© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Der Haß der wirren Frau
Zur Diskussion um den französischen Skandalfilm "Baise-moi"
Ellen Kositza / Claus M. Wolfschlag

Einen Film für die Jugend habe sie drehen wollen, gibt Regisseurin Virginie Despentes in einem Interview kund, einen, der gerade für Mädchen wichtig sei, denn – hier wird ein moderner pädagogischer Gemeinplatz eingehakt – vor allem das weibliche Geschlecht werde doch frühzeitig und fatal ans "Ja-Sagen" gewöhnt.

Despentes möchte also alternative Strategien aufzeigen: Man nehme die Hardcore-Darstellerin Coralie Trinh-Tin als Co-Regisseurin, die Porno-Sternchen Karen Bach und Raffaela Anderson als Hauptdarstellerinnen und entwerfe eine lausige Geschichte. Über die gibt es nicht viele Worte zu verlieren: Manu (Raffaela Anderson) ist eine kiffende und ständig masturbierende Schlampe, die ihre Zeit vor dem Videogerät (Pornos, was sonst) verbringt; Nadine (Karen Bach), ausgehöhlt und abgebrüht, arbeitet als Pornodarstellerin. Nachdem Nadine mit einer Fixer-Freundin von drei Männern vergewaltigt wird (die erste Nahaufnahme) und anschließend ihren besorgten Bruder erschießt, trifft sie auf Manu, die soeben – ebenfalls reichlich grundlos – ihre nörgelnde Mitbewohnerin erwürgt hat.

Als gewalttätiger "Thelma und Louise"-Verschnitt legen die beiden Frauen nun eine Blutspur durch Frankreich. Dabei erscheinen ihre brutalen Mordtaten keineswegs motiviert durch zuvor erfahrene körperliche oder strukturelle Gewalt – diese Moralschleife wird nicht einmal bemüht.

Die beiden Protagonistinnen erscheinen kaum, wie eigentlich beabsichtigt, als unterdrückte Frauen im Räderwerk einer grausamen Männergesellschaft. Ihre Gewaltexzesse richten sich auch keinesfalls allein gegen ausbeuterische Männer: Vielmehr werden zahlreiche Frauen wahllos umgebracht, die von den Regisseurinnen als Negativtypus ihres Geschlechts ("gehorsam", "selbstverleugnerisch" oder "langweilig") angesehen werden, also dem von Despentes erwünschten Frauenbild nicht entsprechen. Nadine und Manu vögeln und morden aus purem Vergnügen an beidem, wobei der Tötungsvorgang deutlich den höheren Lustgewinn erzielt und das eine nicht notwendig in Zusammenhang mit dem anderen steht.

"Baise-moi" erweist sich so als billige Variation von Oliver Stones "Natural Born Killers", angereichert mit konventionellen Porno-Darstellungen. Dabei stellt sich der Film keineswegs als reiner Pornofim dar, nicht einmal als sogenannter "Frauenporno", es ist kein Film, der – abgesehen vielleicht von einem extrem-sadistischen Publikum – zur sexuellen Stimulierung seiner Zuschauer geschaffen wurde. Vielmehr steigert er die vielfach beklagten Muster des Männerpornos zum Äußersten und tauscht allenfalls, die klassisch-pornographische Tradition der Demütigung betreffend, die Geschlechterrollen aus, wobei die selbstgesetzten inszenatorischen Grenzen des Pornofilms bewußt überschritten werden. Wenn aber die Funktion des klassischen Sexfilms voyeuristische Lustbefriedigung und die Verdrängung von Alltagsängsten gegenüber dem fremden Wesen Frau ist, so führt "Baise-moi" durch seine Grenzauflösung zum gegenteiligen Ergebnis.

Virginie Despentes zeichnet männliche Lustbefriedigung rein abwertend und will Angst vor dem gewalttätigen Überwesen Frau erzeugen. Es ist ein destruktives, negatives Bild, das hier vom Leben und Spiel der Geschlechter gezeichnet wird. In einer Szene des Films werden wahllos die Besucher eines ganzen Swinger-Clubs erschossen. Was soll uns diese Handlung sagen? Am Ende vielleicht doch nur, daß Despentes, ehemalige Sexshop-Verkäuferin, solch große seelische Probleme mit ihrem weiblichen Dasein in sich tragen muß, daß sie damit die Zuschauer behelligen möchte?

