man die verdeckte Arbeitslosigkeit zu den offiziellen Zahlen hinzu, so liegt die wirkliche Quote bei 13,2 Prozent. Der Beschäftigungsaufbau wird deshalb zutreffen als "enttäuschend" bezeichnet.

Der ganze Ton des Gutachtens ist allerdings von geradezu unterwürfiger Anbiederung an die rot-grüne Bundesregierung geprägt. Da ist von "spürbarer Entlastung der Bürger durch die Steuerreform" und von der endlich erfolgten "Auflösung des wachstumshemmenden Reformstaus" die Rede. Schon die einleitenden Worte sind offenbar von Wahrnehmungsschwierigkeiten geprägt. Die Wahrheit ist doch, daß nicht zuletzt die Folgen der unsozialen Ökosteuer sämtliche "Konsummöglichkeiten" wieder zunichte machen. Die Wissenschaftler scheuen sich auch nicht, sich in einem fünfzeiligen Absatz unter der Überschrift "Solider Aufschwung" selbst zu widersprechen: "Im Jahr 2000 hat sich der konjunkturelle Aufschwung (in Deutschland, Anm. d. Verf.) gefestigt." Eine Zeile tiefer heißt es: "Zusammen mit Italien bildete Deutschland weiterhin das konjunkturelle Schlußlicht."

Insbesondere in Hinblick auf die Neue Ökonomie fordern die Experten zu Recht mehr freien Wettbewerb als Grundlage für die Entfaltung der neugegründeten Unternehmen. Gerade im Bereich Telekommunikation hapert es angesichts der nach wie vor vorhandenen Monopolstellung der Telekom an einem fairen Konkurrenzkampf. Obwohl die deutsche Wirtschaft nur von Impulsen aus dem Ausland profitiert und die Politik der Bundesregierung nur aufgrund von Sondereffekten wie den Milliarden der UMTS-Lizenzversteigerung eine gute Bilanz vorlegen kann, geben sich die fünf Weisen optimistisch für das kommende Jahr. Sie rechnen mit 2,8 Prozent Wachstum und leicht sinkender Arbeitslosigkeit.

Der Sachverständigenrat der fünf Wirtschaftsweisen wird vom Bundespräsidenten ernannt. Die Aussagen der Wirtschaftswissenschaftler basieren neben der Auswertung von statistischem Material auch auf Gesprächen mit Politikern, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, Vertretern der Bundesbank, des DIHT sowie der großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute.


 
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