So ist die ethische Fragwürdigkeit dieses Films, dessen Titel auf deutsch eine vulgäre Aufforderung zum Geschlechtsakt bedeutet, das eine. Aber das hatte man im Grunde, wenn auch selten derart auf die Spitze getrieben, schon hundertfach: sowohl das wüste Gemetzel als auch der nahe Blick auf erigierte Geschlechtsteile und willig gespreizte Frauenschenkel. Während Catherine Breillats "Romance", der im vergangenen Jahr für Aufsehen sorgte, seinen Anspruch ernst nahm, mit bisweilen krassen Bildern und Aussagen die Frage nach dem Kern weiblichen Begehrens einzukreisen, erweist sich Despentes‘ Selbstbewertung ihres Films als "ultrafeministisch" als schlechte Ausrede. Tatsächlich zeigt sich hier der "post-pornographische Blick" (Georg Seeßlen), der endgültig entmythisierende, in seiner ernüchterndsten Variante. Keine Erotik, die sich ja durchaus mit Gewalt verbinden dürfte, keine Inszenierung von Begehren und Erfüllung, statt dessen Schock und Provokation.

Doch so dumm und unreflektiert dieser obendrein technisch und dramaturgisch mangelhafte Film auch ist, so wirksam erweist sich die eigentlich banale Marketingstrategie, die es nicht schwer hatte, mit einem zensorischen Eingriff zu rechnen. Das Verwunderliche ist dabei, daß Frankreichs Kultusministerin Catherine Tasca den Film zunächst ab 16 freigegeben hatte. Dies rief bereits vor dem Filmstart – der Streifen wurde bereits auf den großen Filmfestivals mit eher negativer Publikumsresonanz vorgeführt – die Vereinigung "Promovoir", eine Organisation zum Schutze der Familie, auf den Plan. Erreicht wurde schließlich ein Eingreifen des Conseil d’Etat, des obersten französischen Verwaltungsgerichts: "Baise-moi" wurde für Minderjährige verboten, was in Frankreich einem Aufführungsverbot in den öffentlichen Kinos gleichkommt.

Damit erwuchs aus dem Skandal jedoch ein neuer Eklat: Da der Vorsitzende von "Promovoir" zugleich Mitglied in der Rechtspartei MNP ist, die vom ehemaligen Front National-Chefideologen Bruno Mégret angeführt wird, droht man nun der Zensur mit einer ihr mindestens adäquaten Keule: dem Verweis auf "rechtsradikale Machenschaften", denen das Filmverbot zu verdanken sei.

Vordergründig wird diese Diskussion nun auf seiten derer, die sich mit den Filmemacherinnen solidarisieren – darunter Größen dieses Geschäfts wie Miou-Miou und Jean-Luc Godard – auf ein kunstphilosophisches Niveau zu heben versucht. Was ist Porno, was darf Kunst, darf es Zensur in diesem Bereich überhaupt geben?

Die "Argumente" dabei sind altbekannt und dümmlich, Hauptdarstellerin Karen Bach gibt an, ihre Tochter (hätte sie eine) bereits mit 13 Jahren diesen Hardcore-Gewalt-Porno schauen zu lassen, Regisseurin Despentes bekennt, sie habe halt ein "sehr großes Problem mit Männern": Es ist das alte Dilemma, daß sich hinter allzu massiv vorgetragenem "kriegerischem Feminismus" oft nur recht persönliche seelische Schwierigkeiten mit dem eigenen Sein, Machtphantasien und latente Aggressionen verbergen.

So kommt es, daß Despentes in irriger Schlußfolgerung aus ihrer eigenen Situation behauptet, den "Sex der Frauen" darzustellen – die sadistischen Szenen würden Frauen "endlich das Recht auf eigene Sexualität" zugestehen. "Baise-moi", der nun in deutschen Programmkinos gezeigt wird, erreichte jedenfalls eine Popularität, die er thematisch wie künstlerisch nicht verdient. Und doch, schaut man sich die in Deutschland fast durchweg negative Kritik an, wird dieser Film durch die krude Auflösung der Genregrenzen zum Opfer seiner selbst – zu pornographisch und sadistisch für den regulären Kinobetrieb mit dessen jugendlichen Besuchermassen, zu lustfeindlich und negativ für die Pornokinos.


 
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